Außenansicht:Kapitalstarke Machtverhältnisse

Innovationspreis 2014

Wilhelm Heitmeyer, 71, war von 1996 bis 2013 Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld.

(Foto: Jan-Philipp Strobel/dpa)

Die Lehre aus Dortmund: Gewalt durch Fans gehört zum System des modernen Fußballs.

Von Wilhelm Heitmeyer

Die brutalen Vorgänge vor und während des Bundesligaspiels zwischen Borussia Dortmund und RB Leipzig könnten zum Symbol für entgrenzte Menschenfeindlichkeit und Gewalt im durchkapitalisierten Profifußball werden. "Dortmund" - bei der Nennung läuft fast automatisch ein Film in den Köpfen ab.

Worte und Mimik der Betroffenheit, so stereotyp, dass sie längst unglaubwürdig geworden sind. Einmal ein Spiel ohne Fans auf einer Tribüne, na und? Abwehr und Verschiebung der Verantwortung durch Vereinseliten gehören zum eingeübten Ritual. Besonders beliebt ist bei kalkulierenden Vereinsvorständen (nicht nur in Dortmund), politisch-korrekten Abgeordneten, ausweichenden Bundesligaspielern und auch hilflosen Betreuern von Fanprojekten bei der Frage nach Ursachen die formelhafte Antwort: "Das kommt doch in der Gesellschaft auch vor."

Offenkundig gibt es Verrohung und Gewalt in der Gesellschaft, in Familien, in Jugendcliquen, von links- oder rechtsextremen Gruppen oder in islamistischer Form. Trotzdem ist die Formel Unsinn, denn sie würde ja implizieren, dass das Fußballstadion quasi exterritoriales Gebiet mit eigenen Regeln sei. Die Absicht ist klar: Es geht um Selbstbetrug im Fußballmilieu und Verschleierung vor der Öffentlichkeit.

Dazu wird gern die Formel gebraucht, dass die Vorgänge im Stadion ein "Spiegelbild" der gesamten Gesellschaft seien. Dies dient wiederum der Selbstentlastung. Nein, Vorgänge wie in Dortmund sind kein Spiegelbild, sie sind ein Brennglas inmitten der Gesellschaft. Ein Brennglas verdichtet Strahlen zu großer Hitze und bringt die Umgebung, auf die sie gerichtet sind zum Glimmen und Entflammen.

Die Strahlen - um im Bild zu bleiben - werden durch die Logik des kapitalforcierten Profifußballs geliefert, ganz gleich, ob wie bei RB Leipzig eine "Dose promotet" werden soll, ob ein börsennotierter Verein wie Borussia Dortmund auf dem Rasen steht, ein bayerischer Verein auf kapitaldurchtränkten Märkten in China wie in den arabischen Emiraten entsprechendes absaugt oder ein skandalverseuchter Konzern in Wolfsburg großes Kapital einsetzt, um es in Renommee umzuwandeln.

Die Hitze und die Entzündungsfähigkeit entsteht nun in einem fußballspezifischen Setting in und um Stadien, das anderswo in der Gesellschaft so nicht existiert. Deshalb ist es so unsinnig, davon zu reden, dass das doch auch "in der Gesellschaft" vorkomme. Bei diesem Setting wirken verschiedene Elemente zusammen, unabhängig von der Vielfalt der zum Teil konkurrierenden Fangruppen.

Dazu gehört ein spezifisches Motivationsmuster: Man will sich um jeden Preis durchsetzen, Aggressivität ist dabei ein positiver Wert - auf und neben dem Platz. Eingebunden ist eine männerdominierte Milieustruktur, in der Gruppen ihre Stärke demonstrieren und eine Hierarchie zwischen den Fangruppen bilden. Die Gruppen wollen homogen sein, wobei Homogenität besonders anfällig macht für gewalttätiges Sich-Hochschaukeln, einerseits für den Sieg der Mannschaft und andererseits für die eigene Gruppenidentität.

