Außenansicht:Spiel mit Erdgas

Georg Zachmann

Georg Zachmann, 36, ist Senior Fellow bei der Brüsseler Denkfabrik Bruegel wo er die Themen Energie- und Klimapolitik betreut.

(Foto: OH)

Deutschland sollte sich nicht am Bau einer neuen Pipeline nach Russland beteiligen. Einerseits will die EU unabhängig von fossilen Energieträgern werden, andererseits gefährdet Nord Stream 2 einen der wenigen Erfolge der europäischen Außenpolitik der vergangenen Jahre.

Von Georg Zachmann

Ende vorigen Jahres verständigte sich der russische Energiekonzern Gazprom mit fünf westeuropäischen Unternehmen (BASF, Eon, Engie, OMV und Shell) darauf, zwei weitere Stränge der Ostseegaspipeline Nord Stream zu bauen. Deren Kapazität soll bis 2019 von 55 auf 110 Milliarden Kubikmeter pro Jahr steigen. Über das Projekt wird lebhaft diskutiert, da es sowohl einen energie- als auch einen außenpolitischen Richtungsstreit innerhalb der EU zuspitzt.

Einerseits versucht die Europäische Union, die Abhängigkeit von einzelnen Versorgern zu verringern, andererseits will sie mittelfristig auf fossile Energieträger ganz verzichten. In den vergangenen Jahren hat sich die Marktposition der EU deutlich verbessert. Aufgrund der unerwartet niedrigen Gasnachfrage - diese lag 2015 um etwa 40 Prozent unter den Prognosen von 2005 - und der gesunkenen globalen Energiepreise konnten europäische Verbraucher deutlich niedrigere Gasimportpreise durchsetzen. Diese halbierten sich in den vergangenen zwei Jahren auf gegenwärtig etwa 170 Dollar pro tausend Kubikmeter. Aufgrund der weiterhin stagnierenden europäischen Gasnachfrage, der Überkapazitäten auf dem globalen Gasmarkt und der nach wie vor unterausgelasteten europäischen Infrastruktur für importiertes Erdgas wird eine weitere teure Pipeline aus Russland in den kommenden Jahren zur Versorgung der EU nicht benötigt. Sie würde den Anstrengungen zur Diversifizierung eher entgegenlaufen, da Gazprom heute schon der größte Gasanbieter in der EU ist. Und mittelfristig stellt sich die Frage, wann die Gasnachfrage in der EU aufgrund der europäischen Klimaschutzverpflichtungen schneller fällt als die einheimische und norwegische Produktion. Das Zeitfenster für die Amortisierung von Nord Stream 2 ist also relativ kurz.

Dem stehen die Interessen der beteiligten westeuropäischen Unternehmen entgegen, die sich durch Nord Stream 2 eine bevorzugte Versorgung mit russischem Gas versprechen und bestehende Geschäftsinteressen in Russland stärken wollen - vier der beteiligten Unternehmen haben signifikante Investitionen dort. Auch würde Deutschland mit Nord Stream 2 zu einer Gasverteilstelle ("Hub") für ganz Kontinentaleuropa werden und könnte niedrigere Gaspreise als seine Nachbarn erwarten. Dies wäre allerdings ein Nullsummenspiel - Deutschland würde nur zulasten seiner Nachbarn profitieren, die dann am Ende der über Deutschland verlaufenden Transportroute sitzen und mehr bezahlen müssten. Schließlich und besonders bedenklich: Gazprom bekäme ein weiteres Werkzeug in die Hand, um flexibel zwischen verschiedenen Ländern zu diskriminieren. Gazprom kann dann glaubhaft drohen, Gaslieferungen nach Mittelosteuropa einzustellen, ohne damit die Versorgung seiner Hauptmärkte in Westeuropa zu gefährden. Somit könnte Gazprom weiterhin höhere Preise in Mittelosteuropa durchsetzen, ohne auf die von den Brüsseler Wettbewerbshütern beanstandeten Weiterverkaufsgebote zurückgreifen zu müssen. Diese destination clauses verpflichteten die Käufer von Gazprom, Gas nur an einheimische Endkunden zu verkaufen.

