Außenansicht:Die heimlichen Kosten Olympias

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Martin Müller, 33, ist Professor für Geografie an der Universität Zürich. Er forscht zu Planung und Auswirkungen von Großveranstaltungen. (Foto: oh)

Warum sich Hamburg nicht um die Sommerspiele 2024 bewerben sollte.

Von Martin Müller

Mit Hamburg für Deutschland" - unter diesem Motto wirbt die Hansestadt derzeit um Unterstützung für ihre Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele 2024. Dabei wäre es andersherum richtig: "Mit Deutschland für Hamburg". Wenn das Hamburger Stimmvolk am 29. November zur Bewerbung befragt wird, geht es hauptsächlich um Geld des Bundes: 6,2 Milliarden Euro soll der Bund, nach Wunsch der Olympiaplaner, zur Ausrichtung der Sommerspiele beisteuern. Konkret würde also jeder deutsche Steuerzahler ungefähr 150 Euro nach Hamburg schicken. 1,2 Milliarden Euro soll die Stadt selber tragen, weitere 3,8 Milliarden Euro möchten die Organisatoren durch Einnahmen erwirtschaften. Macht zusammen 11,2 Milliarden Euro für gut zwei Wochen Sport auf höchstem Niveau.

Allerdings ist für Hamburg der Sport vor allem Mittel zum Zweck: Die Spiele sollen der Stadtentwicklung dienen. Die Bewerbung sieht vor, dass im Herzen der Stadt, an der Elbe und den Hafenbecken, ein neuer Stadtteil entsteht. Die Olympischen Spiele sollen dafür Geld aus den Kassen des Bundes nach Hamburg spülen. Ein als Sportveranstaltung getarntes Stadtentwicklungsprojekt, von Dritten bezahlt - was für ein Plan!

Die Ausrichtung eines teuren Sportfests hat nichts mit guter Stadtentwicklung zu tun

Allein, mit 6,2 Milliarden Euro, so gigantisch die Summe auch klingen mag, wird es für den Bund nicht getan sein. Zum einen steht die Frage der unlimitierten Bürgschaft im Raum, die das Internationale Olympische Komitee (IOK) von allen Bewerbern verlangt. Diese möchte das IOK vom Bund, denn der hat mehr Finanzkraft als die Hansestadt. Das IOK führte diese Regelung ein, nachdem sich Montréal für die Sommerspiele 1976 finanziell übernommen hatte: erst nach 30 Jahren waren die Schulden abbezahlt. Aus diesem Grund zog sich diesen Juli Boston vom Rennen um die Spiele 2024 zurück: Man wollte keinen Blankoscheck für eine Veranstaltung unterschreiben, die nach bisheriger Erfahrung viel mehr kosten würde als geplant.

Zum anderen unterschätzt der Hamburger Finanzplan die Kosten. Bürgermeister Olaf Scholz bezeichnete ihn zwar ganz unbescheiden als "die am besten durchgerechnete Bewerbung ever". Aber wieso sollen die Aufwendungen für Sicherheit nur 410 Millionen Euro betragen, wenn London für die Spiele 2012 bereits mehr als das Dreifache ausgab? Weshalb sind die Kosten für Sportstätten und Infrastruktur gerade einmal halb so hoch wie in London, das als große Metropole viel weniger Ausbauten nötig hatte? Selbst wenn der Kostenrahmen eingehalten werden könnte, muss eines klar sein: Mit mehr als elf Milliarden Euro Gesamtkosten würden die Sommerspiele 2024 zum mit Abstand teuersten Großprojekt in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik werden; in der ersten Schätzung mehr als doppelt so teuer wie der Flughafen Berlin-Brandenburg International oder der Bahnhof Stuttgart 21.

