Außenansicht:Die FDP darf kein rechtes Bollwerk sein

FDP-Landesparteitag NRW

Auf die FDP und ihren Vorsitzenden Christian Lindner kommen in der Opposition große Herausforderungen zu.

(Foto: dpa)

Die Partei sollte sich in der Opposition deutlich positionieren: für die Freiheit, für Europa und klar gegen die AfD. Den populistischen Verlockungen muss sie widerstehen.

Gastbeitrag von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Vor einem Jahr stand die FDP vor der für ihre Existenz alles entscheidenden Frage: Würde die Rückkehr in den Bundestag gelingen oder das Ende des organisierten deutschen Liberalismus eingeleitet? Seit 1949 ist die FDP aus der Politik nicht wegzudenken. Sie prägte alle für Deutschland entscheidenden Weichen mit: Westbindung, Ostverträge, europäische Integration und deutsche Einheit.

Zu Beginn des Jahres 2018 geht es um die Stellung und Bedeutung des organisierten Liberalismus im Parteiengefüge und um seinen Einfluss in der Bundespolitik. Stand die FDP vor Kurzem noch vor einem glänzenden Comeback, wächst seit dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen die Skepsis. Viele Bürger treibt die Frage um, ob die FDP den Erwartungen an eine kraftvolle Politik der Freiheit und Verantwortung gerecht wird.

Sicher: Die parlamentarische Existenz ist mit dem fulminanten Wiedereinzug in den Bundestag erst einmal gesichert. Ob sie die für die Demokratie wichtige Oppositionsarbeit entscheidend beeinflussen kann, wird sich zeigen. Durchsetzen kann man da leider nicht viel.

Schade um Jamaika

Auch wenn die ersten Gesetzentwürfe zur Aufhebung der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung und zur rechtsstaatlich notwendigen Korrektur des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes Freiheitsthemen aufgreifen, so sind das kaum mehr als parlamentarische Akzente. Gestalten lassen sich diese Vorhaben nur in einer Koalition. Oder es bräuchte eine Mehrheit im Deutschen Bundestag, unabhängig von Regierungskonstellationen. Die ist derzeit nicht in Sicht und wird es bei einer möglichen Neuauflage der nach der letzten Legislaturperiode verbrauchten großen Koalition auch nicht geben. Schließlich verantworten gerade Union und SPD diesen Gesetzesmurks.

Eine Jamaika-Koalition hätte bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung immerhin eine klare Bewegung weg von der verfassungswidrigen derzeitigen Rechtslage erkennen lassen. Aber was in Schleswig-Holstein zu funktionieren scheint, war noch nicht reif für den Bund. Schade um Jamaika, wäre doch endlich einmal Bewegung in die erstarrten politischen Strukturen gekommen. Regieren auf Sicht und ohne Mut, das bleibt das deutsche Menetekel.

In der Opposition ist die FDP nicht allein. Grüne, Linke und AfD ringen um Aufmerksamkeit. Und so wie die AfD ohne jegliche Selbstbeschränkung polarisieren und rumpöbeln wird, wie sich bereits zum Jahresauftakt zeigt, kann es einen Überbietungswettbewerb in Unanständigkeit nicht geben. Die FDP muss alles tun, um klare Kante gegen die rechtspopulistische Partei zu zeigen - dabei geht es vor allem um Inhalte und zwar auf allen Themenfeldern.

Der organisierte Liberalismus ist jetzt besonders gefragt

Eine pure Abgrenzungsrhetorik alleine reicht nicht. Einen Weg der FDP als rechtes Bollwerk für unzufriedene Wähler der früheren Volksparteien kurz vor der AfD kann es nicht geben. Dazu müsste die FDP ihre Vorstellungen beerdigen. Verantwortungsbewusst gelebte Freiheit, offene Gesellschaft, die durch gesteuerte Zuwanderung und gelungene Integration ihren Zusammenhalt findet, und eine handlungsfähige Europäische Union mit einem starken Euro sind nicht verhandelbar. Sie markieren die Werte, die die FDP seit Jahrzehnten auszeichnen. Sie definieren den Markenkern, wie er mit dem Leitbild in Magenta, Gelb und neuem Blau beschrieben wurde. Daran haben die Parteimitglieder in der Krise nach dem Jahr 2013 intensiv gearbeitet.

