Süddeutsche Zeitung

Streik der Lokführer:Bevor man streikt, soll man miteinander reden

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Das geplante Tarifeinheitsgesetz braucht ein Einigungsverfahren zwischen konkurrierenden Gewerkschaften. Das würde die Minderheitsgewerkschaft stärken und vermeidbare Streiks verhindern.

Von Gregor Thüsing

Die GDL streikt schon wieder, wie lange, bleibt offen. Gleichzeitig geht das Gesetzgebungsverfahren zum Tarifeinheitsgesetz in die nächste Runde. Am Freitag soll es im Bundestag in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden. Doch die wesentliche Frage bleibt hier ungelöst. Der Streik der GDL wird dadurch nicht berührt werden.

Denn in der Begründung des Gesetzentwurfs steht: "Die Regelungen zur Tarifeinheit ändern nicht das Arbeitskampfrecht." Bislang gilt: Jeder Arbeitnehmer kann für einen Tarifvertrag streiken, auch wenn der nicht für ihn gilt, unabhängig davon, ob er Gewerkschaftsmitglied ist oder nicht. Jeder Beschäftigte eines Unternehmens kann für einen Tarifvertrag die Arbeit niederlegen, von dem nicht ausgeschlossen ist, dass er sich später in zumindest einem einzigen Betrieb durchsetzen würde.

Streikrecht zu beschränken, ist politisch heikel

Dies aber kann im Vorhinein kaum sicher ausgeschlossen werden. Sollte das Gesetz Streiks eindämmen wollen, müsste das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung ändern. Dies ist nicht zu erwarten, auch weil dann viele Folgefragen nicht mehr stimmig beantwortet werden könnten. Wer also tatsächlich eine Begrenzung des Streikrechts will, müsste dies ausdrücklich ins Gesetz schreiben - oder sich auf vage und wohl unerfüllbare Erwartungen an die Rechtsprechung stützen.

Das Streikrecht zu beschränken ist aber ein politisch heikles Unterfangen. Man will die Gewerkschaften nicht verärgern. Das ist auch im Grundsatz richtig, denn die Freiheit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, sich zusammenzuschließen, ist ein hohes Gut; mit ihm darf nicht leichtfertig umgegangen werden. Dennoch, oder besser: Gerade deshalb ist eine Ergänzung des vorgelegten Gesetzentwurfs notwendig. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat recht, wenn er fordert: Setzt euch hin, versucht eine Einigung. Die GDL und auch die EVG wollen das nicht, doch wäre es sinnvoll, wenn der Gesetzgeber hier nachhelfen würde. Konkret: Es braucht vernünftige Regeln des Interessenausgleichs. Bei konkurrierenden Gewerkschaften sollte ein Einigungsverfahren zwischen Unternehmen und Gewerkschaften im Gesetz verankert werden, das rivalisierende Zuständigkeiten ausschließt. Das Einigungsverfahren soll vorgeschaltet werden, wenn eine Gewerkschaft oder die Arbeitgeberseite dies beantragt. Die Übernahme des Ergebnisses erfolgt dann auf freiwilliger Basis - oder eben nicht: Dann kann gestreikt werden. Eckpunkte eines möglichen Verfahrens könnten dabei den Schlichtungsabkommen in den bestehenden Tarifverträgen entnommen werden.

Ein Einigungsverfahren stärkt die Minderheitsgewerkschaft

Bevor man streikt, soll man miteinander reden - gleichberechtigt und mit dem ernsten Willen der Verständigung. Ein solcher Weg sichert dann auch, dass das Gesetz der Verfassung entspricht. Bisher hat der Entwurf hier Schwachstellen. Die Mittel, mit denen die Interessen der Minderheitsgewerkschaft gesichert werden sollen, sind wenig hilfreich: Ein einklagbares Recht der Minderheitsgewerkschaft, ihre Forderungen mündlich vortragen zu dürfen, ist funktionslos - genauso das Recht der kleineren Gewerkschaft, den von ihr nicht mit beeinflussten Tarifvertrag, zu dem sie sich ja in Konkurrenz positioniert hat, eins zu eins nachzuzeichnen. Welche Gewerkschaft, die etwas auf sich hält, würde sich auf solche Rechte berufen?

