Süddeutsche Zeitung

Außenansicht:Netanjahu hat Israel einen schlechten Dienst erwiesen

Mit der Ausladung von Außenminister Gabriel wollte der israelische Premier nach innen Stärke zeigen. Tatsächlich war sie wohl eher ein Zeichen seine Schwäche.

Gastbeitrag von Shimon Stein

Es ist schon eine Seltenheit in den Beziehungen zwischen zwei Staaten, dass der geplante Antrittsbesuch eines Außenministers beim Ministerpräsidenten des Gastlandes (der nebenbei selbst auch Außenminister ist) in letzter Minute abgesagt wird. Dies gilt umso mehr dann, wenn die Beziehungen der beiden Länder als "einzigartig" oder gar als "besonders" bezeichnet werden, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Absage in der Form eines Ultimatums des Ministerpräsidenten kommt nach dem Motto: Wenn du dich mit Vertretern von Organisationen triffst, die ich ablehne, findet eben kein Treffen zwischen uns statt.

Genau das geschah, als das bereits vereinbarte Gespräch zwischen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Bundesaußenminister Sigmar Gabriel vorige Woche platzte. Der Vorgang hat erwartungsgemäß eine Fülle von Reaktionen hervorgerufen, einige davon deutlich überzogen. Man sprach von einer Provokation, ja von einer Katastrophe. Auch die Metapher vom Elefanten im Porzellanladen, der einen Scherbenhaufen hinterlässt, wurde bemüht. Einige sprachen von einer Krise, ja sogar von einer beginnenden Eiszeit in den bilateralen Beziehungen.

Man hätte rechtzeitig einen Weg finden können, den Eklat zu verhindern

Aus meiner Sicht wäre eine differenziertere Betrachtungsweise geboten. Zunächst die prozedurale Frage: Sowohl die israelische als auch die deutsche Seite sollten sich fragen, ob man während der Planung des Besuchs alles getan hat, um Missverständnisse zu vermeiden. Kam das Ultimatum des Ministerpräsidenten wirklich als Überraschung?

Nicht erst seit heute ist bekannt, dass Netanjahu eine rote Linie gezogen hat: Er will keine nach Israel reisenden Diplomaten treffen, wenn diese sich ihrerseits auch mit Vertretern von Organisationen treffen die "unsere Soldaten als Kriegsverbrecher diffamieren". Man hätte also rechtzeitig einen Weg finden können, und zwar ohne Gesichtsverlust auf beiden Seiten, um den Eklat zu verhindern. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass deutsche Minister - oder auch Bundeskanzler -, die Israel besuchen, sich mit regierungskritischen NGOs treffen.

Nun zur Sache selbst: Bei Gabriels Gesprächspartnern handelt sich um zwei NGOs (Breaking the Silence und B'Tzelem) die, um es vorsichtig auszudrücken, beim offiziellen Israel unbeliebt sind, was allerdings seit Langem bekannt ist. Das muss man zur Kenntnis nehmen, auch wenn man nicht der (falschen) Meinung von Netanjahu ist, dass diese Organisationen vor allem bestrebt sind, israelische Soldaten als Kriegsverbrecher vor Gericht zu ziehen.

Der neutrale Beobachter wird diesen Organisationen eher den "Vorwurf" machen, dass sie ein Narrativ propagieren, das für die meisten Israelis unbequem ist; dass sie der israelischen Gesellschaft einen Spiegel vorhalten, in dem diese auf ein wenig schmeichelhaftes Bild schaut. Dieses Narrativ fordert tatsächlich das hegemoniale Narrativ heraus, das die Fortsetzung der Besatzung wie auch den Ausbau der Siedlungen legitimiert. Das alternative Narrativ zeigt eben die hässlichen Züge der israelischen Gesellschaft. Und weil der Ministerpräsident für das altvertraute Narrativ steht, kam seine Reaktion im Fall Gabriel nicht unerwartet.

