Außenansicht:Kampf um den Konsens

Arnold Wallraff; MEINUNG

Arnold Wallraff, 69, ist Wirtschaftswissenschaftler und Jurist. Von 2007 bis 2017 war er Präsident des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle.

(Foto: dpa)

Frankreich und Deutschland wollen gemeinsame aufrüsten - aber sie sind uneins, was exportiert werden darf.

Von Arnold Wallraff

Der Aachener Vertrag, Ende Januar feierlich unterzeichnet, wird als Meilenstein der deutsch-französischen Beziehungen gefeiert. Er hat aber einen sehr problematischen Aspekt: Bedeutet er das Ende der deutschen Rüstungskontrolle, wie wir sie bislang kennen?

"Strategische Autonomie gegenüber Amerika in Sicherheits- und Verteidigungsfragen" sei eines der wesentlichen Ziele des Vertrages, sagt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Die Erwartungen in seinem Land sind groß. Künftig sollen die Streitkräfte beider Staaten ihre militärischen Güter aus deutsch-französischer oder europäischer Produktion erhalten. Die Bundeskanzlerin sieht das genauso: Es sei Unfug, wenn die Europäer versuchten, zwei verschiedene Kampfflugzeuge an Drittstaaten zu verkaufen. Es müsse endlich eine Annäherung an gemeinsame Produkte und Produktionen geben.

Deshalb haben Deutschland und Frankreich "eine Intensivierung der Erarbeitung gemeinsamer Verteidigungsprogramme beschlossen. Sie unterstützen die engstmögliche Zusammenarbeit ihrer Verteidigungsindustrien. Beide Staaten werden bei gemeinsamen Projekten einen gemeinsamen Ansatz für Rüstungsexporte entwickeln". Von Kanzlerin Angela Merkel stammt dazu der Satz: "Wir werden uns nicht bei jeder Exportfrage über jede Schraube in die Haare kriegen." Dabei wurde dem Vernehmen nach gerade darüber gestritten. Die Franzosen wollten eine Art plein pouvoir, eine uneingeschränkte Befugnis, für den Export künftiger Rüstungsprodukte. Zähneknirschend haben sie dann akzeptiert, dass das Vorgehen erst später gemeinsam konkretisiert wird.

Es geht allerdings um mehr als nur Schrauben aus deutscher Produktion. Schon am 13. Juli 2018 verkündeten Macron und Merkel den Bau eines gemeinsamen Kampfflugzeugs. Es soll künftig die bestehenden Flotten beider Länder ersetzen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihre französische Kollegin Florence Parly haben jetzt vereinbart, dass bis Mitte 2019 Dassault und Airbus ein Konzept für ein gemeinsames Luftkampfsystem (FCAS), Krauss-Maffei Wegmann und Nexter einen Vorschlag für ein neues gemeinsames Kampfpanzersystem vorlegen sollen. Für Ersteres erhält Frankreich, für Letzteres Deutschland die Führung. Der Verkauf des FCAS soll Einschätzungen aus der Branche zufolge bis zu 500 Milliarden Euro an Erlösen bringen, das Kampfpanzersystem bis zu 100 Milliarden.

Solche Planzahlen lassen sich aus französischer Sicht allerdings nur erreichen, wenn Deutschland vorab zusichert, dass seine Exportkontrolle den zu erwartenden Kaufaufträgen aus aller Welt nicht im Weg stehen wird. Die deutsche Rüstungsexportkontrolle hat wegen ihrer Restriktionen bei ausländischen Partnern nicht den besten Ruf.

Claire Landais, eine hochrangige Regierungsbeamtin, die Macron direkt unterstellt ist, sagte: Der uneingeschränkte Export sei zentraler Bestandteil der Finanzierung aller denkbaren Gesamtprojekte. Für Frankreich seien langfristige Garantien für den künftigen Export der Systeme unabdingbar. Das ist eine unverhohlene Drohung. Erst wenn solche Garantien gegeben sind, könne der politische Startschuss für Milliardeninvestitionen erfolgen, so steht das in einem Bericht des Pariser Botschafters Nikolaus Meyer-Landrut.

In Frankreich ist die Rüstungsindustrie ein allseits gehätschelter Exportchampion: Von links bis rechts, von Jean-Luc Mélenchon bis Marine Le Pen befürworten alle politischen Führer und Parteien umfangreiche Rüstungsexporte. Demgegenüber machen Rüstungsexporte in Deutschland gerade einmal ein fünftel Prozent der deutschen Güterexporte aus. Sie sind zudem im linken wie im grünen Lager eher verpönt, von beschäftigungspolitisch oder regional motivierten Sündenfällen der SPD wie der Zustimmung zum Export von Patrouillenbooten aus der Wolgast-Werft in Mecklenburg-Vorpommern nach Saudi-Arabien einmal abgesehen.

Mit uneingeschränkter Zustimmung zu den französischen Forderungen würde jegliche begrenzende deutsche Exportkontrolle obsolet, wenn die ersten Produkte aus der neuen Kooperation marktfähig sind. Die Exportkontrolle würde quasi auf dem Altar der deutsch-französischen Freundschaft geopfert, als Morgengabe für eine vertiefte Rüstungs- und Verteidigungskooperation.

Es regt sich bereits Widerstand. Auf "restriktive Regeln für spätere Exporte" pocht kategorisch der SPD-Verteidigungspolitiker Thomas Hitschler, sonst könne Deutschland in diese Kooperationen nicht einsteigen. Erstmals koppelte die SPD damit ihre Zustimmung zu den Projekten an strenge Vorgaben für den späteren Verkauf. Die Grünen äußerten sich ähnlich. Die sicherheitspolitische Sprecherin Agnieszka Brugger sagte, eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich sei ein Wert an sich, aber: "Wenn Menschenrechte und Sicherheit dabei völlig aus dem Fokus geraten, ist der Preis zu hoch."

Experten sehen durchaus Lösungsmöglichkeiten, zum Beispiel sogenannte De-minimis-Klauseln, bei denen bis zu bestimmten Wert- oder Mengengrenzen keine vertiefte Exportkontrolle von Seiten des zuliefernden Landes stattfindet. Daneben könnte man sich auch auf Listen mit unterschiedlich einzustufenden Ländern verständigen. Grün für uneingeschränkt belieferungsfähig, gelb für problematisch und konsultationsbedürftig, rot für verboten.

Zumindest aus französischer Sicht könnte auch das Schmidt-Debré-Abkommen von 1972 eine Basis für einen gemeinsamen Ansatz darstellen. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat kürzlich unter Hinweis auf eine Analyse des Internationalen Konversionszentrums Bonn die wesentlichen Inhalte beschrieben: Das Abkommen, benannt nach den unterzeichnenden Verteidigungsministern Helmut Schmidt und Michel Debré, sah vor, dass die Regierungen sich wechselseitig nicht daran hindern werden, Kriegswaffen oder sonstiges Rüstungsmaterial aus einer gemeinsam durchgeführten Entwicklung oder Fertigung in Drittländer auszuführen. Ob es formal weiter gilt, ist allerdings umstritten, auch in Frankreich. Dadurch, dass das Abkommen nie veröffentlicht worden sei, habe es nach französischem Verfassungsrecht keinerlei rechtliche Wirkung.

Es geht jedenfalls nicht um Schrauben, sondern um die wichtigsten europäischen Waffensysteme der Zukunft, nicht um Verfahrensregeln, sondern um die exportkontrollpolitische Souveränität Deutschlands. Hier kann nicht allein die Bundesregierung, hier muss das Parlament entscheiden.

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