Außenansicht:Operation heiße Luft

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Gerhart Baum, 86, war von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister. Zu seinen Aufgaben gehörte auch der Umweltschutz. Seine Anwaltskanzlei vertritt Dieselbesitzer im Abgasskandal. (Foto: Michael Sohn/picture alliance/AP Images)

Wer im Dieselstreit die Gewaltenteilung für einen kurzfristigen politischen Vorteil aufs Spiel setzt, der gefährdet den Rechtsstaat.

Von Gerhart Baum

In meinem langen politischen Leben habe ich noch nie erfahren müssen, dass die Achtung vor Recht und Gesetz durch die Politik in einem solchen Maße schwindet, wie das heute geschieht. Der Respekt vor einer unabhängigen Justiz und vor der Gewaltenteilung nimmt ab. Einige Politiker fühlen sich allmächtig und vergessen, dass die Politik in besonderer Weise an Recht und Gesetz gebunden ist. Das zeigt sich im Umgang der Politik mit der Verfassung bei sogenannten Sicherheitsgesetzen, jetzt vor allem aber bei der Argumentation gegen Fahrverbote.

Man kann über Fahrverbote politisch streiten, man kann eine Änderung der Grenzwerte und der Messstellen fordern. Aber man kann sich zur Abwehr des verständlichen Volkszorns nicht über das Recht hinwegsetzen. Man kann versuchen, das Recht zu ändern, und das geht nur auf europäischer Ebene. Aber solange das Recht gilt, muss es respektiert werden.

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Es ist das Versagen der Politik, das zu dieser Situation geführt hat. Die Politik hat über Jahrzehnte gemeinsame Sache mit der Automobilindustrie gemacht und so notwendige Innovationen verhindert. Dort liegt die Verantwortung für die aktuelle Bedrohung der Umwelt und der individuellen Mobilität und auch für die Bedrohung der Arbeitsplätze. Sie sind im Übrigen nicht bedroht, wenn man die richtigen Autos baut.

Millionen Käufer von Dieselfahrzeugen sind geschädigt und bisher im Gegensatz zu den USA nicht entschädigt worden, obwohl das Recht der Europäischen Union seit Jahren eindeutig und verbindlich ist. Den Sinn dieses Rechts darf man anzweifeln, aber noch gelten die Gesetze. Sie beruhen auf jahrelangen Untersuchungen. Die Politik wusste, dass die Grenzwerte nicht eingehalten wurden, hat aber nicht gehandelt. Warnungen gab es genug. Meine Forderung aus dem Jahre 2015 "Wir müssen das Auto neu denken" war nur eine von vielen. Die Automobilindustrie hat die Käufer über den Ausstoß an Abgasen getäuscht. Nicht alle Maßnahmen, um die Fahrzeuge nachzurüsten, sind erfolgreich gewesen.

Gerichtsurteile lassen sich nicht mit politischen Stellungnahmen aus der Welt schaffen. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Februar 2018 ein Grundsatzurteil gesprochen, wonach beschränkte Fahrverbote für bestimmte Dieselfahrzeuge rechtlich und tatsächlich nicht ausgeschlossen sind. Die Politik klammert sich an die Forderung des Gerichts, dass Verbote verhältnismäßig sein müssen. Das ist aber selbstverständlich. Staatliche Entscheidungen müssen diese Forderung immer erfüllen. Ich habe meine rechtlichen Zweifel, ob man durch eine - im Übrigen gegen europäisches Recht gerichtete - neue Grenzwertfeststellung die Verhältnismäßigkeit definieren kann. Im Zweifel wird man es mit einem Vertragsverletzungsverfahren und mit dem Europäischen Gerichtshof zu tun bekommen, wenn Deutschland europäisches Recht bricht.