Die Ukraine müsste auf zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung verzichten

Wichtig ist auch ein anderer Aspekt: Die Europäische Union unterstützt die Ukraine im Bestreben, ihre Souveränität und territoriale Integrität gegen Russland zu verteidigen. Nord Stream 2 würde diese Aufgabe deutlich erschweren. Das erklärte Ziel des Projekts für Russland ist es, das ukrainische Gastransitsystem vollständig zu umgehen - durch das fließt momentan etwa ein Drittel des russischen Gases nach Mitteleuropa. Dadurch würden der Ukraine einerseits Erlöse von bis zu zwei Milliarden Dollar pro Jahr entgehen, was etwa zwei Prozent der ukrainischen Wirtschaftsleistung entspricht. Andererseits würde ein weitgehender Stopp des Gastransits die Versorgung der Ukraine mit Erdgas erschweren.

Aufgrund gesunkener Nachfrage und stark gestiegener Importe aus der Slowakei kann die Ukraine jetzt auf Gasimporte aus Russland verzichten. So wurde seit November 2015 kein Gas mehr von Gazprom bezogen. Das hat den politischen Spielraum - unter anderem bei der notwendigen Reform des korrupten ukrainischen Gassektors - deutlich erhöht. Würde Mittelosteuropa (vor allem die Slowakei und Ungarn) unter Umgehung der Ukraine durch Nord Stream 2 mit russischem Gas versorgt, könnte Moskau schlimmstenfalls darauf dringen, die westlichen Gasexporte in die Ukraine zu reduzieren, in jedem Fall aber für deutlich höhere Preise sorgen. Das würde in Kiew die Bereitschaft erhöhen, wieder einen "Freundschaftspreis" für direkt aus Russland geliefertes Erdgas zu akzeptieren, der mit politischen Konzessionen verbunden wäre. Auch innerhalb der EU bleibt Gazprom ein Werkzeug der russischen Außenpolitik. Das zeigte sich im Herbst 2014, als das Unternehmen einseitig die Lieferung an Länder kürzte, die der Ukraine Gas weiterverkauft hatten, teilweise um bis zu 50 Prozent. Einen solchen Akteur zu stärken, zieht außenpolitische Kosten nach sich.

Schließlich gefährdet Nord Stream 2 einen der wenigen Erfolge der europäischen Außenpolitik der vergangenen Jahre. Gegen die wirtschaftlichen Bedenken vieler Mitgliedstaaten gelang es insbesondere Deutschland, eine unerwartet deutliche gemeinsame Antwort auf die Annexion der Krim und das russische Engagement in der Ostukraine zu finden. Allerdings bleibt der europäische Kompromiss bezüglich der Wirtschaftssanktionen fragil. Wenn sich Deutschland in dieser Position als besonderer Partner Russlands positioniert und ein solches Megaprojekt unterstützt, ohne dass es irgendein Entgegenkommen Russlands in den strittigen außenpolitischen Fragen gegeben hätte, riskiert Deutschland ein Zerbrechen des ohnehin mühsam aufrechtzuerhaltenden europäischen Konsenses im Umgang mit der russischen Regierung. Der entsprechende Vertrauensverlust unter den europäischen Partnern würde kaum durch die Verbesserung der Beziehungen zu Russland aufgewogen werden.

Die benannten Nachteile von Nord Stream 2 lassen sich durch zusätzliche Investitionen in die inner-europäischen Gasnetze, eine stärkere finanzielle Unterstützung der Ukraine und deutsche Garantien für die Gasversorgungssicherheit Mittelosteuropas weitgehend abfedern. Die Kosten dafür würden allerdings auch deutsche Gaskonsumenten und Steuerzahler tragen. Die indirekten außenpolitischen Kosten hingegen lassen sich nur schwer ermessen. In der Summe wäre der Bau von Nordstream 2 also nicht nur für die osteuropäischen Partner, sondern wohl auch für Deutschland ein schlechtes Geschäft.

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