Außenansicht:Mehr Schutz für die Nichtraucher

Von Ulrich Keil

Die Initiative von EU-Verbraucherkommissar David Byrne, in Gaststätten, Cafés und Restaurants EU-weit ein komplettes Rauchverbot durchzusetzen, ist sehr zu begrüßen und längst überfällig.

Die Weltgesundheitsorganisation in Genf weist schon seit Jahrzehnten darauf hin, dass es sich beim Rauchen um den wichtigsten Risikofaktor für die Gesundheit handelt. Tatsächlich verursacht das Rauchen in Deutschland jährlich mehr als 110 000 frühzeitige Todesfälle; Raucher verlieren im Durchschnitt mindestens acht Jahre ihres Lebens. Bei Männern ist das Rauchen für 38 Prozent aller Krebserkrankungen verantwortlich. Der englische Epidemiologe, Sir Richard Peto, meint: "Rauchen hat mehr Krebs verursacht, als die Medizin je geheilt hat." Schon vor vielen Jahren konnte man auf einer großen Reklame-Leinwand in der westaustralischen Stadt Perth lesen: In Australien sterben mehr Menschen durch Rauchen als die Gesamtzahl der durch Alkohol, Drogen, Mord, Selbstmord, Straßenverkehrsunfälle, Eisenbahnunfälle, Luftverkehrsunfälle, Vergiftungen, Ertrinken, Aids, Feuer, Stürze, Blitzschlag, Stromschlag, Schlangen, Spinnen, Haifische und Krokodile verursachten Todesfälle. Neueste Berechnungen zeigen, dass in den westlichen Ländern unter den zehn Hauptrisikofaktoren für die Gesundheit das Rauchen den größten Anteil hat.

Vor diesem Hintergrund sollte man annehmen, dass die Regierungen zivilisierter Länder im Sinne einer modernen Gesundheitspolitik alle Register ziehen, um das Rauchen zurückzudrängen. Dazu gehört ganz vordringlich auch der Schutz der Nichtraucher vor Umweltrauch beziehungsweise dem Passivrauchen. Unter Passivrauchen versteht man das unfreiwillige Einatmen von Tabakrauch aus der Raumluft. Tabakrauch enthält neben dem bekannten Nikotin, dem eigentlichen Stoff der Begierde für den Raucher, mehrere tausend chemische Substanzen, unter denen viele toxische und kanzerogene Stoffe sind, die auch von Nichtrauchern aus der Raumluft aufgenommen werden und zum Beispiel im Blut oder Harn nachgewiesen werden können.

Zahlreiche nationale und internationale Gremien haben im vergangenen Jahrzehnt das Passivrauchen als Krebs erregend für den Menschen eingestuft. Neben der kanzerogenen Wirkung verursacht Passivrauchen weitere akute und chronische Gesundheitsschäden einschließlich Husten, Übelkeit, Kopfschmerzen, Asthma, Bronchitis und Herz- Kreislauf-Erkrankungen. Kinder leiden besonders stark unter Umweltrauch. Epidemiologische Studien haben unmissverständlich gezeigt, dass Nie-Raucher, die längere Zeit Passivrauch ausgesetzt waren, ein 20 bis 30 Prozent erhöhtes Risiko nicht nur für Lungenkrebs, sondern auch für Herzinfarkt haben. Damit gehört Umweltrauch zu den wichtigsten Umweltgefahren in unserer Gesellschaft. In Restaurants, Gaststätten und Bars ist die Passivrauchbelastung im Vergleich zu Büroräumen bis zum Sechsfachen erhöht. Ganz offensichtlich müssen Nichtraucher, die viele Jahre in Gaststätten, Cafés und Restaurants arbeiten und dort extremem Umweltrauch ausgesetzt sind, mit starken Beeinträchtigungen ihrer Gesundheit rechnen.

