Doppelte Staatsbürgerschaft:Beim Doppelpass geht es nicht um Ja oder Nein, sondern um das Wann

Deutschtürkin Die Recherche

Klassische Einwanderungsländer wie die Vereinigten Staaten und Kanada praktizieren gegenüber ihren eigenen ausgewanderten Staatsbürgern einen Generationenschnitt.

(Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Denn das Zugehörigkeitsgefühl kann von Generation zu Generation sehr unterschiedlich ausfallen. Deshalb sollten Einwanderer und deren Kinder einen Doppelpass bekommen, nicht jedoch deren Enkel.

Gastkommentar von Thomas Bauer

Die Aussage, wonach es keine dummen Fragen gibt, mag für Schüler im Grundschulalter aus didaktischen Gründen ihre Berechtigung haben. Anders sieht es allerdings mit regelrecht falschen Fragen aus: Diese gibt es zweifellos. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass es auf sie keine richtigen Antworten geben kann. Zum Beispiel: Wie schnell muss ein Hochspringer laufen, um den Weltrekord im Kugelstoßen zu brechen?

Falsche Fragen, die automatisch falsche Antworten nach sich ziehen, gibt es auch in der Politik. Allerdings sind sie meist schwerer als solche erkennbar als die in dem genannten Beispiel. So ist es etwa mit der Frage, die beim jüngsten CDU-Parteitag überraschend und zum Missfallen der Führungsspitze wieder aufkam: Soll Deutschland bei seinem Staatsangehörigkeitsrecht Doppel- und Mehrstaatlichkeit generell akzeptieren oder vermeiden? 2013 hatte die große Koalition im Zuge ihrer Koalitionsvereinbarung auf die Frage "Doppelpass: ja oder nein" die Antwort "jein" gefunden.

Das Ergebnis ist eine Asymmetrie zwischen dem Erwerb durch Geburt (über die Eltern) und dem Erwerb durch Einbürgerung: Ein Ja gilt demnach für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern, die sich seit mindestens acht Jahren in Deutschland aufhalten. Diese erhalten neben der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern auch einen deutschen Pass. "Nein" hingegen heißt es für Ausländer, die sich in Deutschland einbürgern lassen wollen. Sie müssen in der Regel ihren ausländischen Pass abgeben.

Mit ihrem Beschluss stellte eine knappe Mehrheit der Delegierten auf dem CDU-Parteitag den Kompromiss von 2013 wieder infrage und lehnte den Doppelpass klar ab. SPD und Grüne reagierten reflexhaft mit der Beteuerung, an ihrem grundsätzlichem Ja festzuhalten zu wollen.

Falsche Antworten auf die falsche Frage

Sowohl das (mehrheitliche) Nein der Union als auch das grundsätzliche Ja von SPD und Grünen kann man allerdings als falsche Antworten auf die falsche Frage ansehen. Die Frage: "Sollte ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht doppelte oder sogar mehrfache Staatsangehörigkeiten vorsehen oder nicht?" hat einen Konstruktionsfehler: Sie unterstellt dem Konzept der Staatsangehörigkeit als zentralem Vermittlungsprinzip für politische Zugehörigkeit eine Statik, die für Einwanderungsgesellschaften nicht mehr angemessen ist.

Denn sowohl ein statisches Ja, als auch ein Nein auf die Frage nach der Akzeptanz von Mehrstaatlichkeit übersehen, dass in einer Einwanderungsgesellschaft das Zugehörigkeitsgefühl der Zuwanderer von Generation zu Generation sehr unterschiedlich ausfallen kann. Für die erste und zweite Generation, also die Zuwanderer mit eigener Wanderungserfahrung und die erste hier geborene Generation bestehen fraglos nachvollziehbare und gut begründbare Doppelbindungen an ihr Herkunftsland (oder entsprechend das der Eltern). Diese sollten sich auch im Staatsangehörigkeitsrecht und in der Akzeptanz der doppelten Staatsangehörigkeit niederschlagen.

