Außenansicht:Euro Nord, Euro Süd

Außenansicht: Klaus Stocker, 69, emeritierter Professor für Internationale Finanzierung an der Technischen Hochschule Nürnberg, war Projektmanager einer Entwicklungsbank und Berater von Entwicklungsinstitutionen.

Klaus Stocker, 69, emeritierter Professor für Internationale Finanzierung an der Technischen Hochschule Nürnberg, war Projektmanager einer Entwicklungsbank und Berater von Entwicklungsinstitutionen.

(Foto: oh)

Der deutsche Exportüberschuss ist ein Problem für die Welt. Zwei Vorschläge, ihn zu verringern.

Von Klaus Stocker

Die deutsche Exportkraft zieht weltweit Unmut auf sich und spaltet auch Europa. Es gäbe aber durchaus kreative Lösungen, dies zu ändern. Sie würden der deutschen Wirtschaft nicht schaden und den Populisten in den Mittelmeerländern den Wind aus den Segeln nehmen. Auch Donald Trump würde staunen.

Das Problem ist mehr als 50 Jahre alt. Schon 1965 bezweifelte der Ökonom Charles Kindleberger, dass es in Deutschland jemals dauerhaft zu einem Exportdefizit kommen werde. Damit hat er recht behalten, auch wenn nach der Wiedervereinigung die deutsche Bilanz aller Ex- und Importe von Gütern und Dienstleistungen etwa zehn Jahre lang negativ war. Heute liegt dieser Leistungsüberschuss bei problematischen acht Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Donald Trump, aber auch die EU-Partner, fordern die Bundesregierung immer wieder auf, mehr im Land zu investieren und von der Sparpolitik abzurücken. Und da das Ausland letztlich seine Leistungsbilanzdefizite über Kredite finanziert, die vielleicht niemals zurückgezahlt werden, verschenkt Deutschland quasi einen Großteil seiner Exporte.

Schuld ist letztlich der Euro. Früher konnten Länder wie Italien ihre eigene Währung immer wieder abwerten - damit wurden die Exporte (und auch der Urlaub dort) billiger. Die Euro-Zone hat nun gegenüber dem Rest der Welt - nicht zuletzt dank der deutschen Exporte - einen leichten Leistungsbilanzüberschuss. Das hält den Euro-Kurs für die einen zu hoch, für die anderen zu niedrig. Und so schimpfen die Italiener auf die angeblich übertüchtigen Deutschen; die Deutschen wiederum halten die Italiener für Müßiggänger, die keinen Schraubenzieher in die Hand nehmen wollen. Der Streit hat in Italien und anderswo zum Aufstieg populistischer Parteien geführt. Europa ist in Gefahr, weiter auseinanderzudriften. Deshalb lohnt es sich, hier über Lösungen nachzudenken.

Bereits bekannt und erprobt ist die sogenannte innere Abwertung in Krisenländern. Griechenland, Spanien und Portugal haben sie teilweise erfolgreich durchgemacht; die italienischen Premierminister Monti und Renzi haben sie zumindest versucht. Sie zielt darauf ab, Löhne und soziale Nebenkosten zu senken, das Rentenalter zu erhöhen, die Effizienz der Wirtschaft zu steigern und das Staatsdefizit zu reduzieren. Diese Prozedur war teilweise erfolgreich, sie ist aber eine sehr bittere Medizin. Denn anders als die echte Abwertung einer Währung führt dies zu erheblichen sozialen Verwerfungen. Man möge sich nur einmal vorstellen, was in Deutschland los wäre, wenn man die Renten um 25 Prozent kürzen würde. Auch hat dieses Rezept Europas Populisten stark gemacht.

