Kirchentag:Kein Fußbreit Kirchenboden für die AfD

36. Evangelischer Kirchentag - Abendsegen

Teilnehmer halten am Brandenburger Tor Kerzen beim Abendsegen des 36. Evangelischen Kirchentags in Berlin in den Händen.

(Foto: dpa)

Es ist gut, dass der Evangelische Kirchentag die AfD nicht einlädt. Ein "Wir können ja mal drüber reden" ist fehl am Platz.

Gastbeitrag von Andreas Püttmann

Sie geht zu Ende, die mit "68" beginnende kulturelle Hegemonie sozialdemokratischer und liberaler Ideen; das politische Pendel schwingt machtvoll nach rechts. Damit werden aber nicht schlagartig alle Dogmen linksliberaler Geisteshaltung abgeräumt. Manche ragen aus der alten in die neue Zeit hinein wie erratische Blöcke, etwa die Überzeugung, dass die Mutter aller Problemlösungen der herrschaftsfreie Diskurs sei und die Todsünde dagegen jede Art von "Ausgrenzung". Der neue Descartes lautet: "Ich inkludiere, also bin ich": der vorbildliche Demokrat, der psychologisch sensible Mitmensch, der wahrhaft an die Moderne "anschlussfähige" Christ.

Dass alle Kultur nicht nur auf der Förderung des Guten, Wahren und Schönen beruht, sondern auch auf Ausgrenzungen des Menschenfeindlichen und Destruktiven, ist nach zwei Generationen selbstverständlich gewordenen Lebens in rechtsstaatlicher Sicherheit und Freiheit nicht mehr jedem präsent. Viele verkennen, dass humane Tabus nicht nur kognitiv, sondern auch sozialpsychologisch verteidigt werden, durch Signale der Billigung und Missbilligung, bis hin zu gesellschaftlicher Ächtung und Isolation. Das klingt autoritär, ist aber angesichts der ambivalenten Menschennatur nur realistisch. Es geriet vor allem dort in Vergessenheit, wo sich besonders viele "Menschen guten Willens" tummeln.

Daher überraschte nicht, dass die evangelische Kirche den neuen Rechtspopulisten, denen sie als "linksgrün versifft" gilt, zwar kritisch, aber dialogbereit gegenübertrat. Während Rechtspopulisten an der Macht in Polen und Ungarn die Gewaltenteilung, Bürger- und Medienfreiheiten angriffen, konnten weder menschenverachtende Einlassungen hoher AfD-Funktionäre noch die Verzerrung der Demokratie zur Quasi-Diktatur im AfD-Programm den Kirchentag 2017 davon abhalten, die Sprecherin des marginalen Christengrüppchens in der AfD durch die Einladung vor kirchliche Mikrofone gesellschaftlich und politisch aufzuwerten. Die Zauberformel "Mit Rechten reden" verfochten plötzlich auch frühere Vertreter strikter Ausgrenzung - jedenfalls, wenn sie selbst dadurch auf Podien katapultiert wurden, um sich als "Entzauberer" der AfD zu profilieren, in Erwartung sicheren Beifalls.

Die katholischen Reflexe hatten 2016 zunächst besser funktioniert: Der Leipziger Katholikentag fand ohne AfD-Redner statt. An Auseinandersetzung mit dem Rechtsruck in Europa mangelte es dennoch nicht, im Gegenteil. Die Vorstellung, dass es für die Beschäftigung mit jedem Übel auch eines Vertreters desselben als Gesprächspartner auf Augenhöhe bedürfe, ist ohnehin abwegig.

Für die Kirche kommt hinzu, dass sie mehr ist als eine Talkshow, bei der jeder mit jedem über jedes Thema mit jeglicher Position möglichst spannend diskutiert, egal mit welcher Wirkung in den Köpfen und Herzen.

