Außenansicht:Öl als Waffe

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Saudi-Arabien führt einen modernen Wirtschaftskrieg - die Folgen könnten vor allem für Iran verheerend sein.

Von Ulrich Blum

Seit einiger Zeit ist der Benzinpreis im Keller, die Kaufkraft der Bürger steigt um Milliarden - allerdings kommt, anders als früher, diese Freude nur begrenzt in der Wirtschaft an. Etwas hat sich geändert, insbesondere: Die Aktienkurse als Gradmesser der Wirtschaft fallen ebenso wie der Ifo-Index. Was ist passiert? Weshalb steigen die Risiken? Saudi- Arabien führt einen Wirtschaftskrieg mit Öl als Waffe und hat damit die Risiken in Nahost weiter forciert.

Der Wirtschaftskrieg soll als dauerhaftes Zerstören von Kapital bei gutem Gewissen der Handelnden definiert sein. Typischerweise bleiben Sach-, Human- und Sozialkapital auf der Strecke. Im Gegensatz zum normalen Wettbewerb sind diese so stark entwertet, dass sie nicht weiter produktiv verwendet werden können.

Wirtschaftskrieg war lange Zeit ein Teil der militärischen Kriegsführung. Bereits vor knapp 100 Jahren verwies der hallesche Forscher Professor Georg Brodnitz auf das intelligente, wirtschaftskriegerische Handeln Englands: Anfangs stand demnach die Durchsetzung der Verpflichtung des Ausweises von Herkunftsbezeichnungen - beispielsweise Made in Germany - im Merchandise Marks Act 1887 im Vordergrund, um den eigenen Markt vor Importen zu schützen. Später, im Ersten Weltkrieg, kamen dann offene und subtile Methoden hinzu, dem Außenhandel des Kaiserreichs zu schaden. Die Reichsregierung hatte seinerzeit dieser sehr intelligenten Form von Rivalität nichts entgegenzusetzen. Heute ist Wirtschaftskrieg allgegenwärtig - zwischen Unternehmen, aber auch zwischen Ländern; das reduziert scheinbar die militärischen Risiken, wirkt aber oft ähnlich zerstörerisch.

Die liberale Sicht lautet, dass Länder, die miteinander einen intensiven Handel pflegen, gegeneinander keinen Krieg führen sollten, da beide Seiten von der Stabilität ihrer Beziehungen profitierten. Die reale Anschauung zeigt allerdings, dass aus historischer Perspektive Kriege vorrangig - und dann besonders heftig - zwischen solchen Kontrahenten geführt wurden, die intensiv miteinander verflochten waren; beispielhaft hierfür sind England und Deutschland im 20. Jahrhundert. Wie er-klärt sich dieser Widerspruch? Die Handelserwartungstheorie führt folgendes Kalkül aus: Die Länder vergleichen die Erträge des gegenwärtigen Handels mit denen des künftigen Handels. England war damals zwar die größere Ökonomie, Deutschland aber die dynamischere. Ist der Ausblick negativ, weil sich vermutete starke Abhängigkeiten gegen einen selbst wenden könnten, und ist die gegenwärtige Position, vor allem die militärische, hingegen stark, dann kann unter den Bedingungen einer aktuell vorhandenen hohen Siegeszuversicht ein sofortiges oder baldiges militärisches Zuschlagen rational sein. Dieser Idee haben wir in der Dominanzerwartungstheorie einen allgemeinwirtschaftlichen Fokus gegeben: Wenn sich wirtschaftliche Gleichgewichte verschieben, kann es für diesen rational sein, bereits heute einen Wirtschaftskrieg zu entfesseln.

Iran kann seit dem Ende der Handelsbeschränkungen als strategischer Konkurrent agieren

Das moderne Waffenarsenal ist vielfältig: Man muss nicht nur an Boykotte und Sanktionen denken; Länder vom Zahlungsverkehr auszuschließen oder ihr Informations- und Kommunikationssystem lahmzulegen ist mindestens so effektiv, und oft ist der Aggressor gar nicht zu identifizieren. Das volle Arsenal der verbundenen ökonomischen Waffensysteme war gut im Fall Iran zu beobachten.

