Außenansicht:Jenseits von Facebook

Außenansicht: Julia Ebner, 26, forscht am Londoner Institute for Strategic Dialogue zu Terrorismus und Extremismus.

Julia Ebner, 26, forscht am Londoner Institute for Strategic Dialogue zu Terrorismus und Extremismus.

(Foto: oh)

Große Internetunternehmen wie Facebook geraten wegen ihres liederlichen Umgangs mit Nutzerdaten und der Kontrolle der Postings zunehmend unter Beschuss. Doch so richtig diese Kritik auch sein mag: Alternative, teilweise extremistische Netzwerke profitieren davon.

Von Julia Ebner

Zwei Milliarden monatliche Nutzer, mehr als 50 aufgekaufte Unternehmen und über 70 Prozent Marktanteil. Klingt stark nach einem Monopol. Nicht für Facebooks CEO Mark Zuckerberg, der in der Anhörung im US-Senat auf Senator Lindsey Grahams Frage, ob sein Unternehmen in einer Monopolstellung sei, antwortete: "Für mich fühlt es sich nicht so an." Obwohl diese Aussage viel Gelächter erntete, hat Zuckerberg nicht ganz unrecht. Für eine wachsende Zielgruppe, die bedingungslose Netzneutralität fordert, wird Facebook zunehmend uninteressant. Alternative Plattformen wie Gab, VK und Minds, die sich als Gegner der Zensur inszenieren, warten nur darauf, von Facebooks Schwäche zu profitieren.

Ihr Verkaufsargument besteht vor allem darin, dass sie rassistische und hetzerische Posts dulden. Ein Angebot, das sie in den vergangenen Monaten zu attraktiven Zufluchtsorten für Extremisten gemacht hat, die von den großen Internetkonzernen verbannt oder gesperrt wurden. Aber auch für Libertäre, die sich in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt fühlen. Dass Facebook zunehmend unter Beschuss gerät - ob in den Hörsälen des US-Senats oder im deutschen Justizministerium - sehen diese alternativen Netzwerke als Chance. Ganz nach dem Motto: Wenn sich zwei streiten, freut sich ein Dritter.

Die Forderungen nach mehr Regulierung und besserem Datenschutz sind wichtig, doch diese ausschließlich auf Facebook zu konzentrieren, könnte ein gravierender Fehler sein. Denn es besteht die Gefahr, dass bei dem Fokus auf die etablierten sozialen Medien die gefährlicheren (derzeit noch) kleinen Alternativanbieter übersehen werden. Gab, Minds und Wrongthink, die gesperrten und verärgerten Facebook-Nutzern eine Zuflucht vor "Zensur" und "politischer Korrektheit" implizit versprechen, sind nur einige Beispiele aus Dutzenden Angeboten, die allein im vergangenen Jahr als Reaktion auf strengere Regulierungen bei den Mainstream-Anbietern gegründet wurden.

In den vergangenen Monaten zeichnete sich in den USA, aber auch in Europa, eine zunehmende Migration zu diesen (a)sozialen Medien ab, die explizit rassistische Inhalte dulden, deren Datenpolitik noch undurchsichtiger ist als jene von Facebook und die weitaus weniger kooperationsbereit sind. Das Netzwerk Gab entfernte in der Vergangenheit weder antisemitische Verschwörungstheorien noch hetzerische Posts gegen Migranten oder Gewaltaufrufe gegen etablierte Medienhäuser. Hatreon hat sich als neonazistisches Pendant zu Crowdsourcing-Plattformen etabliert und sogar Dating-Apps gibt es mittlerweile für weiße Nationalisten: WASP Love zum Beispiel präsentiert sich als Tinder-Ersatz mit dem Motto "Erhalte dein Erbe". Die von Identitären entwickelte Applikation Patriot Peer zur internationalen Vernetzung von Patrioten steht kurz vor dem offiziellen Launch.