Der zweite Vorschlag wäre das Gegenteil, nämlich die innere Aufwertung von Überschussländern wie Deutschland. Das wäre eine eher süße Medizin, sie bestünde darin, Löhne, Renten und Staatsausgaben zu erhöhen und Staat und Wirtschaft zum Investieren zu bringen. Ein höheres Staatsdefizit und damit weniger Ersparnisse der gesamten Volkswirtschaft hätte auch eine Senkung des Leistungsbilanz-Überschusses zur Folge. Höhere Löhne würde Exporte verteuern und dazu führen, dass durch mehr Konsum die Importe steigen. Nur kann niemand garantieren, dass die Deutschen ihr zusätzliches Einkommen ausgeben und nicht sparen; zudem gibt es in einer Marktwirtschaft niemanden, der eine Lohnerhöhung flächendeckend befehlen kann. Eine abgemilderte Variante wären höhere Staatsausgaben und vor allem höhere staatliche Investitionen. Aber besteht im gegenwärtigen Wirtschaftsboom überhaupt die Kapazität dafür? Und brauchen Unternehmen bei fast null Prozent Zinsen wirklich weitere Anreize zum Investieren?

Die dritte Idee wäre eine Exportsteuer. Dazu könnte man die Mehrwertsteuer-Erstattung für Exporte aussetzen oder vermindern. Deutsche Exportgüter würden dadurch um bis zu 19 Prozent teurer, was gewaltige Staatseinnahmen in Höhe von fast zwei Dritteln des Bundeshaushalts zur Folge hätte, selbst wenn man als Folgewirkung den (erwünschten) Rückgang der Exporte annimmt. Dieses Geld könnte man für eine Mehrwertsteuer- oder Lohnsteuerreduzierung oder beides einsetzen und damit die Binnennachfrage stimulieren, denn die Unternehmen brauchen natürlich für die geringeren Exporterlöse Kompensationen, sonst drohen Pleiten und steigende Arbeitslosigkeit. Eine Idee, die angesichts der Tatsache, dass hierzulande jeder dritte Euro im Export verdient wird, nicht nur politischen Mut, sondern auch Augenmaß erfordert.

Vorschlag Nummer vier wäre ein Neustart des Euro. Man könnte Italien und andere Mittelmeeranrainer auffordern, ihre Drohungen wahr zu machen und den Euro zu verlassen. Auch könnten Deutschland und andere Nordstaaten zur Freude italienischer Populisten eine eigene Euro-Zone bilden. Überhaupt wären zwei Währungszonen eine gesichtswahrende Idee für beide Ländergruppen, auch wenn die Entscheidung für einige Länder, etwa Frankreich, schwierig wäre. Zum Ausgleich könnte man in beiden Wirtschaftszonen beide Euros zum jeweiligen Wechselkurs als offizielles Zahlungsmittel zulassen. Vermutlich würde der Kurs des Süd-Euro nachgeben, der des Nord-Euro steigen. Die Exporte des Nordens würden dadurch sinken, die des Südens steigen. Jede Zone könnte selbst entscheiden, wie sie ihre Einwohner beglücken und welche Staatsdefizite sie erlauben mag; jede Zone müsste aber auch die Verantwortung für ihre Politik tragen. Niemand müsste mehr auf Brüssel schimpfen, auf den Süden oder den Norden. Der Nachteil wäre, dass die Länder der Euro-Zone sich auseinander entwickeln. Aber tun sie das nicht jetzt schon?

Den Export besteuern oder zwei Euro-Zonen schaffen - beides ist politisch schwer durchzusetzen, und im Moment fehlen mutige Politiker, die solche Ideen aufgreifen. Doch weltweit steigen die Zinsen, die US-Wirtschaftspolitik wird Spuren in Europa hinterlassen, und Ende 2018 wird auch die Europäische Zentralbank aus ihrem Anleihekaufprogramm wieder aussteigen. Wenn dann aber ein großes Land wie Italien oder vielleicht demnächst auch Spanien eine exzessive Fiskalpolitik betreiben und womöglich Schuldenerlasse einfordern, wird dies die Euro-Zone überfordern. Dann wird vermutlich ein Austritt aus dem Euro als einzige Lösung dastehen.

Besser wäre es, man würde so etwas bereits heute planen. Und vielleicht könnte ja Deutschland in der Tat mit einer Exportsteuer die Gemüter beruhigen und sich damit sogar großen Beifall verdienen. Dafür müsste Bundeskanzlerin Merkel sich aber von ihrer gegenwärtigen Politik des Aussitzens abwenden. Immerhin hat sie bereits mehrmals gezeigt, dass sie das kann.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: