Außenansicht:Neue Hoffnung für Tschechien

Czech presidential candidate Jiri Drahos and incumbent Milos Zeman shake hands after a televised debate ahead of an election run-off, in Prague

Unterschiedliche Haltungen: Herausforderer Jiri Drahoš (links) und Präsident Milos Zeman beim Handschlag nach einer Fernsehdebatte. Am 26. und 27. Januar treten beide in einer Stichwahl gegeneinander an.

(Foto: Reuters)

Die Tschechen sitzen in der Kneipe und meckern über Europa? Ja, das auch. Aber viele haben genug vom populistischen Miloš Zeman. Sie wünschen sich eine Kurskorrektur - und haben bei der Präsidentschaftswahl mit Jiri Drahoš einen vielversprechenden Kandidaten.

Gastbeitrag von Jaroslav Rudiš

Wir Tschechen, so sagt man, leiden darunter, dass wir kein Meer haben. Die Sehnsucht nach weiter See und frischer Brise ist groß, wie viele von meinen Landsleuten jedes Jahr in Kroatien beweisen, wenn sie sich an den Stränden in der Sonne in schön rot gegrillte Bratwürste verwandeln.

Doch wenn man genau hinschaut, findet man sogar in Tschechien so einige Meere. Das bekannteste ist wohl das böhmische Meer des Bieres. Das Baden im gut gekühlten Pils kann jede Seele trösten und ist nicht unmittelbar lebensgefährlich. Oder die schöne, sanft hügelige tschechische Landschaft. Wir Tschechen lieben das Wandern. Die kleinen Berge sind wie Wellen, die langsam durch die Landschaft streichen. Und dann haben wir noch die tschechische Politik. Das ist kein Stiller Ozean, sondern ein stürmischer See mit hohem, schnellem Wellengang und gefährlichen Strömungen. Dagegenzuhalten ist schwer; von der Politik wird man schnell seekrank. Hier hilft kein Bier oder Blick in das malerische Elbtal. Wir Tschechen müssen da einfach durch.

Und so wählen wir jetzt unseren neuen Präsidenten. Zur Zeit beziehen auf hoher See zwei Kriegsschiffe Stellung. Das erste ist der schwere Kreuzer des amtierenden Staatsoberhaupts Miloš Zeman. Der joviale Kapitän, der so gerne Witze erzählt, scheint mit seinem Gehstock gesundheitlich ziemlich angeschlagen zu sein, obwohl er betont, er sei fit und jung und voller Energie. An Bord wird der gute Magenlikör Becherovka serviert, sein Lieblingsschnaps, und aus dem Schornstein qualmt es gewaltig. Es sind nicht nur die vielen Zigaretten, die Zeman so gerne raucht, es stinkt auch nach russischem Schweröl aus Sibirien. Kein Wunder, die Offiziere um Kapitän Zeman sind bekannt für ihre regen Kontakte ins Reich Putins.

Zemans Berater Martin Nejedlý arbeitete für den russischen Mineralölkonzern Lukoil; bei der letzten Wahl spekulierte man darüber, dass Lukoil Zemans Wahlkampf bezahlt habe. Mancher glaubt, Nejedlý steht auch hinter der geistigen Verwandlung Zemans in den vergangenen Jahren. Von einem überzeugten Europäer ist er zu einem Populisten geworden, der sich mit den tschechischen Nationalisten und Rechtsextremisten umarmt und sein Schiff in Richtung russische Gewässer steuert.

Zemans Kreuzer scheint mit den altbewährten Geschützen der postsowjetischen Propaganda ausgerüstet zu sein, was unsere melodische Sprache gerade um das schöne neue Wort špínomety bereichert hat: Dreckwerfer. Die Kanonen sind schon lange geladen. Sie feuern jetzt ihre stinkende Munition ab. Ihr Ziel ist ein zweites Schiff, dessen Kapitän Jiří Drahoš heißt.

Es mag erstaunlich klingen, doch Drahoš kann man bis jetzt nichts vorwerfen

Vor ein paar Jahren haben ihn nur wenige gekannt. Jetzt hat der Chemiker und ehemalige Vorsitzende der tschechischen Akademie der Wissenschaften die Chance, Zeman in der Stichwahl an diesem Freitag und Samstag zu besiegen. Dass er im Wahlkreis um die Prager Burg vor einer Woche im ersten Wahlgang gewonnen hat, war abzusehen. Prag wählt immer liberal, immer gegen Zeman. Doch dass Drahoš auch in dem kleinen Dorf Lány ganz vorne liegt, das etwa fünfzig Kilometer vor den Toren der Hauptstadt liegt und wo die tschechischen Präsidenten wie auch Zeman ein Schloss mit einem großen Wildgehege besitzen - das ist ein Rätsel. Auf dem Land stehen sonst viele hinter Zeman. Er inszeniert sich gern als einfacher Mann, viele lieben seine Bodenständigkeit, seinen kruden Humor. Sie glauben, dass er sie versteht in einer Welt, die sie nicht mehr verstehen oder nicht verstehen wollen.