Anders als bei Flughafen und Bahnhof sind bei den Olympischen Spielen Land und Bund nicht die Herren im Haus. Zwar dürfen sie den Großteil der Zeche zahlen, müssen jedoch die weitreichenden Forderungen im Gastgebervertrag des IOK erfüllen. Die Ziele des IOK stimmen hingegen kaum mit denen einer nachhaltigen Stadtentwicklung überein. Die Sommerspiele benötigen für eine kurze Zeit sehr hohe Kapazitäten - im Verkehr, in den Sportstätten, bei den Unterkünften. Zum Beispiel würde sich die Anzahl der Fahrten im Hamburger Verkehrsverbund ungefähr verdoppeln. Aufgrund der Ballung der Veranstaltung im Zentrum der Stadt würden sich die zusätzlichen Fahrgäste jedoch auf wenige Linien konzentrieren, die deshalb besonders stark ausgebaut werden müssten. Eine nachhaltige Stadtentwicklung würde hingegen nach einer gleichmäßigeren Verteilung von Investitionen verlangen.

Die Olympischen Spiele schaffen noch ein zweites Problem: die unverrückbare Frist. Anders als beim Berliner Flughafen kann die Eröffnung nicht wenige Monate vorher auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Die Projekte müssen auf den Stichtag fertig werden. Im Endspurt der letzten Monate bleibt deshalb gerne die Qualitäts- und Kostenkontrolle auf der Strecke. Aus diesem Grund sind Olympische Spiele auch finanziell die mit Abstand riskantesten Großprojekte, wie kürzlich eine Studie der Universität Oxford zeigte. Die durchschnittlichen Kostenüberschreitungen sind um ein Vielfaches höher als bei anderen Großprojekten.

Ökonomen sind sich weitgehend einig, dass Olympische Spiele schlechten Gegenwert fürs Geld bieten. Trotzdem hält sich unter potenziellen Gastgebern hartnäckig der Eindruck, sie seien ein Segen für jede Region. Dazu tragen jede Menge Studien bei, die neue Arbeitsplätze und zusätzliche Steuern vorhersagen. Diese Argumente zielen jedoch am Kern der Sache vorbei. Die viel wichtigere Frage ist die nach dem Verhältnis von Kosten und Nutzen.

Dasselbe Geld würde in anderen Projekten viel höhere Erträge abwerfen. Im Fachjargon spricht man hier von Opportunitätskosten. Damit gemeint ist der entgangene Nutzen, der dadurch entsteht, dass man bessere Investitionsmöglichkeiten links liegen lassen muss. Mit dem neuen Berliner Flughafen bekomme ich als Bürger bessere Verbindungen in die weite Welt, mit Stuttgart 21 komme ich schneller von Frankfurt nach Ulm, mit einer neuen Universität erhalte ich eine bessere Ausbildung. Doch weshalb braucht es die Ausgaben für eine Sportveranstaltung, wenn ich einen neuen Stadtteil entwickeln will?

Opportunitätskosten entstehen auch durch Hamburgs Konzept von kompakten Spielen im Herzen der Stadt. Es platziert riesige, aber selten genutzte Sportanlagen wie das Olympiastadion an zentraler Stelle direkt am Wasser. Viel sinnvoller wäre es hingegen, auf solchen Flächen intensiv genutzte Wohnungen, Büros oder Freizeitanlagen zu schaffen.

Unterm Strich bleiben für Olympia in Hamburg kaum gute Argumente übrig. Stadtentwicklung und Imageförderung betreibt man besser ohne eine solche Veranstaltung. Deshalb werben die Befürworter vor allem mit großen Emotionen und einer gehörigen Portion Lokalpatriotismus. Wer "gegen Olympia" ist, riskiert als "gegen Hamburg" abgestempelt zu werden.

Am einfachsten könnte der Bund zu mehr Sachlichkeit in der Debatte beitragen. Bundeszuschüsse zu Olympischen Spielen gehören abgeschafft, denn sie tragen dazu bei, dass Städte sich um eine Ausrichtung bewerben, weil sie auf zusätzliches Geld hoffen. Wenn Olympia tatsächlich ein Segen für die auserwählte Stadt ist, sollte es sich von selbst tragen. Der von Subventionshoffnungen unverstellte Blick würde die Olympischen Spiele als das zeigen, was sie sind: ein großes Sportfest.

© SZ vom 18.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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