Süddeutsche Zeitung

Außenansicht:Schluss mit dem Flügelproporz

Zu Recht stehen an der Grünen-Spitze immer eine Frau und ein Mann. Alle anderen Quoten aber schaden.

Von Rezzo Schlauch

Mehr als 30 Jahre haben die Grünen für den Atomausstieg und für eine Energiewende gekämpft. Sie haben sich mit den stärksten und mächtigsten Strukturen, die die Republik über Jahrzehnte in Gebietsmonopolen beherrschte, erfolgreich angelegt: mit der Atomwirtschaft und den Big Four der deutschen Energiewirtschaft - RWE, Eon, EnBW und Vattenfall. Sie haben sie in die Knie gezwungen. Die Monopole sind zerschlagen; sie finden sich im offenen Wettbewerb, wenn überhaupt, nur mühsam zurecht. Die Energielandschaft ist mit vielen Playern vielfältig, regenerativ und bunt geworden. Nicht minder ambitionierte Veränderungen gegen nicht minder mächtige Strukturen des industriellen Agrarkomplexes und der Automobilindustrie mit ihrer Fixiertheit auf den Verbrennungsmotor stehen mit der Agrarwende und der Verkehrswende ganz oben auf der politischen Agenda der Grünen.

Im Vergleich dazu stehen die Grünen merkwürdig passiv, ideenlos und wenig flexibel zu ihren eigenen Strukturen. Strukturen, die sie gefangen nehmen, die sie in ihrem politischen Aktionsradius einschränken und die sie im Wettbewerb mit den politischen Kontrahenten schwächen. Dies wird leider mehr als deutlich in der Konstellation um die personelle Neuaufstellung der grünen Partei und der grünen Fraktion. Im Vorfeld des Januar-Parteitags der Grünen steht in der medialen Diskussion nicht etwa die entscheidende Frage, wie sich die Grünen strategisch nach dem Scheitern von Jamaika aufstellen.

Diskutiert wird vielmehr: Wo landet der bisherige Parteivorsitzende und erfolgreiche Wahlkämpfer Cem Özdemir, der die Partei als Spitzenkandidat in einem brillanten Schlussspurt aus dem medialen Tief zu einem positiven Überraschungsergebnis gekämpft hat? Kann Robert Habeck Parteivorsitzender werden, der erfolgreiche Architekt von Jamaika in Schleswig-Holstein, der im gesamten gesellschaftlichen und politischen Umfeld höchsten Respekt und höchstes Ansehen genießt? Oder Annalena Baerbock, die Newcomerin aus der Tiefe der brandenburgischen Ebene, die mit ihrer überzeugenden Rolle als Verhandlerin der Klimathematik am Jamaika-Tisch in Berlin positive Akzente gesetzt hat? Oder sind die Strukturen der Grünen so verrammelt, dass diese drei Kandidaten nicht in Spitzenpositionen einrücken können, weil Durchregulierung bis zum harten Flügelproporz dagegen stehen?

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Dies ist kein Plädoyer für eine Aufhebung der in Frau und Mann aufgeteilten Doppelspitze. Die Grünen haben mit dieser geschlechtergeteilten Doppelspitze eine in Politik und Gesellschaft wichtige Vorreiterrolle eingenommen, die nachhaltige positive Veränderungen bis hin zu Besetzung von Vorständen und Aufsichtsräten in Gang gebracht hat. Es wäre ein falsches Signal, die Geschlechter-Quotierung parteiintern infrage zu stellen, auch um den Preis, dass das in manchen Fällen zu Reibungsverlusten führt.