Ganz und gar falsch ist es, von Enteignung zu sprechen. Denn mit einer Enteignung entzieht der Staat zum Wohle der Allgemeinheit ein eigentumsrechtliches Vermögensgut. Im Falle der Fahrverbote wird die rechtliche Zuordnung zu dem Eigentümer des Fahrzeugs nicht aufgelöst. Es wird die Nutzbarkeit eingeschränkt. Umweltregeln greifen in die Rechte der Bürger ein und kosten Geld. Sie können Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmen. In meiner Zeit als Umweltminister haben wir den Abgaskatalysator auf den Weg gebracht. Das Auto wurde teurer. Strenge Auflagen für Großfeuerungsanlagen haben damals den Kraftwerken erhebliche Investitionen abgefordert - ein Meilenstein in der Geschichte der Luftreinhaltung.

Bisweilen wird im Zusammenhang mit den Grenzwerten und den Fahrverboten auch ein Moratorium gefordert. Was soll das sein? Welche Rechtsform soll es haben? Wenn der Gesetzgeber etwas nicht tun darf, dann ist es das punktuelle Außerkraftsetzen von Gerichtsentscheidungen.

Man mag die Deutsche Umwelthilfe beurteilen, wie man will. Aber sie ist nicht die Ursache der Lage. Sie nutzt die Rechtslage. Sonst würde es jemand anderes tun. Es ist absurd anzunehmen, man könnte Fahrverbote verhindern, indem man den Rechtsstatus der Umwelthilfe verändert. Auch hier gilt ein Gesetz: die Abgabenordnung. Wie alle gemeinnützigen Vereine hat die Umwelthilfe Anspruch auf diese Einstufung, wenn sie die Voraussetzung erfüllt. Sie kann das, wenn nötig, gerichtlich überprüfen lassen.

Es gibt ein Spannungsverhältnis zwischen individueller Mobilität und Schutz der Gesundheit, und man kann verstehen, dass dies die betroffenen Autohalter mit Kritik erfüllt. Das Ziel muss sein: verlässliche Lösungen mit neuen Mobilitätskonzepten voranzutreiben und das Auto der Zukunft auf den Markt zu bringen. Wer aber die Gewaltenteilung für einen kurzfristigen politischen Vorteil aufs Spiel setzt, der gefährdet unsere rechtsstaatliche Ordnung. Die Politik sollte sich hüten, den Menschen falsche Hoffnungen zu machen.

Für das Auto der Zukunft ist aber nicht nur der Umweltschutz entscheidend, auch der Datenschutz ist wichtig. Im digitalen Zeitalter ist das Auto nämlich - und darauf wird viel zu wenig Bezug genommen - auch eine Gefahr für den Grundrechtsschutz. 2008 hat Karlsruhe das sogenannte Computergrundrecht etabliert. Mit ihm soll die "Vertraulichkeit und Integrität eigengenutzter informationstechnischer Systeme" geschützt werden. Ein solches System ist zum Beispiel das Smartphone und auch das Auto. Das Auto ist sozusagen ein "fahrender Computer". Das moderne Auto ist intelligent und vielfach vernetzt. Mehr als 40 Prozent seines Herstellungsaufwandes entfallen auf die Elektronik. Das ist ein erfreulicher Fortschritt, der auch der Sicherheit im Straßenverkehr zugutekommt. Die Kehrseite der Entwicklung ist die Tendenz zum gläsernen Fahrer. Das Fahrzeug sendet zahlreiche Signale an den Hersteller, darunter auch persönliche Daten über das Fahrverhalten im weitesten Sinne. Das darf nicht hinter dem Rücken des Halters geschehen. Transparenz und Selbstbestimmung sind gefordert. Es geht nicht an, dass die Hersteller nicht offenlegen, was sie speichern. Und es geht schon gar nicht, dass Daten an Dritte weitergegeben und kommerziell verwendet werden. Halter und Fahrer müssen wissen, welche Daten das Fahrzeug speichert, und sie allein müssen bestimmen können, was mit ihnen geschieht.

Datenschutz muss künftig Zulassungsvoraussetzung sein, genauso wie Umweltschutz und Verkehrssicherheit. Ich bin mir sicher, dass die Käufer zunehmend auf die Erfüllung dieser Voraussetzungen Wert legen werden. Zur Lösung dieser Probleme ist ruhige Vernunft gefordert und nicht die aufgeregte Suche nach Scheinlösungen.

© SZ vom 07.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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