Außenansicht:Es kommen auch schlechte Zeiten

Außenansicht: Joachim Möller, 64, ist Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg.

Joachim Möller, 64, ist Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg.

(Foto: IAB)

Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist gut. Die Regierung sollte gerade jetzt Reformen angehen.

Von Joachim Möller

Der Arbeitsmarkt läuft derzeit sehr gut. Wo also ist das Problem? So mag manch einer in Berlin denken, wenn es um die Aufgaben der nächsten Bundesregierung geht. Mit Blick auf die derzeitige Lage und die jüngsten Prognosen mag das stimmen, es wäre aber fatal, deshalb untätig zu bleiben. Eines ist sicher: Der günstige Trend, den wir gerade am Arbeitsmarkt erleben, wird nicht für immer andauern. Erst nach der nächsten Rezession wird sich zeigen, wie stabil und nachhaltig der Beschäftigungsaufbau war.

Die Arbeitsmarktreformen des vergangenen Jahrzehnts haben sich zwar insgesamt ausgezahlt, aber nicht für alle Menschen gleichermaßen. Ein Beispiel sind Langzeitarbeitslose. Gerade angesichts der drängenden Zukunftsaufgaben, die sich Deutschland stellen, kommt es darauf an, offene oder auch verdeckte Probleme nicht chronisch werden zu lassen. Damit sich der Arbeitsmarkt weiter gut entwickelt sind Weitsicht und Gestaltungswillen gefordert.

In wirtschaftlichen Schönwetterperioden gerät der Arbeitsmarkt leicht aus dem Blickfeld. Die Dinge können sich aber schneller wieder ändern, als manche glauben. Nahezu alle derzeit dringlichen gesellschaftlichen Fragen spiegeln sich am Arbeitsmarkt. Wie organisieren wir die notwendige Anpassung an den technischen Wandel und die demografische Entwicklung? Reichen unsere Investitionen in Bildung und Weiterbildung aus, um die Menschen auf die Zukunft gut vorzubereiten? Wie integrieren wir die Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, erfolgreich und nachhaltig? Wie schaffen wir es, die mitzunehmen, die abgehängt wurden oder sich alleingelassen fühlen? Wie sichern wir die wirtschaftliche Basis kommender Generationen?

Auf all diese Fragen gibt es keine einfachen Antworten, klar ist nur: Ein gut funktionierender Arbeitsmarkt ist Teil der Lösung. Doch was ist zu tun, um den Arbeitsmarkt fit zu halten? Mehr noch als früher sind heute Qualität und Nachhaltigkeit nötig: in der Beschäftigung, in der Vermittlung, in Beratung und Betreuung. Vorausschauende Arbeitsmarktpolitik muss dafür sorgen, dass die Menschen weit über ihre erste Qualifikation hinaus beschäftigungsfähig bleiben. Nicht zuletzt angesichts des rapiden technischen Fortschritts wird Qualifikation zum Schlüssel der hilft, sein Anpassungsfähigkeit zu erhalten. Unsere Forschungsergebnisse zeigen: Je höher die Qualifikation, umso geringer das Risiko, durch digitale Technik ersetzt zu werden, umso geringer die Gefahr, arbeitslos zu werden und umso größer die Chance für einen höheren Verdienst im Lebensverlauf. Deshalb sind neue Ansätze nötig, um auch jene Menschen mitzunehmen, die bisher im Bildungssystem nur schwer ihren Platz gefunden haben. Schulische und berufliche Ausbildung muss weiter zu einem vollwertigen Abschluss führen. Warum die Ausbildung aber nicht auch in einzelnen Modulen anbieten, die aufeinander aufbauen? Gäbe es solche Bausteine, wäre es viel besser möglich, Zeit und Umfang des Lernens der individuellen Lebenssituation anzupassen. Damit junge Menschen beim Übergang von der Schule in Ausbildung oder Studium - und später auch in den Beruf - nicht scheitern, sollte mehr für die Begleitung in diesen entscheidenden Lebensphasen getan werden. Die Anreize dafür, Ausbildungen nachzuholen oder sich zusätzliche Qualifikationen zu erwerben, müssen deutlich gestärkt werden, insbesondere auch über mehr finanzielle Unterstützung und durch begleitende Beratung.

