Süddeutsche Zeitung

Außenansicht:In der BND-Affäre werden falsche Maßstäbe angelegt

Wer Schröders Nein zum Irak-Krieg in Zweifel zieht, argumentiert kurzsichtig und ruft zudem Terroristen auf den Plan.

Erhard Eppler

Wenn es in Regierung oder Partei allzu turbulent zuging, pflegte Willy Brandt den aufgeregten Freunden zu sagen: "First things first!" Das hieß zu Deutsch: Nun überlegt euch erst einmal, was wichtiger ist und was weniger wichtig. Und dann beschäftigt euch zuerst mit dem Wichtigeren. Kaum eine Gabe ist in der Politik weniger entbehrlich als der Sinn für Proportionen. Und nichts wird rascher und gründlicher bestraft als der Mangel an eben diesem Sinn. Entscheiden bedeutet werten. Und richtig werten kann man nur, wenn der Sinn für Proportionen intakt ist.

Als die US-Regierung ihren Geschwadern und ihren Divisionen den Angriffsbefehl auf den Irak gab, fanden seriöse Rechtsgelehrte, dies sei eine klare Verletzung des Völkerrechts. Heute ist dies kaum umstritten. Trotzdem weigerte sich die Regierung Schröder/Fischer beharrlich, von einem völkerrechtswidrigen Krieg zu sprechen.

Die Begründung war nicht juristisch, sondern politisch: Hätte die deutsche Regierung diesen Krieg, den sie für unnötig, töricht und kontraproduktiv hielt, öffentlich für völkerrechtswidrig erklärt, so hätte sie der US-Luftwaffe das Überfliegen deutschen Territoriums verbieten, die deutschen Piloten aus den Awacs-Aufklärern über der Türkei abziehen und deutsche Soldaten anweisen müssen, keine amerikanischen Kasernen in Deutschland mehr zu bewachen.

Dass dies unsere Beziehungen zum wichtigsten Nato-Partner irreparabel hätte beschädigen müssen, darüber waren sich damals - mit Ausnahme der PDS - in Deutschland alle einig, vor allem natürlich die damalige Opposition, die ja Schröders schroffes Nein zum Irak-Krieg für verhängnisvoll hielt. Auch die Medien, die damals noch in ihrer Mehrheit gegen Schröders Entscheidung polemisierten, fanden dieses Bemühen um Schadensbegrenzung im Bündnis richtig, ja selbstverständlich.

Hunderttausende demonstrierten gegen Irak-Krieg

Nicht diese indirekte Beteiligung der Bundesrepublik am Irak-Krieg stand in der Kritik, sondern das unerwartete Nein zur Entsendung deutscher Soldaten. Das änderte sich erst, als Ende Februar 2003 Hunderttausende Europäer gegen den Irak-Krieg demonstrierten. Viele von denen, die heute das Nein zur Teilnahme am Krieg relativiert sehen wollen, weil zwei BND-Agenten im Irak blieben, haben damals dieses Nein als unverantwortlichen Populismus, ja als Verrat am Westen denunziert.

Jedenfalls: Die Aufgabe der Regierung Schröder/Fischer 2003 bestand nicht darin, den Amerikanern so unverblümt wie möglich zu sagen, was sie von diesem Krieg hielt, sondern das Verhältnis zu den USA über diesen Krieg zu retten, auch wenn es im Irak neben den amerikanischen, britischen, italienischen, spanischen, polnischen oder ukrainischen Bataillonen keine deutschen geben konnte.

Das war damals Konsens bei allen Deutschen, bei der Mehrheit, die diesen Krieg verabscheute und der - lautstarken - Minderheit, die nach dem Motto "right or wrong - my ally" argumentierte. Hätte Schröder wirklich so gehandelt, wie er gegen einen völkerrechtswidrigen Krieg hätte vorgehen müssen - ein Orkan der Entrüstung hätte ihn weggeweht. Dagegen ist das, was jetzt zur BND-Affäre hochgejubelt wird, nur ein laues Lüftchen.

Wer möchte deutsche Regierung diskreditieren?