Umgekehrt hat sich gezeigt, dass rauchfreie Arbeitsplätze sich bereits kurzfristig positiv auf die Gesundheit der Beschäftigten auswirken. Beim Personal des Gaststättengewerbes lässt sich schon wenige Monate nach der Einführung eines Rauchverbots eine Verminderung von Atembeschwerden und eine Verbesserung der Lungenfunktion feststellen. Zudem führt die Schaffung rauchfreier Arbeitsplätze, rauchfreier öffentlicher Einrichtungen wie gastronomische Betriebe, Schulen, Kinos und Krankenhäuser, sowie rauchfreier öffentlicher Verkehrsmittel zu einer Verringerung der Raucherquote und des Pro-Kopf-Verbrauchs von Tabakprodukten, da Raucher infolge der Ausweitung von Nichtraucherzonen darin unterstützt werden, ihren Konsum einzuschränken oder ganz einzustellen. Lufthansa und Deutsche Bahn haben hier erste Schritte in die richtige Richtung getan.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Gefahren des Passivrauchens hätten in Deutschland von einer verantwortungsbewussten Politik schon längst in effektive Gesetze und Verordnungen zum Schutze der Nichtraucher umgesetzt werden müssen. Davon ist aber in unserem Lande wenig zu spüren. Stattdessen haben wir es mit einer Regierung zu tun, die auf dem Gebiet "Gesundheit fördern - Tabakkonsum verringern" kläglich versagt. Diese Aussage wird besonders durch die erschreckende Zunahme des Rauchens bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren untermauert. Die Abhängigkeit von und die Angst vor Lobbyistengruppen (Zigarettenindustrie, Automatenindustrie, Werbebranche, Printmedien) spielt bei der Tabakprävention oder vielmehr Nichtprävention in unserem Land schon seit geraumer Zeit eine überragende Rolle. Deutschland gehört inzwischen nicht nur beim Wirtschaftswachstum, sondern auch bei einer wirksamen Tabakkontrollpolitik als wichtigem Element einer modernen Gesundheitspolitik zum Schlusslicht in der EU und stößt bei EU-Verbraucherkommissar David Byrne nur noch auf Unverständnis und Unwillen. In Bezug auf die Tabakpolitik hat sich die rot-grüne Regierung in der EU isoliert. Der vorläufige Höhepunkt dieser Isolation ist die Klage der Regierung vor dem europäischen Gerichtshof in Luxemburg gegen das Gesetz des Europäischen Parlaments, die Werbung für Tabak ab 2005 EU-weit zu verbieten.

Die Initiative von David Byrne, ein komplettes Rauchverbot in Gaststätten, Cafés und Restaurants durchzusetzen, ist auch deshalb sinnvoll, weil sie in ein Gesamtkonzept zur Tabakprävention in Europa eingebettet ist. Hierzu gehören drastische Tabaksteuererhöhungen, ein umfassendes Tabakwerbeverbot, Bekämpfung des Zigarettenschmuggels, Abschaffung der Zigarettenautomaten (mit 850000 Zigarettenautomaten ist Deutschland unangefochten Weltmeister), Durchsetzung des Nichtraucherschutzes auf allen Ebenen, umfassende Verbraucherinformationen und Verkaufsbeschränkungen, die das Jugendschutzgesetz ernst nehmen.

Gleichzeitig muss das medizinische Versorgungssystem Beratungs- und Behandlungsmaßnahmen zur Tabakentwöhnung anbieten. Auch die Massenmedien müssen sich ihrer Verantwortung bewusst werden und der Werbung für Gesundheit gegenüber Zigarettenreklame den Vorzug geben.

Die Betreiber von Gaststätten, Cafés und Restaurants werden bald merken, dass sie mit einem Rauchverbot auf mehr Zustimmung als Ablehnung in der Bevölkerung stoßen werden. In Boston ist das Rauchen in Kneipen und Restaurants seit dem 1. Mai 2003 verboten; Umsatzeinbußen in der Gastronomie sind nicht aufgetreten. Die Zustimmung wird übrigens nicht nur von den Nichtrauchern und besonders vom nichtrauchenden Personal, sondern auch von einem erklecklichen Teil der Raucher kommen, die - man glaubt es kaum - erwiesenermaßen in ihrer Mehrheit selber auch lieber unbelastete Raumluft einatmen möchten.

Ulrich Keil, Professor für Medizin, ist Direktor des Instituts für Epidemiologie und Sozialmedizin der Universität Münster. Foto: privat

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