Qualifizierte Beschäftigte wiederum, die gern mehr arbeiten wollen als heute, sollten nicht durch Fehlanreize davon abgehalten werden, dies auch zu tun. In Familien, in denen ein Partner gut verdient, ist es für den anderen steuerlich oft wenig attraktiv, mehr als einen Minijob anzunehmen oder Teilzeit auszuweiten. Dies trifft besonders häufig Frauen. Deshalb ist es wichtig, das Steuer- und Abgabensystem so zu verändern, dass Mehrarbeit nicht mehr zum Wegfall von Vergünstigungen führt. Beispielsweise könnten die steuerlichen Vorteile von Minijobs schrittweise abgeschafft werden, mit Ausnahmen für Rentner und Studenten. Auch das Ehegatten-Splitting ist nicht gerade förderlich für eine gleichmäßigere Arbeitsaufteilung in der Partnerschaft.

Digitalisierung ist kein Jobkiller, sondern ein Jobveränderer

Es ist nicht zu erwarten, dass durch die Digitalisierung deutlich weniger Arbeitskräfte gebraucht werden. Gut gestaltete Digitalisierung ist kein Jobkiller, sondern ein Jobveränderer. Es bleibt daher weiter eine wichtige Aufgabe, Fachkräfte für die Wirtschaft zu sichern. Die deutsche Erwerbsbevölkerung wird schrumpfen und altern. Auch um unsere Innovationsfähigkeit zu erhalten, brauchen wir deshalb eine offene und plurale Gesellschaft, die qualifizierte Einwanderer einlädt.

Der digitale Wandel bietet nicht nur die Chance für die Modernisierung der Wirtschaft, sondern auch die Chance, die Arbeitswelt menschengerechter zu gestalten. Hier sollten die hierzulande so vorbildlich agierenden Sozialpartner mit noch mehr Mut ausprobieren, was funktioniert. Das reicht von der flexiblen Gestaltung von Arbeitszeit und Arbeitsort bis hin zur betrieblichen Organisation von Arbeitsprozessen. Mit genug Änderungsbereitschaft und Solidarität bringt das für alle Seiten Vorteile.

Arbeit ist mehr als Broterwerb. Sie ist wichtig für die eigene Identität und für das Gefühl, gebraucht zu werden und dazuzugehören. Geht dieses Gefühl für viele auf Dauer verloren, so können die Grundfesten der Gesellschaft ins Wanken geraten. Deshalb müssen wir auch gerade die in den Blick nehmen, die schon länger außen vor sind. Es wird Menschen geben, die auch bei bestmöglicher Unterstützung größte Schwierigkeiten haben werden, ihren Platz in der Arbeitswelt zu finden. Für eine begrenzte Gruppe von Arbeitslosen ist deshalb der geschützte Raum eines sozialen Arbeitsmarktes nötig. Dadurch werden Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen, die den Menschen zunächst einmal eine regelmäßige Aufgabe und das Gefühl geben, dazuzugehören und zu ihrem Lebensunterhalt beizutragen.

Für die überwiegende Mehrheit aber muss die Integration in den regulären Arbeitsmarkt oberstes Ziel bleiben. Aus Modellprojekten wissen wir, dass ein höherer Betreuungsschlüssel in den Jobcentern häufiger und nachhaltiger zu Beschäftigung führt. Durch die teils umfassenden Probleme der Betroffenen, die einer direkten Vermittlung im Weg stehen, sind individualisierte, zeitintensivere Betreuungsmodelle nötiger denn je. Diese Investition zahlt sich aus und gehört dringend auf die politische Tagesordnung.

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