Süddeutsche Zeitung

Feindbilder links wie rechts:Die "Hasser" sind immer die anderen

Und in mein Restaurant kommen gefälligst nur Gleichgesinnte. Ist eine politisch segregierte Gesellschaft wirklich das, was wir wollen?

Gastbeitrag von Michael Bröning

Es gehört zu den verlockendsten Spielarten der politischen Selbsttäuschung, dass die gesellschaftliche Verrohung mit Vorliebe beim ideologischen Gegner verortet wird. Hier die Vertreter der Vernunft, dort die Hetzer und ideologischen Rattenfänger: Selten ist die Polarisierung so deutlich geworden wie heute.

Wie ist darauf zu reagieren? Genau hier scheint die Antwort manch eines Progressiven das Problem mittlerweile anzufeuern. Denn trotz verbreiteter Appelle "gegen den Hass", hat sich auch in Teilen der Linken längst so etwas wie sozial gebilligter Hass entwickelt, paradoxerweise dezidiert gegen die vermeintlichen "Hasser" der anderen Seite. Dabei aber droht der notwendige Respekt gegenüber dem politischen Gegner in all der moralischen Entrüstung auf der Strecke zu bleiben - und dies zu Kollateralschaden erklärt zu werden.

Dramatische Radikalisierung in den USA seit den den späten 1980er-Jahren

Sicher, auch in der Vergangenheit ging es hoch her, stand Strauß gegen Brandt, stritt die Republik über die Nachrüstung und die Ostverträge. Heute wird oft vergessen, wie unversöhnlich sich gesellschaftliche Strömungen auch in früheren Zeiten gegenüberstanden.

Man denke nur an die populäre TV-Familie Tetzlaff und die Auseinandersetzungen zwischen "Ekel Alfred" und seinem Willy-wählenden Schwiegersohn. Und doch ist die Situation heute anders: "Me Too", Migration, Islam - entlang dieser Fragen hat eine Polarisierung stattgefunden, die, verstärkt über soziale Filterblasen und die Zersplitterung der Medienlandschaft, ein beispielloses Stammesdenken befördert hat.

In zahlreichen westlichen Gesellschaften stehen sich mittlerweile zwei Lager gegenüber: weltoffene Kosmopoliten gegen häufig wirtschaftlich marginalisierte Traditionalisten. "Ekel Alfred" und sein Schwiegersohn sind heute überall. Nur liefern sie sich keine Debatten am Küchentisch, sondern reduzieren die Begegnungen auf ein Mindestmaß. In den sozialen Medien haben sie sich längst entfreundet.

Das aber ist ein globales Phänomen. In den USA wurde in den späten 1980er-Jahren, verbunden mit konservativen Radio-Moderatoren wie Rush Limbaugh, eine dramatische Radikalisierung losgetreten. Von der Tea-Party- und der Birther-Bewegung gegen Barack Obama über "Sperrt Hillary ein"-Rufe bis hin zur angedrohten Nicht-Anerkennung einer Trump-Niederlage spannt sich der Eskalationsbogen.

Am Ende der Polarisierung steht die derzeit zu besichtigende politische Dysfunktionalität, steht die Selbstblockade des Kongresses, stehen die erbitterten Kämpfe um den Supreme Court. Es geht - scheinbar - um alles, und zwar immer. Politik wird als Nullsummenspiel angesehen, Kompromiss als Verrat nicht nur an der Sache, sondern an der eigenen Identität.

In Deutschland finden sich Entsprechungen: in den abstrusen Verschwörungstheorien der sogenannten Reichsbürger, aber auch in den Schießbefehl-Fantasien manches AfD-Anhängers, der die Legitimität der Bundesregierung als "Herrschaft des Unrechts" anzweifelt.

In den USA machte zuletzt die Entscheidung einer Restaurantbesitzerin in Lexington Furore, die die Trump-Sprecherin Sarah Sanders hinausbeförderte. In derselben Woche wurde die Ministerin für Homeland Security, Kirstjen Nielsen, in einem mexikanischen Restaurant in Washington wegen ihrer politischen Überzeugung derart angegriffen, dass sie floh.

