Außenansicht:Missernten und Misswirtschaft

Franz Fischler

Franz Fischler, 72, war von 1989 bis 1994 österreichischer Landwirtschaftsminister und von 1995 bis 2005 EU-Agrarkommissar.

(Foto: privat)

Klimawandel und Preisschwankungen bedrohen die kleinen Landwirte. Die Europäische Union aber würde mit ihren Plänen zum Schutz vor unfairen Handelspraktiken vor allem Lebensmittel-Multis stärken.

Von Franz Fischler

Agrarpolitik soll und will zu Recht das schwächste Glied in der Lebensmittelversorgungskette, die Landwirte, stärken. Früher hat man dieses Ziel über zunehmend striktere Marktordnungen zu erreichen versucht - mit der Konsequenz, dass Marktmechanismen ausgeschaltet wurden und in der Folge Getreideberge und Milchseen entstanden. Seit dem Jahr 1992 hat man die Marktordnungen zwar zurückgefahren, aber zu wenig darauf geachtet, die Marktmechanismen zum Funktionieren zu bringen und faire Verhältnisse zu schaffen. Heute geht es in der Agrarpolitik darum, Missstände wie wachsende Preisschwankungen und den Missbrauch von marktbeherrschenden Stellungen abzustellen und den Landwirten den ihnen zustehenden Ertrag zu sichern.

Diesem Ziel dient der von EU-Agrarkommissar Phil Hogan vorgelegte Richtlinienentwurf, mit dem Bauern vor unfairen Handelspraktiken geschützt werden sollen. Es kann und darf nicht sein, dass die Lebensmittelindustrie oder der Lebensmitteleinzelhandel den Landwirten kurzfristig Aufträge stornieren, dass die Bezahlung verderblicher Lebensmittel länger als 30 Arbeitstage dauert oder Vertragsänderungen rückwirkend und einseitig zulasten der Lieferanten vorgenommen werden. Lieferanten sollten auch nicht die Kosten für Ladeverluste tragen müssen, die sie nicht zu verantworten haben. Mit all dem hat Phil Hogan völlig recht.

Gleichzeitig sollten die Regulierungen aber nicht über ihr Ziel hinausschießen und sich über das Wettbewerbsrecht als einen wesentlichen Pfeiler unserer Wirtschaftsordnung oder über die gemeinsame Lebensmittelqualitätspolitik einfach hinwegsetzen, wie das zurzeit im Europäischen Parlament der Fall ist. Gute Politik besteht nicht in einem Alles-oder-nichts-Ansatz, sondern in der richtigen Balance, also im Ausgleich gegensätzlicher Interessen.

So ist es sicher nicht im Interesse der Landwirtschaft, wenn das EU-Parlament jetzt in die geplante Regulierung sämtliche Lieferanten der Versorgungskette einbeziehen will - also auch die internationalen Lebensmittelkonzerne. Unilever, Nestlé und Co. müssen nicht vor unfairen Handelspraktiken und übergroßer Abnehmermacht des Lebensmitteleinzelhandels geschützt werden. Auf diese Weise würde lediglich die ohnehin starke Verhandlungsposition der Lebensmittel-Multis weiter gestärkt, zumal die in Aussicht genommenen Verbote ja nicht wechselseitig gelten, sondern allein den jeweiligen Abnehmer binden sollen. Jedenfalls würden die Landwirte und kleinen Erzeuger davon nicht profitieren, schließlich pflegen solche Konzerne ihre zusätzlichen Gewinne an ihre Aktionäre und nicht an die Lieferanten weiterzugeben.