Der entscheidende Faktor in der Bundespolitik könnte der Bundesrat sein. Allerdings ist aufgrund seiner Konstruktion - Enthaltung zählt wie ein Nein und letztlich gestalten nur Ja-Stimmen, während mit dem Nein blockiert und nur verhindert wird - für die Bürgerinnen und Bürger meistens nicht nachvollziehbar, welcher Deal zu wessen Gunsten oder Lasten gerade hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wurde. Elf unterschiedliche Regierungsformen mit grünen, linken, schwarzen und roten Ministerpräsidenten gibt es derzeit im Bundesrat. Sie sind bunt, schwer zu steuern und wohl vorwiegend über ihre finanziellen Interessen verbunden. Da wird es schwierig, eine liberale Handschrift sichtbar werden zu lassen.

Die alles entscheidenden Fragen handeln heute mehr denn je von Europa. Deswegen ist es entscheidend, dass sich die FDP eindeutig positioniert, auch pro Europa. Die Wertebasis der EU erodiert in einigen Mitgliedstaaten. Uneinigkeit in der Wahrnehmung gemeinsamer Pflichten lähmt den Kontinent. Der französische Präsident darf nicht zum einsamen Rufer in der Wüste werden. Gemeinsamkeiten gibt es nicht nur in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die einheitliche Besteuerung internationaler Großkonzerne ist ein weiteres Politikfeld von gemeinsamem Interesse. Und die Digitalisierung kann national nur äußerst begrenzt gestaltet werden. Entscheidende Weichenstellungen kommen heute mehr denn je aus Europa.

Die FDP muss den populistischen Verlockungen widerstehen

In seltsamem Kontrast dazu steht die Stimmung in Deutschland. Die wirtschaftliche Situation ist gut, manche sprechen bereits von einem zweiten deutschen Wirtschaftswunder. Auch die Europäische Union hat ökonomisch wieder Tritt gefasst. Wer aber auf die deutschen Debatten der letzten Monate blickt, sieht diese Entwicklungen kaum abgebildet. Offenbar wird der Nationalstaat parteiübergreifend für viele wieder zu dem Referenzraum, wie er in den Fünfzigerjahren vor Europäisierung und Globalisierung einmal bestanden haben mag. Europa wird nur als kleinliche monetäre Veranstaltung betrachtet. Und der Migrationsdruck nach Europa wird auf die Frage reduziert, wie sich Fluchtwege verbarrikadieren lassen. Oder Grenzen am besten dichtgemacht werden.

Jetzt ist der organisierte Liberalismus besonders gefragt. Mit einer zupackenden Politik, die gestaltet und neue Antworten bietet. So wie es Hans-Dietrich Genscher immer wieder vorgemacht hat. Mit Optimismus für ein Europa, das engagiert die Flüchtlingskrise anpackt. Mit klarer Unterstützung der ehrgeizigen Reformpläne von Emmanuel Macron, trotz einiger Unterschiede.

Die Umstände in der Opposition im Bund und ohne sichtbare Gestaltung auf Bundesebene sind nicht einfach. Die bundesdeutsche Politik erlebt zum ersten Mal, dass sie von einer rechtspopulistischen Partei getrieben wird. Der organisierte Liberalismus ist mutig und widersteht den populistischen Verlockungen. Er blinkt nicht in die eine Richtung, nur um ein paar Wähler anzusprechen. Die FDP hat eine DNA, die sie vom Krankenbett gesunden ließ. Jetzt kommt es darauf an, das Richtige daraus zu machen.

Außenansicht: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, 66, war für die FDP von 1992 bis 1996 sowie von 2009 bis 2013 Bundesjustizministerin. Sie ist unter anderem Vorstandsmitglied der Friedrich-Naumann-Stiftung.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, 66, war für die FDP von 1992 bis 1996 sowie von 2009 bis 2013 Bundesjustizministerin. Sie ist unter anderem Vorstandsmitglied der Friedrich-Naumann-Stiftung.

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