Viele US-Demokraten waren begeistert. Maxine Waters, bekannte Abgeordnete im Repräsentantenhaus, forderte gar alle Demokraten auf, sich an den Hinauswürfen ein Beispiel zu nehmen. Jedes Mitglied der Trump-Regierung sei an jedem Ort zu konfrontieren, fordert sie: "Wenn ihr jemanden aus diesem Kabinett in einem Restaurant, in einem Geschäft oder an der Tankstelle seht, schlagt zurück und sagt ihnen, dass sie nirgendwo mehr willkommen sind!"

In Deutschland finden sich ähnliche Tendenzen: Ein AfD-Vorsitzender, dem beim Baden an einem Potsdamer See zum Gaudium der Öffentlichkeit die Kleidung gestohlen wird, mag noch als Sommertheater durchgehen.

Doch das Rad dreht sich weiter: Bundesinnenminister Horst Seehofer wird von einer ehemaligen Bundesministerin per offenem Brief in dieser Zeitung die persönliche Verantwortung für das Sterben im Mittelmeer angelastet und nicht nur jedes Ehrgefühl, sondern auch "jeder Anflug von Humanität" abgesprochen. Da fehlt nicht mehr viel bis zum direkten Mordvorwurf. Schon mit dem Innenminister "an einem Tisch zu sitzen" erscheint manchem Progressiven unerträglich.

Bei allem Verständnis für Kritik in der Sache: Wenn politischer Austausch unerträglich ist, was bleibt dann an Optionen?

Der Zorn ist verständlich. Er beruht auf dem Gefühl der Ohnmacht. Und ist es nicht endlich Zeit, mit gleicher Münze zurückzuzahlen? Doch zu fragen ist, wohin dieser Weg führt, zumal auch der Zorn der Gegenseite aus verbreiteten Ohnmachtsgefühlen gespeist wird.

"Versöhnen statt spalten" - die Botschaft könnte nicht aktueller sein

Beide Seiten sehen sich schließlich als Kämpfer wider den Zeitgeist. Und erinnert die Verweigerung der Bewirtung politischer Widersacher in den USA nicht an schlimme Episoden der Rassendiskriminierung?

Die US-Bürgerrechtsbewegung wandte sich zu Recht gegen den Rassismus in den Diner-Restaurants des Südens. Heute aber erscheint politische Segregation nicht nur zulässig, sondern als Tugend. Ist aber eine politisch segregierte Gesellschaft wirklich erstrebenswert?

"Versöhnen statt spalten", forderte Johannes Rau, der nicht nur sein Wirken als Landesvater, sondern auch als Bundespräsident unter diese Maxime stellte. Rau wollte nicht zwischen gleichen, sondern zwischen unterschiedlichen Sichtweisen den Ausgleich schaffen. In einer Zeit, in der Gemeinsinn zunehmend durch ideologische Fragmentierung infrage gestellt wird, könnte seine Botschaft nicht aktueller sein. Dabei geht es nicht darum, dem Gegner das Feld zu überlassen.

Politische Auseinandersetzung bleibt so wichtig wie nie, doch sie sollte in ihrem Charakter politisch bleiben und bei aller Leidenschaft nicht ins Maßlose umschlagen. Auch das ist schließlich eine der Lehren zurückliegender Polarisierung: In Zeiten der "außerparlamentarischen Opposition" und ihrer Selbstradikalisierung hielt die Mitte stand - zum Glück. Deshalb gilt es nun auf allen Seiten, die Eskalation durch Zivilität zu begrenzen und sich den Verlockungen des pauschalen Freund-Feind-Denkens nicht unreflektiert anzuschließen.

Ein Anfang wäre schon gemacht, wenn anerkannt würde, dass auch erbitterte politische Gegner nicht nur das Recht auf eine Meinung haben, sondern dass ihrer Position oft auch eine eigene Rationalität zugrunde liegt, die über Ehrlosigkeit, Hass und ideologische Verblendung hinausgeht. Die "Hasser" sind gefühlt meist die anderen. Die anderen aber sind wir alle.

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Quelle:
SZ vom 24.07.2018/odg
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