Außenansicht:Populisten sind nützlich

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Die freien Gesellschaften werden an der Herausforderung wachsen. Drei Thesen zur Zukunft Europas und der Demokratie.

Von Daniel Dettling

Der Populismus sei eine Gefahr für Europa und die Demokratie, heißt es in Parlamenten, Talkshows und den (sozialen) Medien. Populisten seien Reaktionäre, die sich nach der intakten Welt eines eingebildeten goldenen Zeitalters zurücksehnen, so beschreibt es der in den USA lehrende Ideenhistoriker Mark Lilla in seinem Buch "Der Glanz der Vergangenheit". Sie kämpften gegen humanen Fortschritt und Aufklärung. Populismus ist auch ein kulturelles und mentales Phänomen. Wider seine Intention, gleichsam auf dialektische Weise, kann der Populismus auch dazu beitragen, dass die Zukunft besser wird. Drei Thesen zur Zukunft des Populismus und seinen Folgen für Europa und die Demokratie.

Erstens: Populisten sind wichtige Störer für eine bessere Zukunft, weil sie auf Konflikte hinweisen, sie überzeichnen und skandalisieren. Am Beispiel der Integrationspolitik wird dies besonders deutlich. Vor 2015, dem Jahr der "Willkommenskultur", als mehr als eine Millionen Geflüchtete nach Deutschland kamen, war Integration ein Thema für Minderheiten und Fachleute. Heute spricht das ganze Land darüber, wer bleiben soll und wie Integration besser gelingt. Und sie gelingt viel besser, als wir glauben. Die Arbeitsmarktintegration der neuen Geflüchteten habe sich zuletzt beschleunigt, meldet das Institut für Arbeit und Beschäftigung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Jeder Dritte von ihnen verfügt heute über ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Der wachsende Arbeitskräftemangel wird die Zahl weitersteigen lassen.

Der Islam passt immer besser zu Deutschland: Jeder zweite Muslim hat inzwischen einen deutschen Pass (Bertelsmann Stiftung). Mehr als zwei Drittel der Deutschen sieht nach dem jüngsten Integrationsmonitor des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen Migration als Bereicherung an. So viel erfolgreiche Integration war noch nie in Deutschland.

These zwei: Der Populismus ist eine Chance für Europa. Denn Europa wird zu einem gesellschaftspolitischen Projekt. Die Gefahr von rechts lässt die große Mehrheit der Europäer über die Frage diskutieren, welches Europa sie wirklich wollen. Die Tiraden von Donald Trump und das Anti-Europa-Getöse der Rechtspopulisten Marine Le Pen, Viktor Orbán und Alexander Gauland führen nicht zu weniger, sondern zu mehr Europa. Die Zustimmung zur Europäischen Union ist auf einem Rekordniveau (Eurobarometer 2018), vor allem bei den Jüngeren. Der nahende Brexit wird den pro-europäischen Parteien bei der Europawahl im Mai erhebliche Stimmenzuwächse bringen. Die globalen Zukunftsfragen Klimaschutz, Migration, Handel und Digitalisierung führen zu mehr Einigkeit innerhalb der EU als je zuvor.

Je länger Trump an der Macht bleibt, desto besser werden die Europäer auch in der Außen- und Sicherheitspolitik zusammenarbeiten. Der autoritäre und illiberale Populismus stärkt die "europäische Souveränität" (Emmanuel Macron) beispielsweise in Form einer europäischen Armee und eines europaweiten C0₂-Preises.

Der rechte Populismus führt auch zu einem solidarischen Europa. Auf die Währungs- und Wirtschaftsunion folgt die Sozialunion. Die EU wird nach innen und nach außen robuster. Was Sozialdemokraten und Grüne schon lange fordern, erhält auch bei Konservativen und Christdemokraten immer mehr Fürsprecher: eine europäische Arbeitslosenrückversicherung, gemeinsame Staatsanleihen (Eurobonds) und eine Mindestbesteuerung von global agierenden Konzernen.

Drittens stärkt Populismus die Demokratie. Die demokratische Antwort auf die Globalisierung ist ein Europa der Regionen und des ländlichen Raums. So ist für die Mehrheit in Deutschland Heimat nicht ihre Nation, sondern ihr Wohnort und ihre Region (Allensbach 2018). Die Zukunft der Demokratie entscheidet sich in den Regionen, Städten und Gemeinden vor Ort. Die Bürgermeister sind die wichtigsten Akteure einer demokratischen europäischen Bewegung. Die Welt wäre eine bessere, wenn Bürgermeister sie regieren würden, schrieb der 2017 verstorbene US-Politikwissenschaftler Benjamin R. Barber vor fünf Jahren.

Fragt man die Bürger heute, was sie am meisten im politischen Diskurs vermissen, sagen sie oft "Konstruktivität". Eine Mehrheit hat inzwischen die ewige Zuspitzung und Polarisierung satt. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass es nicht mehr um die Lösungen geht, sondern nur noch um die Ausbeutung der Probleme. Dass die Medien nur noch Negativität und Alarmismus verbreiten. Sie sehnen sich nach mehr Optimismus. Und nach charismatischen Persönlichkeiten, die Widersprüche versöhnen und die Energien "nach vorne" lenken. Ein neuer Politikertyp wird von immer mehr Bürgern nachgefragt: der Neo-Demokrat.

Neo-demokratische Politiker nehmen den Kampf gegen die rechten und linken Reaktionäre auf und setzen auf eine Weiterentwicklung der Demokratie. Neo-Demokraten verkörpern einen unternehmerischen Politikertyp, setzen auf mehr Beteiligung und Mitbestimmung und machen aus Volksparteien Plattformen für soziale Bewegungen. Zu ihnen gehören der Franzose Emmanuel Macron, der Deutsche Robert Habeck und der Niederländer Jesse Klaver. Statt die Gesellschaft weiter zu spalten, setzen sie auf Versöhnung.

Der Politikstil der Neo-Demokraten ist "radikal realistisch". Ihre Haltung kombiniert Gelassenheit mit Hoffnung und Zuversicht. Ihr Ziel ist eine bessere Zukunft, in der wir das Morgen nicht durch ein ideologisches Programm gewinnen, sondern durch ständiges Experimentieren und Improvisieren, Lernen und Verändern, Navigieren und Korrigieren. Ihr Ethos ist der europäische Gründungsmythos: die Aufklärung und die Emanzipation. Die große Zukunftsfrage ist die Verbindung von Demokratie und Vielfalt.

Nur wenigen Gesellschaften sei es bislang gelungen, beides zu sein, multiethnisch und demokratisch, schreiben die beiden US-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt in ihrem aktuellen Bestseller "Wie Demokratien sterben". Neo-Demokraten setzen auf eine inklusive Zivilgesellschaft, ein Bündnis der Globalisierungsgewinner mit den Globalisierungsskeptikern und auf einen starken Staat.

Die eigentliche Herausforderung ist die Komplexität der Politik. Damit moderne Politik, Wirtschaft und Gesellschaft funktionieren und sich weiterentwickeln können, braucht es Störungen von außen - Herausforderungen, an denen komplexe Gesellschaftsordnungen sich weiterentwickeln können. Die Zukunft des Populismus entscheidet sich in unseren Köpfen.

© SZ vom 23.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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