Aus hässlichen Spruchbändern wird schnell menschenfeindliche Abwertung

Bekannt sind die vielen Feindbilder, meist schwache Gruppen wie Farbige, Juden, Homosexuelle, Behinderte. Sie finden auf Spruchbändern immer wieder ihre aufhetzende wie abwertende Verwendung. Neuerdings geht es - wie in Dortmund - besonders gegen die starke kapitalgesteuerte Konkurrenz. Auch Vereinseliten stimulieren neue Feindbilder, aus denen dann menschenfeindliche Abwertung wird. Hier entsteht Hitze, die Gewalt erzeugt. Sie wird hochgehalten und entflammt durch die kritische Masse von Fans im Schaufenster der Medien, die ihnen Anerkennung in einem verdichteten Raum mit eigener Dynamik und Körperkontakt verschaffen. Die Masse sorgt auch für Schutz vor individueller Strafverfolgung, was deutlich wird, wenn man das Ausmaß der Gewalttaten mit der Anzahl der Anzeigen vergleicht.

Aus diesem Setting, das sonst in dieser Form nirgendwo in der Gesellschaft zu finden ist, bedienen sich verschiedene aufgeheizte Fangruppen, die ausgerechnet mit dem Anspruch moralischer Überlegenheit auf Spruchbändern ("Ihr zerstört unsere Fußballkultur") ihre Gewalt rechtfertigen - und das als Fans eines börsennotierten Fußballunternehmens, ummantelt in Dortmund von "Echter Liebe".

Die Entgrenzung - und deshalb wieder das Synonym "Dortmund" - hat sich darin gezeigt, dass nicht Gewalt gegen verfeindete Gruppen wie sonst üblich ausgeübt wurde, sondern gegen erkennbar nicht auf Gewalt vorbereitete, friedliche Besuchergruppen, die stellvertretend als Symbole des verhassten kapitalstarken Feindklubs dienen mussten.

Der nachfolgende Doppelstandard ist augenfällig: Entschuldigungen, die nichts kosten, zahnlose Drohungen und gleichzeitig die klammheimliche Ermunterung, dass diese Gruppen zur Stimmungsmache gebraucht werden, um Legenden für den Verein zu bilden und die Rendite zu treiben. Die eingeübten und routinierten moralischen Aufforderungen ("Aufstand der Anständigen") haben eine rapide Verfallszeit und werden ohne Nachhall bleiben, die Auseinandersetzungen in den Fankurven dringen nicht durch oder dürften mancherorts aufgrund des Drohpotenzials gewalttätiger Gruppen kaum etwas bewirken. Die Forderung nach Repression der Ausschreitungen führt in dem beschriebenen Setting bei den betreffenden Gruppen nur zu weiteren gewalttätigen Innovationen. Eine war darin zu sehen, dass die menschenfeindlichen Spruchbänder über die gesamte "Süd" mit 24 000 Fans verteilt wurden. Im Nachhinein wird alles reduziert auf 500, aber wer hat dort mitgespielt?

Was hier vorgeht, ist nicht simpel, denn es geht um lernende Systeme. Die Polizei lernt von den Gewalttätern, aber auch die Gewalttäter lernen von der Polizei. Unterreaktion ermuntert zu neuer Gewalt, Überreaktion zur Solidarisierung, weil friedliche Fangruppen über kein so ausgeprägtes Gruppenbewusstsein verfügen wie im Dortmunder Fall etwa "Northside", "0231 Riot" oder "Desparados". Auf keinen Fall haben sie deren Drohpotenzial. Zudem scheinen einige Gewalttäter kein besonderes Interesse an einer strafrechtlich sauberen Normalbiografie zu haben, sie folgen eher dem Motto einer untergegangenen Subkultur: "Ein Skinhead ohne Knast ist wie ein Baum ohne Ast." Für seine Gesinnung bestraft zu werden, kommt in einigen Sub-Milieus Adelung gleich.

Dieses Spiel wird so weitergehen - trotz der angekündigten 88 bundesweiten Stadienverbote. Die Kosten für die Polizei trägt ja ohnehin die Restgesellschaft. So sehen kapitalstarke Machtverhältnisse aus - in und außerhalb der Stadien.

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