Nicht unerwartet war der für ihn so wichtige Beifall aus der rechtsradikalen Ecke der israelischen Politik, die für sein politisches Überleben von großer Bedeutung ist. Anders hat sich der Staatspräsident (und Netanjahus Parteifreund) Reuven Rivlin entschieden, der das Treffen mit Gabriel nicht scheute. Rivlin nutzte, anders als Netanjahu, die Gelegenheit, um seine Meinung zu diesen Organisationen zum Ausdruck zu bringen. Rückenwind erhielt Gabriel in Israel sowieso von Oppositionsführer Isaak Herzog, der Netanjahus Verhalten kritisierte.

Netanjahu wollte nach innen Stärke zeigen. Doch sein Vorgehen ist, so glaube ich, eher als Zeichen der Schwäche zu bewerten. Er hätte das Gespräch nutzen können, um seine Überzeugungen dem deutschen Außenminister zu erläutern. Es liegt nahe, dass Netanjahu Gabriels Entscheidung, sich mit Vertretern der beiden Organisationen zu treffen, für seine innenpolitischen Ziele nutzen wollte und deshalb das Treffen mit dem Minister abgesagt hat.

Und dennoch: Diese nach innen gerichtete Demonstration der Stärke wird meiner Meinung nach keine entscheidende Auswirkung auf die bilateralen Beziehungen haben, den Prophezeiungen mancher deutscher Journalisten zum Trotz. Auch Netanjahu hat in einem Interview die Hoffnung geäußert, dass "der Streit keinen Einfluss auf die Beziehungen haben wird, die ... sehr stark sind, und weiter so bleiben werden". Und weiter: "Wenn Herr Gabriel wieder zu Besuch nach Israel kommt", so Netanjahu, "sollte er mich statt einer radikalen Randgruppe treffen, die die Sicherheit Israels unterminiert."

Deutsche Politiker sollten die israelische Zivilgesellschaft treffen

Folgt daraus, dass deutsche Politiker, wenn sie Israel besuchen, Netanjahus rote Linie einhalten sollen, um von ihm empfangen zu werden? Als Botschafter habe ich deutsche Politiker immer ermuntert, bei Besuchen in Israel nicht nur das Gespräch mit Politikern zu suchen, sondern auch mit der israelischen Zivilgesellschaft in ihrer großen Vielfalt. Das bedeutet konkret: nicht nur mit linken regierungskritischen NGOs, sondern auch mit Organisationen, die dem rechten Spektrum der politischen Landschaft zuzuordnen sind. Das Ziel dieser Begegnungen sollte nicht allein das gegenseitige Zuhören sein, sie sollten auch, nicht minder wichtig, die Israelis mit den deutschen EU-Positionen zur Beilegung des Konflikts bekannt zu machen und ihnen zu erklären, wie Israel in Deutschland wahrgenommen wird.

Jenseits des Geschehens - klar bleibt die Aussage der Kanzlerin von der Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson (was immer man darunter verstehen mag). Doch die Enttäuschung Deutschlands in Anbetracht der israelischen Palästina- und Siedlungspolitik in den vergangenen Jahren kann nicht mehr verheimlicht werden, denn diese Siedlungspolitik lässt aus deutscher und auch aus europäischer Perspektive jede Aussicht auf eine Zweistaatenlösung schwinden. Die Enttäuschung der politischen Klasse wird durch eine indifferente bis negative Haltung großer Teile der deutschen Gesellschaft noch verschärft.

Fazit: Statt den deutschen Außenminister zu boykottieren, hätte sich Netanjahu mit Sigmar Gabriel treffen sollen. Das Treffen hätte er nutzen können, um nicht nur sein Verhalten zu erklären, sondern auch seine Ideen zur Zweistaatenlösung und zur Lage in Syrien ebenso darzulegen wie zur Bedrohung Israels durch Iran. Insofern hat Netanjahu durch sein Verhalten Israel einen Bärendienst erwiesen.

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Quelle:
SZ vom 05.05.2017/jly
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