Außenansicht:Kühler Kopf und harte Hand.

Außenansicht: Karl-Heinz Paqué, 61, ist Professor für Internationale Wirtschaft und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Er war erst jüngst zu Gesprächen in den USA.

Karl-Heinz Paqué, 61, ist Professor für Internationale Wirtschaft und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Er war erst jüngst zu Gesprächen in den USA.

(Foto: privat)

Europa muss notfalls bereit sein, gegen Trumps Amerika einen Handelskrieg zu führen.

Von Karl-Heinz Paqué

Nun wird es ernst. Die Regierung Trump hat in einem Bericht für den Kongress ihre handelspolitische Strategie konkretisiert. Diese lautet in aller Klarheit: "America first!". Erstes Opfer dieser Politik sind die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Diese verbieten - bis auf wohl definierte Ausnahmefälle - Zollerhöhungen und andere einseitige Handelsschranken. Das ist aber genau das, was Donald Trump plant. Er will dabei die WTO-Regeln einfach ignorieren. Und er will das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) kündigen.

Wenn dies tatsächlich geschehen sollte, was heute niemand weiß, dann wäre es die größte Bedrohung des freien Welthandels seit dem Zweiten Weltkrieg. Das mächtigste Land der Welt mit der größten Volkswirtschaft, der selbsternannte Hort der freien Marktwirtschaft, verschreibt sich einem rücksichtslosen Protektionismus und macht einfach, was es will - ohne Rücksicht auf Vertragswerke, die sich über Jahrzehnte bewährt haben. Die eigene Unterschrift darunter wird gegenstandslos.

Das Zerstörungspotenzial einer solchen Politik ist enorm, und zwar nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch. Am deutlichsten wird dies am Fall Mexiko, und zwar unabhängig davon, ob die USA gegenüber Zuwanderern aus dem südlichen Nachbarland eine Mauer zu bauen. Es geht allein um die Bedeutung des freien Handels. Mexiko ist heute eine der größten Handelsnationen der Welt, mit einem Exportvolumen von zuletzt etwa 380 Milliarden Dollar im Jahr. Rund 80 Prozent der Exporte gehen in die Vereinigten Staaten, darunter viele Vor- und Zwischenprodukte. Diese sind Teil einer industriellen Wertschöpfungskette, die Mexiko ökonomisch zu einem zusätzlichen Südweststaat der USA macht - tief verflochten vor allem mit der Wirtschaft in Kalifornien, Arizona, New Mexiko und Texas, einer Region mit 73 Millionen Einwohnern. Zumindest der Norden und die Mitte Mexikos (einschließlich seiner riesigen Hauptstadt) haben ihre dynamische Wirtschaftsentwicklung der vergangenen zwanzig Jahre maßgeblich den Impulsen von Nafta zu verdanken. Dies hat die Nation mit ihren mehr als 120 Millionen Menschen auch politisch stabilisiert - trotz des starken Bevölkerungswachstums und trotz Drogenkriegen im Süden des Landes.

Kündigt nun Trump Nafta tatsächlich auf, so wird diese grenzüberschreitende Integration zerschlagen oder zumindest radikal eingeschränkt. Dies hätte Nachteile für beide Länder, aber natürlich wäre Mexiko in weit dramatischerer Weise ökonomisch betroffen als die USA. Noch verheerender wäre das politische Signal. Es würde lauten: Auf uns, die USA, ist niemals Verlass; selbst nach zwei Jahrzehnten der Integration stehen wir jederzeit bereit, die Tür wider zuzuschlagen. Ein solches Signal sät auf unabsehbare Zeit tiefes politisches Misstrauen. Andere lateinamerikanische Nationen und Mexiko selbst würden die Lehre ziehen: raus aus der Weltwirtschaft und zurück in eine Politik der Autarkie.

