Außenansicht:Lob des Freihandels

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Hermann Lotze-Campen, 50, leitet das Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam und hat ein Modell entwickelt, um die Zusammenhänge von Landwirtschaft, Klimawandel und Handel zu analysieren. (Foto: privat)

Wie mit dem ungehinderten Export von Fleisch, Früchten und Gemüse die Umwelt geschützt werden kann.

Von Hermann Lotze-Campen

Der Klimawandel wird uns alle treffen; ausgerechnet die Armen dieser Welt jedoch besonders hart. Denn wenn wir Kohle und Öl verfeuern und mit dem Ausstoß von Treibhausgasen unseren Planeten aufheizen, gefährdet das auch die Landwirtschaft. Wir müssen mit extremen Wetterlagen rechnen, mit mehr Dürren und mehr Überflutungen. Und so auch mit mehr Missernten. Die Preise von Weizen, Mais und Reis werden steigen, vor allem in Entwicklungsländern wird auf eine ausreichende Versorgung mit Grundnahrungsmitteln kein Verlass sein.

Der Freihandel könnte hier helfen - ausgerechnet. Denn nicht nur deutsche Umweltaktivisten, auch der designierte US-Präsident Donald Trump stellen ihn vehement infrage. Die Forschung jedoch zeigt, dass gerade offene Agrarmärkte dazu führen, dass die Veränderungen der Produktionsbedingungen durch den Klimawandel besser aufgefangen werden können.

Natürlich kann der Handel mit Getreide oder Fleisch allein nicht das Problem von Treibhausgas-Emissionen lösen. Aber er kann ein Element von mehreren Instrumenten der Klimapolitik sein. Denn selbst wenn der weltweite Temperaturanstieg erfolgreich auf zwei Grad begrenzt wird, müssen ärmere Regionen unterstützt werden. So kann ein offenes Handelssystem besser einen Mangel oder einen Überschuss an Grundnahrungsmitteln zwischen unterschiedlichen Regionen ausgleichen.

Berechnungen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung zeigen, dass bei einer restriktiven Handelspolitik die Verluste durch den Klimawandel in der Landwirtschaft weltweit auf etwa 2,5 Billionen Dollar im Jahr steigen könnten. Würde der Handel hingegen weiter liberalisiert, ließen sich diese Verluste wenigstens halbieren. Offene Handelswege könnten also zu niedrigeren Nahrungsmittelpreisen führen. Das kommt am Ende vor allem ärmeren Bevölkerungsgruppen in den Entwicklungsländern zugute, die einen hohen Anteil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben müssen.

Wie es zu diesem Effekt des Freihandels kommt, lässt sich mithilfe von Computersimulationen zu Agrarproduktion und Agrarhandel zeigen. Wenn nationale Märkte für den internationalen Wettbewerb geöffnet werden, kann sich jedes Land auf jene Produkte spezialisieren, für die es die besten Anbaubedingungen hat und die es im Vergleich günstiger herstellen kann. Diese Möglichkeit wird umso bedeutender, je mehr sich in Zukunft die klimatischen Produktionsbedingungen für viele Agrargüter auch über Ländergrenzen hinweg verschieben.

Dieser Zusammenhang lässt sich am besten am Beispiel Wasser verdeutlichen: Auf die Landwirtschaft entfallen weltweit etwa 70 Prozent des Süßwasserverbrauchs. Vielerorts wird es knapp, weil zu viel in die Bewässerung von Feldern fließt und sich zugleich das Klima ändert und damit auch der Wasserkreislauf. Selbst wenn dann zu einer Jahreszeit sehr viel Wasser verfügbar ist, lässt sich dies oft nicht ohne Weiteres speichern, um es dann zur Hauptwachstumszeit der wichtigsten Kulturpflanzen nutzen zu können.