Dass wir heute eine Debatte darüber haben, ob sich die beiden Agenten in Bagdad an ihre Weisung gehalten haben, nicht in das Kriegsgeschehen einzugreifen, verdanken wir der CIA. Wer sonst hatte Kontakt mit den beiden? Und überdies ein Interesse, das sperrige Nein der deutschen Regierung zu diskreditieren? Vielleicht andere Stellen der US-Administration.

Jedenfalls werden immer zum richtigen Zeitpunkt neue Behauptungen aus dem Untergrund der Dienste ans Licht gezerrt, die sich einer Nachprüfung entziehen. Und nun stürzen sich viele, die für die Überflugrechte der US-Luftwaffe auf die Barrikaden gegangen wären, auf diese Knochen, welche die CIA der deutschen Öffentlichkeit vorgeworfen hat.

Da niemand bezweifelt, dass die deutsche Regierung die richtige, konsequente Weisung an die Agenten gegeben hat, nicht in Kampfhandlungen einzugreifen, kann man allenfalls darüber diskutieren, ob diese Weisung richtig übermittelt wurde und ob die beiden sich daran gehalten haben. Der krampfhafte Versuch nachzuweisen, dass sie dies nicht getan haben, hat, ruhig betrachtet, mehr disziplinarische als politische Bedeutung.

Hätten sie wirklich mit ihren Informationen den Amerikanern bei der Bombardierung geholfen - was nicht erwiesen ist -, so wäre dies den beiden Agenten, nicht der Bundesregierung anzulasten. Hätten sich zwei deutsche Soldaten gegen den Willen ihrer Vorgesetzten in den Irak abgesetzt und der US-Armee angeschlossen, so wäre dies ein Fall für Disziplinargerichte. Mit der Politik der Regierung hätte es nichts zu tun. Regierungen sind zuständig für Entscheidungen, Beamte für deren Ausführung, Gerichte notfalls für die Übereinstimmung von Weisung und Handeln.

Was auch immer die beiden Agenten getan haben, es hat den US-Streitkräften viel weniger genützt als der Nachschub aus Stützpunkten in der Bundesrepublik und Transporte quer über die Bundesrepublik. Kann man im Ernst erst diese Konzession an den Bündnispartner billigen und dann vom weisungsgemäßen oder nicht weisungsgemäßen Verhalten zweier Agenten auf die Seriosität des Nein zur Beteiligung am Krieg schließen? Wo bleibt der Sinn für Proportionen?

Brandts "First things"

Etwas anderes, was Willy Brandt zu den "first things" gerechnet hätte, ist die Sicherheit der Bundesrepublik im Zeitalter des Terrors. Kaum ein vernünftiger Deutscher bestreitet heute, dass Bushs Beschluss, den Irak anzugreifen - und der war längst gefasst, als man die Gründe dafür erfand -, verhängnisvoll war. Wenn es je zu einem "clash of civilisations" kommen sollte, dann nicht, weil dieser Zusammenprall unvermeidlich war, sondern weil sich die USA im Irak ohne Not hoffnungslos verhakten.

Bisher wurde es den Deutschen - allen Deutschen - in der arabischen Welt und weit darüber hinaus hoch angerechnet, dass sie mit ihrem Nein die Franzosen stützten und die Russen motivierten, im Sicherheitsrat an deren Seite zu treten. Welches Interesse kann ein deutscher Politiker oder ein deutscher Journalist haben, dieses Nein, zu dem viel Mut gehörte, in Zweifel zu ziehen? Sicher, Terror ist nicht berechenbar. Er kann auch ohne Rechtfertigung zuschlagen.

Aber wollen wir ihm deshalb die Rechtfertigung frei Haus liefern? Und warum eigentlich? Nur, um die wichtigste und richtigste Entscheidung einer gar nicht mehr amtierenden Regierung abzuwerten? Oder gar, im Fall Ströbele, um einem ungeliebten Parteifreund zu zeigen, wer den längeren Atem hat?

Erhard Eppler ist langjähriges SPD-Mitglied und war unter anderem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

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Quelle:
SZ vom 4./5.März 2006
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