Aufgrund der rasanten Geschwindigkeit dieser neuen Entwicklungen fällt es Behörden wie Forschern schwer, den virtuellen Migrationsströmen zu folgen. Klar, IT- Unternehmen wie Facebook haben kaum ernst zu nehmende Konkurrenz, und die Reichweite der rechten Alternativplattformen hält sich derzeit noch stark in Grenzen. Doch schon jetzt haben permanent gesperrte Nutzer Allianzen gebildet, um einen koordinierten Versuch zu starten, ein paralleles Mediennetzwerk aufzubauen, das die Hegemonie des Silicon Valley untergraben soll. Die Plattform Gab gewann fast 400 000 Nutzer binnen 18 Monaten; Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Markt.

Neonazis wie Andrew Anglin sehen die Alt-Tech-Netzwerke als sicheren Hafen für ihre systematischen Rekrutierungs- und Radikalisierungsbemühungen. Auf Hatreon werden regelmäßig demokratiegefährdende Projekte finanziert, wie die weltweit größten Neonazi-Plattformen Daily Stormer und Stormfront. D-Tube und Pewtube bieten eine "zensurfreie Youtube-Alternative" für Verschwörungstheoretiker und Holocaust-Leugner. Applaus für diese Alt-Tech-Angebote gibt es unter anderem von weißen Nationalisten wie Richard Spencer.

Aber auch die neue Generation technologieaffiner Dschihadisten entwickelt ihre eigenen sozialen Medien und Nachrichtendienste. So schufen etwa deutsche IS-Sympathisanten eine geheime Chat-Applikation, die sie "MuslimCrypt" nannten. Während manche Dschihadisten schadenfroh dabei zusehen, wie die großen sozialen Medien zunehmend unter Druck geraten, bauen andere ihre eigene Infrastruktur im Netz auf. Bereits jetzt bieten sie ungestört Hackingkurse für den Cyber-Dschihad an.

Facebooks Versäumnisse in Bezug auf den Schutz der Nutzer - sowohl vor Datenmissbrauch als auch vor Hassrede - waren gravierend und unentschuldbar, keine Frage. Datenschutzverstöße durch Manipulationsunternehmen wie Cambridge Analytica erzeugten ein Erdbeben im virtuellen Raum, das auch demokratische Strukturen der analogen Welt erschüttert hat. Doch wer glaubt, Facebook sei die einzige Baustelle im Netz, der sollte einen Blick auf die Alt-Tech-Landschaft werfen. Extremisten haben nicht vor, das virtuelle Schlachtfeld zu verlassen. Ihre selbstkreierten Plattformen genießen derzeit nur ein Nischendasein, aber im Windschatten der Facebook-Kontroversen könnte es ihnen gelingen, unzufriedene Nutzer aufzusaugen.

Immer mehr Nutzer verabschieden sich von den etablierten sozialen Medien: Einige melden sich ganz ab, andere wechseln aus Protest zu anderen Plattformen. Diese Verschiebungen erinnern an Entwicklungen in der Parteienlandschaft, bei denen die radikalen Ränder von dem Vertrauensverlust in den Mainstream profitieren. Der Netzwerk-Effekt bewirkt, dass sich jeder verlorene oder gewonnene Nutzer exponentiell auf die Attraktivität einer sozialen Plattform auswirkt; dies kann die Dynamik verstärken.

Nur die größten Internetkonzerne zu regulieren, ohne die kleinen im Auge zu behalten, wäre fatal. Dann könnte eine dauerhafte Schwächung der etablierten sozialen Medien ausgerechnet jenen zugute kommen, die demokratische Grundwerte am meisten verachten. Während Facebook sich zunehmend bereit zeigt, mit Politik und Behörden zu kooperieren, wächst die Zahl der Unternehmen, die es nicht sind. Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz sind die Probleme von Manipulation, Hassrede und Radikalisierung längst nicht erledigt. Nationale Regulierungen greifen zu kurz, zumal das Netz-DG nur Plattformen mit mehr als zwei Millionen registrierten Nutzern betrifft. Denn, so paradox es klingt, Ultranationalisten schrecken nicht davor zurück, transnationale Allianzen zu schließen. Ihr Ziel besteht in der Globalisierung ihrer anti-globalistischen Ideen.

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