Ein Einigungsverfahren stärkt demgegenüber effektiv die Position der Minderheitsgewerkschaft. Sie ist nicht mehr der Gefahr ausgesetzt, dass die Mehrheitsgewerkschaft sie schlichtweg außen vor lässt - nach dem Motto: Am Ende setze ich mich sowieso durch. Das Streikverhalten der GDL ist ja auch der Versuch, vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes Fakten zu schaffen, aus Angst, andernfalls marginalisiert zu werden. Die Radikalisierung ist vor diesem Hintergrund nicht zu begrüßen, aber zu erklären.

Ein Einigungsverfahren unter allen Beteiligten schützt demgegenüber wirksam die kleinere Gewerkschaft, viel stärker als das Recht auf mündlichen Vortrag. Jede Gewerkschaft hat die Möglichkeit, ihre Positionen gleichberechtigt in den Einigungsprozess einzubringen. Ziel ist es, echte Kooperationsanreize zwischen den Gewerkschaften zu setzen und eine Verhandlungsgemeinschaft zu erreichen. Kommt diese Verhandlungsgemeinschaft nicht zustande, dann kann der Vorsitzende des Einigungsverfahrens einen (unverbindlichen) angemessenen Interessenausgleich formulieren. Wollen die Gewerkschaften das verhindern, müssen sie gemeinsam verhandeln, dann sind auch solche Einigungsgespräche nicht erforderlich.

Verfahren verhindert vermeidbare Streiks

Auch die Arbeitgeberseite hätte ein Antragsrecht für ein solches Verfahren, das wäre schon aus Gründen der von der Verfassung her gebotenen Symmetrie notwendig. Dies würde Verhandlungsanreize auch dort setzen, wo keine der Gewerkschaften von sich aus an einer Kooperation interessiert ist und sich beide gemeinsam einem solchen Verfahren verweigern, wie das zur Zeit bei der Bahn der Fall ist.

Das Einigungsverfahren stärkt darüber hinaus die Position der Öffentlichkeit, denn es verhindert vermeidbare Streiks. Verhandeln die Gewerkschaften zusammen, dann kommt es auch nur zu einer einzigen Tarifauseinandersetzung, nicht zu einer Vielzahl. Auch die Befriedungsfunktion wird hierdurch gestärkt, auch wenn - das Verfahren bleibt schließlich unverbindlich - letztlich ein getrenntes Vorgehen nicht verhindert wird.

Die Position der Gewerkschaften würde hierdurch nicht geschwächt. Alle Streikmittel blieben ihr erhalten. Ihre Kampfkraft würde dadurch nicht gemindert. Das Einigungsverfahren können sie einfach vermeiden, indem sie gemeinsam gegenüber der Arbeitgeberseite auftreten. Und auch der hohe Wert des Kampfes für einen Tarifvertrag, den das Bundesarbeitsgericht immer wieder zu Recht betont, wird ebenso nicht infrage gestellt. Es handelt sich nicht um eine Zwangsschlichtung, sondern um ein unverbindliches, auf angemessene Lösungen ausgerichtetes Verfahren, das Perspektiven einer möglichen Einigung zu finden hilft.

Wer sich einem solchen Vorschlag widersetzt, der tut dies, weil er kategorisch gegen jede Regulierung des Verhandlungsprozesses ist. Das allein ist freilich kein Argument. Im Koalitionsvertrag heißt es klar: "Durch flankierende Verfahrensregelungen wird verfassungsrechtlich gebotenen Belangen Rechnung getragen." Vernünftige Vorschläge liegen auf dem Tisch. Auf den letzten Metern heißt es also noch einmal nachzufassen. Mut ist gefragt - denn wenn man ein Gesetz macht, dann soll es die Probleme auch lösen, die sich gezeigt haben.

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Quelle:
SZ vom 20.05.2015
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