Es mag erstaunlich klingen, doch Kapitän Drahoš kann man bis jetzt nichts vorwerfen. Er wirkt bescheiden, ruhig, mit klarer Haltung. Sein Slogan ist: Unsere Stärke ist Anständigkeit. Er meidet Konflikte, denkt nach, bevor er etwas sagt. Er ist sich bewusst, wo wir Tschechen zu Hause sind: in der Mitte Europas, in der EU. Da man ihm nur schlecht etwas anhängen kann, müssen ihn die Dreckwerfer jetzt umso intensiver beschmutzen. Zemans Matrosen wissen genau, was bei vielen Wählern zählt: nicht Fakten, sondern Emotionen, vor allem Ängste.

Drahoš' Sieg stünde für einen Geisteswandel in Mitteleuropa

Sie stellen Drahoš als Wolf im Schafspelz dar und beschuldigen ihn der Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Geheimdienst - Beweise allerdings bleiben sie schuldig. Da Drahoš sich offen gegen Xenophobie ausspricht, wird nun herumposaunt, dass mit seiner Wahl Tausende islamistische Terroristen ins Land kämen und ein Bürgerkrieg bevorstehe. Sogar ein Foto mit der Kanzlerin Merkel ist aufgetaucht - als angeblicher Beweis für ein heimliches Treffen vor ein paar Tagen, wo die beiden abgemacht haben sollen, wie Tschechien künftig regiert wird. Egal, dass dieses Foto von einem Symposium der Chemiker in Prag 2013 stammt. Der einzige, der die Nation und unsere Kultur vor dem Untergang retten kann, ist, kein Wunder, Kapitän Zeman.

Gut, dass Drahoš Ruhe bewahrt und auch seine Anhänger das bislang tun. Denn dadurch hat sich die Wahl des Präsidenten zum Referendum über Zeman entwickelt, hinter dem die grundsätzliche Frage steht: Wohin steuert Tschechien? Nach der Parlamentswahl im vergangenen Herbst, als viele Bürger für die Populisten und Nationalisten gestimmt haben, spürt man jetzt den Wunsch manches Wählers nach einer Kurskorrektur.

Jaroslav Rudis

Jaroslav Rudiš, 45, ist tschechischer Schriftsteller, Dramatiker und Drehbuchautor. Auf der Leipziger Buchmesse erhält er den Preis der Literaturhäuser 2018.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)

Mit Drahoš kommt eine seit Langem nicht erlebte Hoffnung ins Land. Sie ist vor allem in Prag und in anderen Großstädten zu spüren, erobert aber langsam auch die kleineren Städte. Dies muss man als eine klare Botschaft aus Tschechien sehen. Viel zu oft werden wir als eine Nation voller Euroskeptiker dargestellt, die in den Kneipen sitzen und meckern. Ja, das tun wir auch, und das ist ja auch nicht immer schlimm. Aber man kann heute diejenigen nicht übersehen und überhören, die sich für Europa, für einen Wechsel, für eine offene Gesellschaft aussprechen, begeistern und sich politisch engagieren.

Alle anderen liberalen Kandidaten aus der ersten Wahlrunde wie auch ihre Wählerschaft stehen nun hinter Drahoš. Wenn sein Boot nicht Schiffbruch erleidet, wenn er es tatsächlich schafft und in die Prager Burg über der Moldau einzieht, wäre es nicht nur eine gute Nachricht für Tschechien, sondern auch ein wichtiges Signal für einen Geisteswandel im von Populismus geplagten Mitteleuropa.

Es wäre ein Kurswechsel. Das wilde Meeresrauschen in Tschechiens Politik würde sich ein wenig beruhigen: Zeman ginge in Rente. Und wir können entspannter im Biermeer schwimmen oder über die böhmischen Bergwellen wandern. Oder in aller Ruhe an die Adria fahren, an das richtige große Meer, und uns von der Sonne rot grillen lassen. Ach, wie schön wäre das.

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