Süddeutsche Zeitung

Außenansicht:Fakten statt Furcht

Warum die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta wichtig für die EU und die Vereinigten Staaten sind.

Von James D. Bindenagel

Der amerikanische Handelsbeauftragte Michael Forman zitierte einmal Präsident Dwight Eisenhower mit dessen Bemerkung, Handel sei "die schärfste Waffe in den Händen des Diplomaten". Die öffentliche Debatte erweckt manchmal den Eindruck, als seien - im Sinne dieses Eisenhower-Wortes - die TTIP-Verhandlungen eine Schlacht zwischen den USA und der Europäischen Union.

Handelsverträge sollen zuerst und vor allem ökonomisch vorteilhaft sein: Schaffen sie gute Jobs und stärken sie die Mittelklasse? Ja, es gibt Geschäftsinteressen; vor allem kleine und mittlere Unternehmen werden von höheren, aber nicht doppelt ermittelten Standards profitieren. Handel war die Maschine für globales Wachstum. Nun, da sich die Weltwirtschaft abkühlt, braucht Europas schwächelnde Wirtschaft den transatlantischen Handel.

Aber die Bedeutung amerikanischer und europäischer Führung in Handelsfragen geht weit über die Ökonomie hinaus. Es gibt auch eine strategische Logik. Die USA und Europa können zeigen, dass wir, trotz der Umwälzungen in der Welt, zusammenstehen, um unsere Werte zu verteidigen. TTIP hat das übergeordnete strategische Ziel, die regelgebundene Ordnung auf der Welt wieder zu beleben, gerade heute.

Angstmacher gewinnen die Herzen leichter als akademische Experten

Die positive Kraft des Handels ist eines der wichtigsten Instrumente, um mit den großen Problemen dieses Jahrhunderts umzugehen. So hilft transatlantische Einheit, die Zentrifugalkräfte in Europa zu bremsen. In den vergangenen Jahren haben tektonische Verschiebungen in der Wirtschaft - Globalisierung, technischer Wandel, Digitalisierung, Aufstieg der Schwellenländer - die Grundfesten der Nachkriegswelt untergraben. Sorgen wegen des veränderten Arbeitsmarktes und stagnierender Löhne grassieren.

Die Veränderungen lassen sich nicht stoppen. Handelsabkommen wie TTIP und Ceta (zwischen der EU und Kanada) sollten nicht zum Sündenbock gemacht werden. Handel kann, ganz im Gegenteil, die Folgen der tektonischen Brüche lindern. Handel ist politisch schwierig. Kein Vertrag ist perfekt. Und es ist so leicht, dagegen zu sein. Laut Bertelsmann-Stiftung finden nur 17 Prozent der Deutschen TTIP "gut".

Wir erleben das täglich in den Debatten über Gentechnik, über mit Chlor behandelte Hühnchen, die Buchpreisbindung, über geografische Identität, die Streitschlichtung für Investoren und andere Themen. Am stärksten ist Ablehnung der Wissenschaft beim Thema Gentechnik, nicht nur in Europa. 88 Prozent der US-Wissenschaftler halten gentechnisch veränderte Lebensmittel für sicher, aber nur 37 Prozent der erwachsenen Amerikaner teilen diese Meinung. 67 Prozent der Amerikaner denken sogar, dass die Wissenschaftler die Gesundheitsrisiken von Genfood nicht genau verstehen.

Wenn es allerdings um den Klimawandel geht, denken 37 Prozent der Befragten, dass Wissenschaftler sich nicht darin einig sind, dass die Erde wegen des menschlichen Einflusses wärmer wird. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass Klimaschützer Respekt vor dem wissenschaftlichen Konsens über den Klimawandel verlangen und gleichzeitig das nahezu identische Niveau der Übereinstimmung hinsichtlich der Sicherheit gentechnisch veränderter Lebensmittel leugnen.

Das Vertrauen in die Regierungen ist offenkundig nicht sehr groß. Transparenz, von der Öffentlichkeit gefordert, ist geboten, Furcht dagegen ein schlechter Ratgeber. Ängste, und nicht Fakten, spielen eine große Rolle in der Debatte. Die Angst muss ein Thema sein - und sie ist es auch - in den Debatten über die Standards, die Kultur, Alltag, Gesundheit und Sicherheit regeln. So haben sich die Befürworter der Buchkultur in Deutschland durchgesetzt und die Buchpreisbindung bewahrt.

Das Vorschlag für ein Streitschlichtungsverfahren für Investoren (ISDS) basiert auf dem Prinzip: Niemand kann klagen, bloß weil ihm Gewinne entgangen sind. Worum es geht, ist die Diskriminierung von Investoren. Michael Forman hat darauf hingewiesen, dass in den 51 Handelsverträgen der USA in 30 Jahren nur 17 Fälle verhandelt wurden. Und die Deutschen sollten nicht vergessen, dass Ludwig Erhard, der Vater des Wirtschaftswunders, das Verfahren einst erfunden hat, und dass das System ISDS zum Nutzen Deutschlands seit Jahrzehnten funktioniert.

Vietnam und Kanada haben ein neues "Recht zu regulieren" und ein System von Handelsgerichtshöfen in ihre Vereinbarungen mit der EU inkorporiert. Die USA haben die Vorschläge nicht akzeptiert, vor allem, weil sie nach der UN-Konvention über Fragen der Schiedsgerichtsbarkeit nicht durchgesetzt werden können.

Standards über Gesundheit und Sicherheit werden nicht gesenkt. Wenn man nicht-tarifäre Handelshemmnisse beseitigen will, bedeutet dies nicht, dass man die Standards auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner "harmonisiert". Ziel ist vielmehr, Standards gegenseitig anzuerkennen. Ganz sicher wollen die Amerikaner nicht die deutschen Standards unterminieren. Die US-Standards für Emissionen sind sehr hoch, wie Volkswagen in diesen Tagen schmerzhaft lernen muss.

Die Anwendung des Vorsorge-Prinzips, wonach Risiken vermieden werden sollen, selbst wenn ihr Eintreffen sehr unwahrscheinlich erscheint, hat die Debatte über Markzugang jahrzehntelang geprägt. Das Vorsorge-Prinzip basiert auf der wissenschaftlichen Abschätzung der Risiken für die Umwelt und die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen. Vergleichsstudien europäischer und amerikanischer Experten zeigen, dass die Behauptung, Europa sei hier vorsichtiger, als es die USA sind, auf Stereotypen und Verallgemeinerungen beruht. Tatsächlich ist das Maß an Vorsicht hinter Regulierungen in den USA und in der EU sehr ähnlich. Effektives Regieren in einer demokratischen Gesellschaft hängt davon ab, dass die Wähler ihre Entscheidungen aufgrund korrekter Informationen und nicht von Furcht getrieben treffen können. In der Debatte über Handelspolitik werden Zahlen, Daten und Fakten oft vernebelt. Angstmacher und Leugner, die wissenschaftliche Erkenntnisse infrage stellen, gewinnen die Herzen und Köpfe leichter als die akademischen Experten, deren Arbeit sie lächerlich machen.

Es geht um sehr viel. Vor Jahren sagte ein amerikanischer Präsident: "Wenn wir mit unserer Handelspolitik scheitern, dann können wir mit allem scheitern. Alles ist betroffen: unsere Beschäftigung, unser Lebensstandard, unsere Sicherheit und die Solidarität der freien Welt."

Am Ende fällt die Entscheidung darüber, ob es uns besser geht mit TTIP und Ceta oder nicht. Ökonomisch und strategisch ist die Sache klar.

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Quelle:
SZ vom 10.05.2016
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