Die neue Sicht auf den Ölpreisverfall als Ausdruck eines Wirtschaftskriegs wird besonders an der Position Saudi-Arabiens deutlich. Dabei muss diese Bedrohung gar nicht real sein - wenn sich bei den Eliten eines Landes die Meinung festsetzt, wirtschaftliche Dominanz künftig zu verlieren, kann daraus reales Handeln entstehen. Die Sorge, den Schutz der USA zu verlieren, erzeugt die Logik, die US-Fracking-Industrie ausschalten, um deren internationale Energieabhängigkeit zu erhalten.

Früher war Saudi-Arabien ein "Swing-Preis-Akteur", der durch die Variation seiner Fördermengen einen erträglichen Weltmarktpreis gewährleistete und die Preise glättete. Wenn die USA durch Eigenproduktion von dieser Preispflege unabhängig werden, könnten sie dann stärker als bisher auf Menschenrechtsfragen achten und das archaische Regierungssystem des Hauses Saud weniger unterstützen?

Derzeit liegt die Kostenschwelle der USA beim Fracking bei etwa 40 Dollar pro Barrel. Saudi-Arabien änderte eine Preisstrategie elementar und wurde zum Limit-Preis-Setzer: Es setzt den Preis auf den maximalen Wert, der gerade noch den Markteintritt von Konkurrenten beziehungsweise das profitable Produzieren vorhandener Wettbewerber unmöglich macht. Mit einem Preis von weniger als 40 Dollar pro Barrel ist in Amerika kein Gewinn mehr zu machen. Der Verfall der Weltpreise unter diese magische Grenze lässt die Förderung in den USA sinken. Das Kalkül geht auf, und in den kommenden Monaten wird sich eine größere Anzahl von Anbietern in Amerika vom Markt zurückziehen.

Mit dem Abschluss des Atomvertrags mit Iran im vergangenen Jahr hat sich das strategische Umfeld für Saudi-Arabien - und damit für seine Nachbarn - grundlegend geändert. Mit dem Ende der Beschränkungen im Handel und bei Finanzgeschäften kann das Land nun als strategischer Konkurrent Saudi-Arabiens agieren. Der Antagonismus liegt weniger in den Glaubensunterschieden als vielmehr im Streit um die Position als Regionalmacht. Hier ist Iran langfristig weit besser aufgestellt als der Wüstenstaat. Das Land besitzt noch aus der Zeit des Schahs eine hoch entwickelte Wirtschaft. Diese hat es dem Land in den Jahren des Boykotts ermöglicht zu überleben, weil die interne Diversifikation sehr hoch war. Damit besitzt Iran für eine langfristige wirtschaftliche Auseinandersetzung ein hohes Profil an Fähigkeiten sowie die Bereitschaft und den Willen, diese Fähigkeiten einzusetzen, wird man ihm nicht absprechen können.

Die Strategie der Saudis, ihr Öl zu Dumpingpreisen in den internationalen Markt einzuliefern, wird die Fähigkeit Irans schwächen, die Mittel für Modernisierungen durch eigene Ölverkäufe zu verdienen. Auch liegt es im Interesse Saudi-Arabiens, das Unruhepotenzial in Irans Nachbarland Syrien aufrechtzuerhalten. Dies schwächt den Investitionsstandort Iran. So wird es Iran schwer haben, sich ökonomisch - und somit auch politisch und sozial - zu modernisieren. Er fällt daher gleichermaßen als ernst zu nehmender ökonomischer und gesellschaftlicher Konkurrent aus. Ob diese Strategie allerdings friedensfördernd ist, gerade vor dem Hintergrund der politisch-militärischen Konflikte dort, muss ernsthaft bezweifelt werden.

© SZ vom 18.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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