Christen haben Zeugnis zu geben von Jesus Christus und von unaufgebbaren Normen einer "Kultur des Lebens" und personaler Würde in einer Ordnung der Freiheit. Das verlangt immer auch, "rote Linien" zu ziehen. Der Münchner Kardinal und Bischofskonferenzvorsitzende Reinhard Marx nannte da 2017 Fremdenfeindlichkeit, die Verunglimpfung anderer Religionsgemeinschaften, die Überhöhung der eigenen Nation, Gleichgültigkeit gegenüber der Armut in der Welt, Rassismus, Antisemitismus, Hassrede und eine grundsätzliche Infragestellung der repräsentativen Demokratie. Deshalb sei die AfD für Christen nicht wählbar. Transparente Kriterien, klare Konsequenz.

Kirchentag: Der Politikwissenschaftler und Publizist Andreas Püttmann, 54, schreibt und forscht über das Verhältnis von Christen und neuer rechter Bewegung.

Der Politikwissenschaftler und Publizist Andreas Püttmann, 54, schreibt und forscht über das Verhältnis von Christen und neuer rechter Bewegung.

(Foto: privat)

Die Rolle rückwärts brachte trotz der zwischenzeitlichen Radikalisierung der AfD der Münsteraner Katholikentag im Mai 2018. Ausgerechnet an dem Tag, an dem André Poggenburg unter dem Gejohle seiner Anhänger gegen Türken in Deutschland als "Kameltreiber" und "Kümmelhändler" und gegen Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft als "vaterlandsloses Gesindel" geiferte, wurde bekannt gegeben, dass mit Volker Münz erstmals ein AfD-Funktionär, anders als beim Kirchentag sogar ein hoher, auf ein Podium eines großen Christentreffens eingeladen würde. Der Wahlerfolg der Rechten, vielleicht auch die "liberalere" Haltung des Kirchentags, musste Eindruck gemacht haben - dem Vernehmen nach mehr bei einigen Ortskräften des Bistums Münster als im Zentralkomitee der Katholiken. Dass dessen Präsident die AfD nur wenige Monate später als "offen rechtsradikal" qualifizierte, machte das Einknicken der Münsteraner Organisatoren noch peinlicher.

Nun kehren die Evangelischen zur fahrlässig aufgegebenen katholischen Position zurück: Teilnahme am Kirchentag für jeden, unabhängig von Parteibuch oder Gesinnung, aber kein Podium für AfD-Funktionäre, entsprechend Karl Poppers "Toleranz-Paradoxon" aus dem Jahr 1945: "Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen."

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wirkt auf Kirchentagen besonders obszön. Die Opfer rechtspopulistischer Hetze dürfen ihren Peinigern nicht auch noch auf Christentreffen ausgesetzt werden. Das gebieten schon Empathie und Solidarität, aber auch Klugheit und Gerechtigkeit.

Das Gottesvolk bestätigt die Unvereinbarkeitserklärungen der Kirchen, allen Vernebelungsversuchen vom lauten, gut vernetzten rechten Kirchenrand zum Trotz. Bei einer Allensbacher Zählung vom März erreichte die AfD unter praktizierenden Christen (Teilnahme am Gottesdienst mindestens ab und zu) nur vier Prozent, bei konfessionslosen Bürgern 23. Wer den Inhaltsanalysen der Parteiprogrammatik nicht glauben oder folgen mag, der beziehe den Habitus der Rechten ein. Die schönsten Früchte des Christentums sind Empathie, Demut und Gelassenheit. Den Rechtspopulismus kennzeichnet das jeweilige Gegenteil: Empathielosigkeit, Hybris, Daueraufgeregtheit.

Nicht erst seit dem Schmierentheater um den "Trauermarsch"von Chemnitz sollte Freunden Jesu klar sein: Einer Wiederkehr "Deutscher Christen" im Schafspelz oder von rechtskatholischen Republikverderbern darf kein Fußbreit kirchlichen Bodens überlassen werden. Ein "Wir können ja mal drüber reden" ist da fehl am Platz, nicht nur bei Kirchen- und Katholikentagen, sondern in jedem Raum unter dem Zeichen des Kreuzes.

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