Die EU will Landwirte stärken, aber sie darf sich nicht über das Wettbewerbsrecht hinwegsetzen

Umgekehrt könnten durch die geplanten Regelungen genossenschaftliche Zusammenschlüsse wegen der gewachsenen rechtlichen Risiken in Schwierigkeiten geraten, weil Kunden deswegen abspringen. Die Liste der diskutierten Verbote, mit denen in die Vertragsfreiheit von Käufern und Lieferanten eingegriffen werden soll, ist so lang wie fragwürdig. Nur einige Beispiele: Vorschriften des Einkäufers zu Umweltschutz und Tierschutz, die über die bestehende Gesetzeslage hinausgehen, sollen künftig verboten sein. Bessere Standards sind aber wesentliche Elemente im Qualitätswettbewerb und liegen vor allem auch im Interesse der Konsumenten und Qualitätsproduzenten.

Statt Rabattsysteme, Listungsgebühren, Auslistungen, Aktionsvergütungen oder Werbekostenzuschüsse zu verbieten, wäre es erfolgversprechender, diese transparent zu machen, um allen Marktbeteiligten denselben Informationsstand zu gewährleisten. Intransparenz ist Gift für das Funktionieren der Marktwirtschaft und muss sanktioniert werden. Wenn aber die Möglichkeiten zur Vertragsgestaltung zwischen den Handelspartnern zu stark beschnitten werden, entstehen neue Grauzonen. Das schadet sowohl Landwirten und Konsumenten als auch den an fairen Bedingungen interessierten Marktteilnehmern.

Mehr Transparenz ist auch in der Agrarpolitik der EU selbst vonnöten, wenn die unsichtbare Hand des Marktes statt der Marktordnungen wirken soll. Es braucht ein EU-weites Preismonitoring und eine EU-weit verpflichtende Preisberichterstattung nach einem einheitlichen Schema, sodass Preisentwicklungen auch europaweit kommuniziert werden können. Dabei genügt es nicht, die Preise für die Grundprodukte zu publizieren, sondern es müssen auch die Verarbeitung und der Handel miteinbezogen werden.

Doch bis jetzt herrscht nicht einmal bei den Grundprodukten die notwendige Transparenz. Schlimmer noch: Wir haben in Europa nicht einmal eigene, EU-weit gültige Börsennotierungen, sondern verwenden die Notierungen von New York oder Chicago. Bis heute hat Europa keine europäische Warenterminbörse zustandegebracht. Wen wundert es da noch, dass der Börsenhandel, der ein wichtiges Instrument zur Preisstabilisierung sein könnte, in Europa massiv unterentwickelt ist?

Wären die Märkte transparent, dann wäre es auch leichter, den größten Störfaktor, nämlich die Preisschwankungen, in den Griff zu bekommen. Das ist deshalb dringend notwendig, weil mit den Folgen des zunehmenden Klimawandels und den zu erwartenden Folgen von protektionistischen Maßnahmen spontane Preissprünge häufiger und die negativen Folgen für alle Beteiligten drastischer werden. Die Preise ließen sich stabilisieren, indem unsere Produktionssysteme durch bessere Züchtung, ein verbessertes Pflanzenmanagement, durch technische Schutzmaßnahmen wie Hagelnetze oder durch Beregnung resilienter gemacht werden. Zum anderen müssen unzumutbare Risiken für den Landwirt durch entsprechende Naturalversicherungen abgemildert werden.

Europa wäre gut beraten, unter Zuhilfenahme öffentlicher Mittel wirksame Instrumente zum Risikomanagement anzubieten. Dabei darf Europa aber nicht die Fehler der USA wiederholen. Die Amerikaner haben in ihrem derzeit gültigen nationalen Agrarförderprogramm eine Einkommensversicherung geschaffen, bei der man sich nicht nur gegen Naturereignisse, sondern auch gegen Preisverfall oder Nachfrageflauten versichern kann. Das mag zwar für die Landwirte attraktiv erscheinen, ist aber bei genauer Betrachtung ein Instrument, das am Ende die Märkte zum Erliegen bringen kann.

Die Flächenförderung, in die zwei Drittel des Agrarbudgets fließen, sollte man nicht zuletzt ebenfalls überdenken: Sind Flächenprämien nicht nach Betriebsgröße abgestuft, verzerrt die Landwirtschaft selbst die Wettbewerbsverhältnisse.

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