Außenansicht:Schöpferische Verstörung

Außenansicht: Christian Grünwald, 40, ist Politikwissenschaftler und Foresight Manager bei dem Beratungsunternehmen Z-Punkt.

Christian Grünwald, 40, ist Politikwissenschaftler und Foresight Manager bei dem Beratungsunternehmen Z-Punkt.

(Foto: oh)

Der Politiker Donald Trump wäre ohne die disruptiven Strategien des Silicon Valley nicht möglich.

Von Christian Grünwald

Vor gut einem Jahr noch erschien eine Präsidentschaft Donald Trumps so weit weg wie eine bemannte Mars-Mission. Nun mag er sein Ziel, das Weiße Haus, zwar am 8. November tatsächlich nicht erreichen, er ist diesem aber auf jeden Fall viel näher gekommen, als irgend jemand dies für möglich gehalten hätte. Näher jedenfalls, als die große Silicon Valley-Ikone, der Gründer des Weltraumunternehmens Space-X, Elon Musk, seinem Ziel ist, eben dem Mars.

Hier schließt sich der Kreis: Der Politiker Donald Trump wäre ohne den Siegeszug der Philosophie des Silicon Valley niemals groß geworden. Was nicht ohne Ironie ist, da einerseits der Geschäftsmann Trump als prototypischer Vertreter des "Old Business" gilt, und andererseits die meisten Silicon-Valley-Milliardäre Hillary

Clintons Wahlkampf nach Kräften unterstützen.

Das Silicon Valley ist die Keimzelle einer digitalen disruptiven Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, die inzwischen beinahe die ganze Welt umspannt - aber heute noch nirgendwo so stark ausgeprägt ist wie in den Vereinigten Staaten. An der amerikanischen Westküste sind Tech-Giganten wie Alphabet, Apple oder Facebook entstanden, ihre Firmengründer wurden zu globalen Superstars und verhalfen den Nerds zu Sexappeal. Sie schufen neue Märkte und Business-Ökosysteme, und brachten unzählige profitable Geschäftsmodelle des Industriezeitalters ins Wanken.

Und die nächste Generation des Valley startet ebenso lustvoll den Angriff auf die Giganten des Industriezeitalters. Ganze Branchen werden von Airbnb, Uber und anderen hochbewerteten Einhörnern angegriffen. Sie sind dabei Vorbild für die Startups in aller Welt. Gründer rund um den Globus eifern den Kapuzenpulli-Helden von der Westküste nach. Nichts und niemand soll vor dem Tsunami der Disruption sicher sein: Die Theorie der "schöpferischen Zerstörung" des österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter wurde mit einer beinahe religiösen Innovationsgläubigkeit verinnerlicht - Verdrängungswettbewerb und Angriff auf das Etablierte als kategorischer Imperativ.

Diese Innovationen haben Kulturtechniken verändert, die Art zu kommunizieren, sich zu organisieren, zu informieren, zu erinnern und zu orientieren. Kurzum: Sie haben ganze Gesellschaften verändert. Die digitale Logik der agilen, fluiden horizontalen Netzwerkbildung ist inkompatibel mit dem Betriebssystem des Industriezeitalters und seiner trägen, vertikalen Massenorganisationslogik. Infolge der digitalen Revolution geraten diese Massenorganisationen und vertikale Hierarchien immer mehr unter Druck - die Krise der Volksparteien und repräsentativen Demokratie, mitsamt des ihr nachgelagerten Soziotops der Experten aus Wissenschaft und Journalismus, ist Ausdruck dieser Entwicklung. So haben gegenwärtig nur noch neun Prozent der Amerikaner Vertrauen in den Kongress.