Die Verluste durch abgeschottete Agrarmärkte werden auf jährlich 2,5 Billionen Dollar geschätzt

Wasserknappheit kann in der Landwirtschaft zum Beispiel dadurch begegnet werden, dass möglichst trockenresistente Nutzpflanzen gezüchtet werden oder die Verluste in den Bewässerungssystemen deutlich reduziert werden. Hier gibt es große Spielräume. Aber auch durch den internationalen Handel mit Agrargütern wird in einem typischen Jahr Wasser im Wert von mehr als zwei Milliarden Dollar eingespart. Der Handel mit Nahrungsmitteln ist immer auch ein Handel mit Wasser - dem sogenannten "virtuellen" Wasser, das für die Produktion verbraucht wurde.

Dieser Wasserbedarf ist von Region zu Region sehr unterschiedlich. Für ein Kilo Getreide müssen in Marokko durchschnittlich 2700 Liter Wasser eingesetzt werden, in Deutschland hingegen nur 520 Liter. Ein offenes Handelssystem trägt dazu bei, dass wasserintensive Produkte eher in wasserreichen Regionen angebaut werden und dann mit anderen Agrarprodukten oder in Zukunft auch mit Sonnenstrom aus trockenen und heißen Regionen getauscht werden können. So wird in der Landwirtschaft insgesamt weniger Wasser benötigt, als wenn alle Länder versuchen, sich weitgehend selbst zu versorgen. Um die Folgen des Klimawandels abzumildern, dürfen wir auf diese Option in Zukunft nicht verzichten.

Dabei spielt auch die Veränderung von Ernährungsgewohnheiten eine wichtige Rolle. Wird zum Beispiel weniger Fleisch gegessen, wirkt sich das auf vielfältige Weise auf die Umwelt aus: Es wird weniger Wasser verbraucht, der Ausstoß von Treibhausgas sinkt und das Grundwasser wird weniger mit Nitrat durch Gülle belastet. Der internationale Handel kann dabei helfen, die Produktion in die Regionen zu verlagern, in denen die Emissionen aufgrund der Umweltbedingungen am geringsten sind. Das gesamte Agrarsystem wird so flexibler, was auch notwendig ist: In Zukunft müssen wesentlich mehr Menschen ernährt werden, gleichzeitig müssen zunehmend Auflagen zum Umwelt- und Ressourcenschutz berücksichtigt werden.

Doch eine weitere Öffnung der Märkte muss von der Politik begleitet werden. In trockenen Weltregionen zum Beispiel sollte die Wasserentnahme durch die Landwirtschaft reguliert werden; am besten durch ein lokal angepasstes Preissystem, das auch die Grundbedürfnisse armer Bevölkerungsschichten berücksichtigt. Ansonsten kann sich die Wasserknappheit in einer Region durch den Export von Agrargütern sogar verschlimmern. Die ist zum Teil in den USA oder Spanien zu beobachten, wo nicht erneuerbare Grundwasservorräte für den Anbau von Früchten und Gemüse leer gepumpt werden. Und es darf auch nicht so sein, dass Entwicklungsländer ihre Märkte öffnen - gerade Regionen wie Europa müssen ihre Agrarmärkte weiter liberalisieren und preisverzerrende Subventionen weiter abbauen. Bei der Öffnung der Agrarmärkte geht es am Ende also um das "wie", nicht nur um das "ob". Für die Bewältigung des Klimawandels sollten wir nicht auf ein einzelnes Werkzeug vertrauen, wir müssen die ganze Werkzeugkiste öffnen.

Wenn Deutschland jetzt den Vorsitz im G-20-Club der größten Wirtschaftsmächte übernimmt, dann ist das eine Chance. Gemeinsam können diese Staaten Klimapolitik, Agrarpolitik und Handelspolitik stärker verknüpfen. Es wäre ein Zeichen gegen den Trend, neue Grenzen zu setzen. Die Chancen einer gesteuerten Globalisierung, nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel weltweiter Arbeitsteilung und verbesserter Ressourceneffizienz, sollten wir unbedingt gemeinsam nutzen.

© SZ vom 04.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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