Wochenlang mussten führende Grüne Frau Peters unglücklichen Äußerungen hinterherarbeiten

Viel größere Reibungsverluste entstehen allerdings, wenn einer oder eine des Duos sklavisch den Flügel vertritt, der sie oder ihn ins Amt gebracht hat, und die Anschlussfähigkeit zum Rest der Partei vermissen lässt. Das ist in der bisherigen Konstellation mit Simone Peter und Cem Özdemir im Bundesvorstand deutlich geworden. Man denke nur an die völlig verunglückte Reaktion von Frau Peter nach der Kölner Silvesterrandale, die Cem Özdemir und andere führende grüne Repräsentanten wochenlang und noch bis in den Wahlkampf hinein mit Ab-und Aufräumarbeiten intensiv in Beschlag genommen hat. Peinlich genug, dass gerade von ihr in eigenem Interesse dieser Flügelproporz vehement verteidigt wurde.

Solche festgezurrten Strukturen, die neben der Geschlechterquotierung auch noch die Flügelzugehörigkeit zwingend vorgeben sowie die kategorische Trennung von Parteivorsitz und Ministeramt in Bund und Land, sind nicht geeignet, die besten Köpfe in Führungspositionen zu befördern. Sie sind im Zeitalter omnipräsenter Medien und der damit einhergehenden Personalisierung nicht gegenwartstauglich und verhindern, dass die optimale Kampfkraft auf die Bretter der politischen Bühne gebracht wird. Dies hat sich schmerzlich gezeigt in der ersten Phase des jüngsten Bundestagswahlkampfes, als die Grünen mit einem unabgestimmten und teilweise gegeneinander laufenden Führungsquartett aus Partei und Fraktion orientierungslos durch die politische Landschaft stolperten. Dies wurde erst besser, als sie sich auf ihre Kernthemen besannen, die dann mit zwei Spitzenkandidaten auch mehr und mehr profiliert vorgetragen wurden. Dies führte dann zu einem überzeugenden Endspurt und zu dem guten Wahlergebnis.

Seinen krönenden Abschluss fand dieser Prozess in den Jamaika-Verhandlungen. Da trat das übliche Links-rechts-Spielchen in den Hintergrund; da haben sich die grünen Verhandler der Anschluss-Integrations-und Kompromissfähigkeit verschrieben und sich geschlossen und konstruktiv hinter dem gemeinsamen Ziel des Gelingens einer Koalition versammelt. Sie haben sich damit Respekt bei den Verhandlungspartnern und in der Öffentlichkeit verschafft.

Fazit: Männer und Frauen müssen gleichberechtigt die Spitzenpositionen in der Partei besetzen - ansonsten sollten die Grünen Abschied nehmen von Flügel- und sonstigen Proporzen. Sie sollten dem freien Spiel der unterschiedlichen Kräfte freien Raum geben. Wenn es auf die Köpfe und nicht auf die Flügel ankommt, haben die Grünen keine Sorgen, denn profilierte Köpfe auch in der nächsten Generation haben sie genug, von links und von der Realo-Seite. Sie haben von diesen Köpfen mehr als jene Wettbewerber, die mit Ein- Mann-Stücken die politische Bühne bespielen und mit unwürdigen Abgängen das Publikum zum Narren halten, wie die Jamaikaverhandlungen eindrucksvoll belegt haben.

Kein noch so harter Grundsatz ohne Ausnahme: Wenn die Grünen nicht mitregieren, sondern regieren wollen, wie in meiner Heimat Baden-Württemberg auf kommunaler und Landesebene, dann gibt es kein geschlechterquotiertes Spitzenduo. Dann gibt es nur einen Kandidaten oder eine Kandidatin, denn die Verfassungen sehen nur eine Bürgermeisterin oder einen Bürgermeister vor, eine Ministerpräsidentin oder einen Ministerpräsidenten.

Und das sollte der Beste oder die Beste sein. In Baden-Württemberg ist das neben drei veritablen grünen Oberbürgermeistern in Stuttgart, Freiburg und Tübingen ein Mann: Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident. Wie allgemein bekannt ist, nicht zum Schaden der Grünen.

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Quelle:
SZ vom 10.01.2018
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