Es wäre an der Zeit, dass die Nerds sich der Folgen ihres Tuns bewusst werden

Wirtschaft und Politik waren schon immer kommunizierende Röhren. Die Philosophie des permanenten Angriffs auf das Etablierte überträgt sich nun auch auf die Politik. Populistische Parolen verfangen immer stärker, Außenseiter wie Trump steigen auf. Die Ochsentour durch eine politische Partei ist ein Relikt des Industriezeitalters, als man sich in Festanstellung bei einer Firma ein Arbeitsleben lang nach oben diente.

Die Logik der digitalen Dienstleistungsgesellschaft folgt einem viel höheren Grad an Flexibilität, die politische Teilhabe wird unverbindlicher, spontaner und unberechenbarer. Langfristige Bindungen fallen weg, die Gesellschaften werden granularer und differenzieren sich weiter aus. Meinungen und Programme werden zunehmend durch Emotionen ersetzt - Hypes und Skandalisierung sind die Folge schneller Erregungswellen eines hochvernetzten Systems. Rassismus, Sexismus, Beleidigung: Der Populist Trump nutzte geschickt die Erregung der Netzwelt, um sich die mediale Aufmerksamkeit zu sichern. Je stärker er mit den etablierten Konventionen brach, umso mehr stieg die Zustimmung und Begeisterung seiner Anhänger. In einem gewissen Sinn agierte er genauso wie die Ubers, Airbnbs und Facebooks gegenüber bestehenden Regeln und Gesetzen - erst mal eigene Regeln schaffen und dann sehen, ob es gesetzeskonform ist. Und hier wie dort antwortet der mündige Bürgerverbraucher nicht etwa mit Boykott, sondern mit begeisterter Nutzung der Angebote.

Ganz nebenbei beseitigte Trump ein etabliertes System, ganz im Sinne der Valley-

Philosophie: das der unentwegt Wahlkampfspenden sammelnden Super-Pacs. Wer laufend provoziert, ist auch laufend auf allen Kanälen präsent. Aber auch das Zweiparteiensystem der Vereinigten Staaten steht mittelfristig infrage. Die Bedeutung digitaler Medien ist im amerikanischen Wahlkampf ungleich höher als in Deutschland. Die Netzneutralität sorgt dafür, dass ein Blog von und für Verschwörungstheoretiker per se genauso gewichtet wird wie die Webseite der New York Times. Zu jeder Wahrheit des vermeintlichen Establishments findet sich im Netz eine

Gegenwahrheit. Dies macht postfaktische Politik erst möglich, weil etablierte Quellen nicht mehr glaubhaft erscheinen. Und selektive Algorithmen führen zu Filter Bubbles, in denen keine Konfrontation mit Gegenmeinungen stattfindet. Ein solcher Algorithmus, der zu wissen glaubt, was der Nutzer lesen oder sehen möchte, ist jedoch nur eine Fortführung kognitiver Verzerrungen des Menschen.

Die Philosophie des Silicon Valley, die Lust auf Verdrängung und Kaputtmachen des Etablierten, der unbedingte Reiz des Neuen, das mag in der Wirtschaft unter Ausklammerung sozialer Folgekosten funktionieren, in der politischen Sphäre ist es eine Katastrophe.

Das feudale System war ein Abbild der Agrarwirtschaft, der effiziente Bürokratiestaat mit auf Dauerhaftigkeit angelegten Institutionen eines der Industrialisierung. Wie ein Staatsgebilde aussieht, das eine disruptive Wissensgesellschaft spiegelt, ist zurzeit noch nicht einmal im Ansatz erkennbar.

Ungeachtet des nun doch wahrscheinlich gewordenen Scheiterns des Politikers Trump: Es wäre an der Zeit, dass sich die Silicon Nerds endlich der Reichweite ihres Handelns und damit auch ihrer Verantwortung bewusst würden. Denn die nächsten Ziele im Valley sind noch weitreichender. Mithilfe der Biotechnologie sollen nicht nur neue Märkte entstehen, sondern auch gleich ein neuer Typus Mensch.

Noch haben die Verantwortlichen die Wahl.

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