Süddeutsche Zeitung

Außenansicht:Intelligent verteidigen

Die Europäer sollten amerikanische Forderungen nach höheren Militärausgaben als Chance begreifen.

Von Christian Mölling

Jetzt wird es ernst: Bis Ende des Jahres sollen die Europäer in der Nato einen Plan vorlegen, wie sie ihre Verpflichtung erfüllen wollen, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben. Mit dieser Ansage hat US-Verteidigungsminister James Mattis nun die Forderung von Präsident Donald Trump konkretisiert, die Europäer sollten mehr für ihre Verteidigung tun.

Das kommt nicht überraschend: Trump hatte schon im Wahlkampf damit gedroht, der Nato und damit ihren europäischen Mitgliedern die Unterstützung zu entziehen, sollten sie nicht mehr zahlen. Andere Präsidenten haben Ähnliches schon vor Trump angemahnt. Seit 2002 gilt das Zwei-Prozent-Ziel in der Nato; 2014 wurde es noch einmal konkretisiert: Bis 2024 sollen sich alle Mitglieder bemühen, das Ziel zu erreichen - bemühen ist hier das Schlüsselwort - nicht "erreichen".

Geändert hat diese butterweiche Formel fast nichts - zwischenzeitlich rutschten noch mehr Staaten unter die Zwei-Prozent-Marke. Erst als mit der Ukraine-Krise 2014 eine greifbare Bedrohung für Europa zurückkam, stiegen die Ausgaben in einigen Ländern wieder.

Analytisch ist das Zwei-Prozent-Ziel Unsinn: Es misst nur, was Staaten für ihre Armeen ausgeben, aber nicht, wie viel Schlagkraft sie dafür bekommen. Es knüpft an die Mechanismen von Massenarmeen und großen Rüstungskomplexen des Kalten Krieges an. Doch Kampfkraft entsteht heute nicht mehr, indem Geld mit der Gießkanne über Armeen ausgegossen wird.

Aber es stimmt leider auch, dass die Europäer seit Langem Trittbrettfahrer amerikanischer Sicherheitsleistungen sind. Der Abbau der europäischen Arsenale seit dem Ende des Kalten Krieges ging weit über das Akzeptable hinaus. So steht Europa heute mit mehrfach ausgehöhlten Armeen da, unfähig, wichtige Aufgaben wie Aufklärung, Transport oder Betankung selbst ausreichend zu übernehmen. Ständig sind hier die USA nötig. Gleichzeitig verfügen die Europäer in der Nato über viel Unnötiges: alte Panzer und zu viel Infanterie. Diese Unwuchten sind hausgemacht, weil die Staaten sich beim Auf- und Abbau ihres militärischen Potenzials nicht absprechen. Gerade als die Finanzkrise den Verteidigungsbereich traf, behielt jeder, was er wichtig fand - nicht was in der Nato gebraucht wurde. So schrumpften Europas Armeen auf Bonsai-Format: Alles dran, aber viel zu klein, um militärisch schlagkräftig zu sein.

Deutschland könnte die Initiative zur Aufstellung einer Europa-Division ergreifen

So unsinnig die zwei Prozent sein mögen, Europa muss liefern. Trump hat sich und die Alliierten mit seinen markigen Ankündigungen unter Druck gesetzt. Es gibt kein gesichtswahrendes Zurück mehr, weder für die Europäer, noch die USA. Europa fehlen zudem die Alternativen: Kurz- und mittelfristig kann es seine Sicherheit nicht ohne die USA garantieren. Der politische Schaden eines Rückzuges für die transatlantischen Beziehungen ginge weit über die Nato hinaus. Er würde die Fähigkeit des Westens einschränken, globale Ordnungsfragen gemeinsam anzugehen. Das zerbrochene Geschirr ließe sich auch nach Trump nicht einfach wieder kitten.