Konkret würde dies bedeuten, dass ein Ingenieur aus Nigeria, der sich in Deutschland niederlässt, im Falle der Einbürgerung seinen nigerianischen Pass behalten kann. Seine in Deutschland geborenen Kinder wären ebenfalls Deutsche und Nigerianer. Im weiteren Generationenverlauf werden die Bindungen an das Herkunftsland der Groß- und Urgroßeltern aber in der Regel nachlassen. Damit nimmt auch die Notwendigkeit ab, eine doppelte oder mehrfache Staatsangehörigkeit zu akzeptieren. Die in Deutschland geborenen Enkelkinder des Ingenieurs wären entsprechend nur noch Deutsche.

Doppelpass mit Generationenschnitt

Es gibt keine überzeugenden Argumente für eine im Generationenverlauf unbegrenzte Weitergabe des Passes eines Landes, das die Urahnen vor langer Zeit einmal verlassen haben und das in der eigenen Lebensrealität keine zentrale Rolle mehr spielt. Vielmehr entsteht durch eine zeitlich unlimitierte Weitergabe die demokratietheoretisch unbefriedigende Situation, dass eine wachsende Zahl von Menschen über den ererbten Pass politische Mitspracherechte in einem Land erwirbt, von dessen Gesetzen sie nicht betroffen sind.

Es geht also gar nicht um Ja oder Nein bei der Frage der Staatsangehörigkeit, sondern um das Wann. Die richtige Antwort besteht dann in einem Modell, das für die erste und zweite Zuwanderergeneration die doppelte Staatsangehörigkeit zulässt, gleichzeitig aber sicherstellt, dass eine unendliche Vererbung der ausländischen Staatsangehörigkeit im Generationenverlauf unterbunden wird. Ein solches Modell ist der Doppelpass mit Generationenschnitt. Dieses Modell ermöglicht sowohl bei der Einbürgerung der ersten Generation als auch den Kindern dieser Pionierwanderer die doppelte Staatsangehörigkeit.

Doppelte Staatsbürgerschaft: Thomas Bauer, 48, ist Vorsitzender des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) und Professor für Empirische Wirtschaftsforschung an der Ruhr-Universität Bochum.

Thomas Bauer, 48, ist Vorsitzender des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) und Professor für Empirische Wirtschaftsforschung an der Ruhr-Universität Bochum.

(Foto: SVR/W. Borss)

Voraussetzung ist aber (und das ist keineswegs garantiert), dass die Herkunftsländer der Zuwanderer die unendliche Vererbung ihrer Staatsangehörigkeit an die Enkel und alle weiteren Nachkommen von Auswanderern - in diesem Fall von Auswanderern nach Deutschland - in ihren Staatsangehörigkeitsgesetzen unterbinden. Klassische Einwanderungsländer wie die Vereinigten Staaten und Kanada, aber auch Schweden praktizieren gegenüber ihren eigenen ausgewanderten Staatsbürgern längst einen solchen Generationenschnitt. Auch Deutschland hat seit der Reform seines Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 die automatische Weitergabe der deutschen Staatsbürgerschaft an die Kinder von Auslandsdeutschen gestoppt.

Konsequent wäre es nun, auf die Herkunftsländer von in Deutschland lebenden Zuwanderern zuzugehen und folgendes Angebot zu unterbreiten: Ihre in Deutschland lebenden Staatsangehörigen können, wenn sie sich in Deutschland einbürgern lassen wollen, den Pass ihres Herkunftslandes behalten. Als Gegenleistung stellen die Herkunftsländer aber in ihrem Recht sicher, dass zum Beispiel die dritte Generation, also die Enkel der Pionierwanderer, nicht mehr automatisch die Staatsangehörigkeit des Geburtslandes ihrer Großeltern erhalten.

Dieser Vorschlag ist zweifellos komplexer als das pauschale Ja oder Nein zum Doppelpass, um das derzeit noch gestritten wird. Dass er mehr als eine Gedankenübung aus dem akademischen Elfenbeinturm darstellt, zeigt aber die Tatsache, dass der Bundesinnenminister den Vorschlag aufgegriffen hat und als möglichen innerparteilichen Kompromissvorschlag in seinem Haus prüfen lässt. Dabei ist es eben nicht nur ein Kompromissvorschlag, sondern die richtige Antwort auf die richtige und wichtige Frage, wie ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht in Einwanderungsgesellschaften gestaltet werden kann.

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