Außenansicht:Die Brutalität des Zufalls

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Martin Rupps, 53, ist Zeithistoriker, Journalist und Autor des Buches „Die Überlebenden von Mogadischu“. Er setzt sich seit Langem für die Erhaltung der „Landshut“ ein.

(Foto: Felicitas von Lutzau)

Die 1977 entführte "Landshut" wird zum Erinnerungsort. Im Mittelpunkt des Gedenkens sollte das Schicksal der Geiseln stehen.

Von Martin Rupps

An Bord sind 94 Menschen. 86 Passagiere, vier Besatzungsmitglieder, vier Terroristen. Am 18. Oktober 1977 entführen vier Palästinenser die Boeing 737 -230 mit dem Namen der Stadt Landshut in Niederbayern in 106 Stunden von Mallorca bis an das Horn von Afrika. Auf dem Flughafen der somalischen Hauptstadt Mogadischu wagt die deutsche Spezialeinheit GSG 9 unter Kommandeur Ulrich Wegener den Sturm. In sieben Minuten fallen einige Hundert Schuss. Drei Terroristen sind tot, eine Frau aus dieser Gruppe überlebt schwer verletzt. Aber es gibt keine Toten unter den Geiseln und ihren Befreiern. In dieser Enge, bei diffusem Licht, bei bewaffneten Gegnern. Ein Wunder. Ein Wunder auf 73 Quadratmetern - so viel misst der Innenraum des "Zäpfchens", wie die Boeing 737 wegen ihrer gedrungenen Gestalt genannt wird.

Die frühere Landshut wartet nun auf dem Flughafen der nordbrasilianischen Stadt Fortaleza auf Techniker, die ihr die Flügel abnehmen und sie und den Rumpf in eine Antonov, ein russisches Riesenfrachtflugzeug, laden. Diese Antonov soll sie nach Deutschland bringen, auf das Flugfeld von Friedrichshafen am Bodensee. In einem Hangar dort kommen die Flügel wieder dran, die "Landshut" beginnt ein zweites Leben als Erinnerungsort im Dornier-Luftfahrtmuseum Friedrichshafen.

Wie ließe sich dieser Ort gestalten? Ein Vorschlag: Die Maschine erhält ihren originalen Lack und ihre Kennung D-ABCE an Rumpf und Leitwerk wieder, genauso ihren Namen und das Wappen der Stadt Landshut. Das Licht lässt sich wieder einschalten, die Klappen an den Flügeln können bewegt werden für eine Präsentation bei Nacht. An den sechs Türen stehen symbolisch Leitern, wie sie die GSG 9-Leute zum Sturm genutzt haben. Der ganze Rumpf ist wieder mit beiger Kunststoff-Pappe ausgekleidet, aber es genügen wenige Sitzreihen, auf denen Schüler und Besucher Platz nehmen für eine Multimedia-Schau. Diese zeigt Ausschnitte aus den Nachrichtensendungen vor 40 Jahren, Ausschnitte aus dem Funkverkehr der GSG 9 bei der Stürmung und aus dem Film, den ein GSG 9-Mann von der Aktion gedreht haben soll. Die Landshut verfügte auch über einen Flugschreiber und über ein Aufzeichnungsgerät für die jeweils letzten 30 Gesprächsminuten der Piloten im Cockpit.

Die Befreiung durch die GSG 9 in Mogadischu - sieben Minuten, die Geschichte schreiben

Sprecher machen die Telefongespräche zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski wieder lebendig. In einer Ecke des Raums trägt eine Puppe den originalen Kampfanzug mit Schutzweste, in dem die GSG9-Leute das Flugzeug stürmten.

Im Mittelpunkt der Ausstellung aber sollte das Schicksal der Geiseln stehen - zur Erinnerung daran, was Terror völlig unbeteiligten Menschen antun kann, wie sie gequält werden im Namen einer Ideologie, die doch angeblich eine bessere Welt schaffen will. Die frühere Geisel Beate Keller überlässt dem Erinnerungsort leihweise die noch verschlossene Coca-Cola-Flasche mit somalischen Schriftzeichen, die ihr nach der Befreiung in einer Sandkuhle gereicht wurde. Das Kleid, das sie während der Entführung trug, besitzt sie noch.