Es kommt darauf an, gezielt die Interessen der US-Exportwirtschaft zu treffen

Diese Politik ist aber in Südamerika eng verknüpft mit dem Aufstieg des Populismus. Als die Vereinigten Staaten 1930 dem Druck isolationistischer Kongressabgeordneter folgten und mit dem Smoot-Hawley-Act die Zölle auf Agrar- und Industrieprodukte massiv erhöhten, war es Argentinien, das besonders hart getroffen wurde - als großer Weizen- und Rindfleischexporteur. Es dauerte nur wenige Jahre, bis unter Juan Perón der strikt protektionistische Populismus die politische Bühne betrat und sie bis in die jüngste Gegenwart nicht mehr verließ. Noch heute leidet Argentinien unter den Folgen.

Es geht also um sehr viel bei Trumps Wendung zum Protektionismus. Mexiko wird es schwer haben, sich im Rahmen von Nafta dagegen zu wehren. Europa dagegen hat im Rahmen der WTO ganz andere und viel bessere Möglichkeiten. Sollte Trump Zölle drastisch erhöhen oder andere Handelshemmnisse aufbauen, greifen zunächst die üblichen Mechanismen der Streitschlichtung: Behauptet nämlich ein Land, ein anderes würde die Regeln verletzen, kann es ein Verfahren vor einem WTO-Schiedsgericht beantragen. Dieses entscheidet dann in einem überschaubaren Zeitraum, meist binnen eines Jahres. Gibt das WTO-Schiedsgericht der Klägernation recht, kann diese weitgehend nach freier Wahl mit harten Strafzöllen antworten. Es kommt dann zu Sanktionen, gewissermaßen unter WTO-Aufsicht. Die können in Branchen erfolgen, die überhaupt nichts mit dem eigentlichen Anlass zu tun haben. Ein Beispiel: Würde Trump gegen die WTO-Regeln die Einfuhr von Autos aus Europa mit Zöllen belegen oder mit Quoten begrenzen, könnte die EU das Gleiche bei Importen von Mikroprozessoren und Informationstechnik aus den USA tun - und das täte den Amerikanern besonders weh.

Allein die Ankündigung derartiger Sanktionen hat in der Vergangenheit oft Frieden gestiftet. Die Drohung wirkt, weil die Sanktionen fast immer so gewählt werden, dass sie den Handelspartner an der empfindlichsten Stelle treffen. Wird dies früh bekannt, kommt es häufig zu einer vorzeitigen Einigung. Der Grund ist einfach: Es werden die Interessen der Exportindustrie in der beklagten Nation gezielt geschädigt, und diese meldet sich dann lautstark politisch zu Wort. Das würde in dem Beispiel auch in den USA geschehen, denn Amerika besteht ja nicht nur aus einem Rust Belt von Altindustrien, sondern auch aus hochmodernen Hightech-Branchen, die massiv nach Europa exportieren.

Nur so könnte sich ein Donald Trump von seinem Protektionismus abbringen lassen - nicht aus Einsicht, sondern im amerikanischen Eigeninteresse. Dies setzt allerdings voraus, dass die EU-Länder sich intern einig sind, dass sie einen klaren Kopf bewahren und gute Nerven zeigen. Und sie müssen, wenn alles andere scheitert, auch mit harter Hand zu einem kontrollierten Handelskrieg und dessen ökonomischen Opfern bereit sein - sonst wirken die Drohungen nicht. Es könnte sogar so weit kommen, dass die USA aus der WTO ausscheiden. Das will niemand, aber die Antwort auf "America first" muss letztlich "Global Trade First" sein, denn ein mächtiger Vertragspartner, der sich mit voller Absicht nicht an einen multilateralen Handelsvertrag hält, würde dessen Substanz zerstören und einen fatalen Präzedenzfall setzen. Er muss dann eben gehen.

Aber so weit sind wir noch lange nicht. Wir wissen allerdings, dass es Donald Trump bitter ernst ist. Wir stehen damit vor einer der größten Herausforderungen für die transatlantischen Beziehungen. Europa trägt dabei eine große Verantwortung für die Freiheit des Welthandels. Es muss darauf vorbereitet sein - politisch, psychologisch und wirtschaftlich.

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