Auch eine stärker selbstbestimmte europäische Sicherheitspolitik kann auf die militärische Dimension nicht verzichten. Das Militärische gewinnt wieder an Bedeutung für die Weltpolitik. Ohne die Fähigkeit, massive Gewalt in ihre Schranken zu weisen, können die Staaten nicht-militärische Sicherheitsprobleme nicht angehen. Das haben auf unterschiedliche Weise die Ukraine-Krise, der Krieg in Syrien und die Flüchtlingsströme aus Afrika gezeigt.

Vor allem gilt es, das Geld besser zu investieren. Wenn die Europäer jetzt die Eckpunkte des von den USA geforderten Ausgabenplans festlegen, dann haben sie selbst ein Interesse daran, das meiste aus den zukünftigen Investitionen herauszuholen - auch, weil sie selbst unsicher sind, ob sie sich in Zukunft auf die USA verlassen können. Deshalb müssen in den von Mattis geforderten Plan Maßnahmen und Prinzipien, die mit den Risiken und Negativeffekten höherer Ausgaben umgehen.

Der Plan sollte europäische Prioritäten in den Blick nehmen: Es ist schließlich im Wesentlichen europäisches Geld. Mehrausgaben sollten den Europäern erlauben, mehr in der Nato mitzureden. Das ist notwendig, um öfter autonom handeln zu können. Die Europäer sollten zudem europäisch und gemeinsam denken - und nicht ihren nationalen Träumen nachhängen. Nationale Lieblingsprojekte führen zu Verschwendung und zum unkontrollierten Wachstum kleiner Armeen - und erschweren zusätzlich die Zusammenarbeit.

Der Ausgabenplan könnte Ergebnisziele festlegen: Die Staaten können Ausgaben dann auf die zwei Prozent anrechnen lassen, die dazu dienen, notwendige Fähigkeiten zu erwerben und deren Erhaltung sichern. Ausgaben für Bereiche, in denen jetzt schon Überschuss besteht, sollten nicht angerechnet werden. Die Ziele sollten multinational, also gemeinsam durch mehrere Staaten, erreichbar sein und damit einen Anreiz für Kooperation setzen.

Gleichzeitig kann so die Effizienz der Ausgaben steigen. Hier gilt: gemeinsam investieren statt allein. 60 bis 80 Prozent der Lebenszeitkosten für Waffensysteme entstehen während der Nutzung. Diese kann man vor allem senken, wenn man durch den Erwerb von Gütern und Dienstleistungen gemeinsam mit den Partnern in EU und Nato nicht nur größere Produktionsmengen schafft, sondern damit auch die Möglichkeit zur gemeinsamen Wartung und Nutzung der Systeme.

Will man, wie die Bundesregierung, eine erweiterte Sicherheitsagenda in der Budgetzählung unterbringen, dann sollten die Europäer die Bereiche vorschlagen, bei denen darüber Konsens besteht, dass sie Nato-Aufgaben sind. Dies wären vor allem Cyber-Kriegsführung und militärische Beiträge zu Terrorismusbekämpfung.

Deutschland hat sich selbst zu einer Vorreiterrolle verpflichtet. Gleichzeitig will es die Europäisierung der Verteidigungsstrukturen. Dies ließe sich in einen militärisch sinnvollen Beitrag mit erheblicher Signalkraft zusammenbinden: So könnte Deutschland eine "Europa-Division" aufstellen, etwa 20 000 Soldaten, schrittweise bis 2020, und gleichzeitig den europäischen Partnern anbieten, sich in diesen Verband einzubringen. Gerade für die kleinen Partner ist dieses "Rahmennationen-Konzept" interessant, weil ihnen das militärische Rückgrat fehlt, in das sie ihre kleinen Beiträge einbinden können.

Darüber könnten die Staaten in der Nato einen Dialog beginnen, der von der sehr groben Forderung nach Mehrausgaben zu einer Diskussion über klügere Investitionen in die Zukunft der transatlantischen Sicherheit wird.

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Quelle:
SZ vom 22.02.2017
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