Auch die Besatzungsmitglieder haben ihre Geschichte. Copilot Jürgen Vietor und Stewardess Gabi Dillmann kamen aus dem Standby, sprangen also kurzfristig für eine Kollegin und einen Kollegen ein. Ohne das tapfere und mutige Verhalten von Gabi Dillmann während der Entführungstage wären viele Geiseln durchgedreht. An diesem Mediaplatz fällt - endlich - die gebührende Aufmerksamkeit auf Menschen, die eine körperliche und seelische Tortur erlebten, ohne eigene Schuld. Ihr Schicksal zeigt die Brutalität des Zufalls. Viele frühere Geiseln haben im Lauf ihres Lebens Radio- und Fernsehinterviews gegeben, an diesem Mediaplatz sind ihre Erlebnisschilderungen nachzuhören und nachzulesen. Hierher gehören auch die vergeblichen Bettelbriefe von ehemaligen Geiseln an die Bundesregierung nach medizinischer Hilfe oder Schadenersatz. Eine andere Geisel verliert bei einer harten Landung mehrere Schneidezähne in Ober- und Unterkiefer (ihre Krankenkasse will später nur die Kosten für den Unterkiefer erstatten, eine Initiative des Bundeskanzleramts sorgt für die ganze Kostenübernahme). Zu sehen wäre auch der Fragebogen, den frühere Geiseln für einen Antrag nach diesem Opferentschädigungsgesetz ausfüllen mussten: "Sind Sie mit dem Täter verwandt oder verschwägert?" Oder die Telegramme von Angehörigen der Geiseln an Bundeskanzler Helmut Schmidt, in dessen Händen das Schicksal von Frau und Kindern lag.

Die Besucher nehmen im Cockpit Platz. Auf Kopfhörern aus der Zeit hören sie den Funkverkehr zwischen den Entführern und dem Tower in Mogadischu und lesen ihn am Bildschirm auf Deutsch mit. Sie hören auch das Abschiedswort, das Stewardess Gabriele Dillmann an Bundeskanzler Helmut Schmidt und ihren Freund Rüdiger von Lutzau Minuten vor der angekündigten Sprengung richtet. Im Cockpit liegt das sogenannte Flight Log, das von Copilot Jürgen Vietor geführte Logbuch. Fünf Besatzungsmitglieder hat er vor dem Start auf Mallorca eingetragen. Als er die Start- und Landezeiten von Aden darin einträgt, sind es noch vier. Ein Ort im Erinnerungsort Landshut ist ein Gedenkort für den von den Entführern ermordeten Flugkapitän Jürgen Schumann. Dank seiner versteckten Hinweise hat die Bundesregierung erfahren, dass vier Entführer an Bord sind, zwei Frauen und zwei Männer. Er sprach den Geiseln immer wieder Mut zu.

Ein eigenes Thema sind die Kinder in der Landshut. Sieben Kinder erlebten die Qualen der Entführung mit, einige waren alt genug, um alles wahrzunehmen und sich für alle Zeit an alles zu erinnern. Der Sohn von Birgitt Röhl erfuhr, dass sich seine Mutter am nächsten Morgen zu ihrer Erschießung melden sollte. Die kommende gemeinsame Nacht hätte ihre letzte sein können. Eine andere Geisel im Kindesalter hat bis heute das Stofftier, das beim Entführungsflug auf dem Schoß saß, unter ihrem Kopfkissen.

Neben der Puppe mit dem GSG9-Anzug wird die Geschichte dieser Sondereinheit erzählt, die sich mit der Aktion "Feuerzauber" in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingräbt. "Mogadischu" machte die GSG9 zur wichtigsten Einheit gegen den Terrorismus. Auch die Geschichte des Flugzeuges selbst gilt es zu erzählen, von seiner Taufe in Landshut bis zu seinem letzten Abstellplatz in Fortaleza im Norden Brasiliens. Flugzeugenthusiasten haben die Geschichte der Landshut genau rekonstruiert, zum Glück, denn kein Ereignis in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist so sehr an einen bestimmten Ort geknüpft wie die sieben Minuten in der Landshut.

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