Außenansicht:Die Frage nach der Religion

Außenansicht: Meera Jamal, 34, ist eine pakistanische Journalistin. In ihrer Heimat arbeitete sie für die Zeitung The Dawn. Nach Drohungen wegen ihrer Arbeit flüchtete sie 2008 und lebt heute mit ihrer Familie in Wiesbaden.

Meera Jamal, 34, ist eine pakistanische Journalistin. In ihrer Heimat arbeitete sie für die Zeitung The Dawn. Nach Drohungen wegen ihrer Arbeit flüchtete sie 2008 und lebt heute mit ihrer Familie in Wiesbaden.

(Foto: Heiko Meyer)

Die Heimat verlassen, in Deutschland mit dem Messer bedroht: Was es bedeutet, als verfolgte Atheistin nach Deutschland zu kommen und weiterhin auf der Flucht zu sein.

Von Meera Jamal

Die Furcht ist immer noch da. Obwohl ich jetzt seit mehr als acht Jahren in Deutschland lebe, zucke ich immer noch zusammen, wenn jemand mich nach meiner Religion fragt. Das Unbehagen ist dann besonders groß, wenn die Frage von jemandem aus meinem Heimatland (Pakistan) oder einem anderen überwiegend muslimischen Land kommt. Ich weiß, dass dann in der Regel meine Leistungen, mein Verhalten, meine Einstellung für den Frager ohne Bedeutung sind und ihn nur das religiöse Etikett interessiert. Das denke ich mir nicht aus, das ist Ergebnis meiner Erfahrungen in Deutschland.

Ich wurde in eine atheistische Familie in Pakistan hineingeboren, verbrachte jedoch 25 Jahre des Lebens damit, so zu tun, als sei dies nicht so. Die Verstellung habe ich von meinen Eltern gelernt, um in der Gesellschaft zu überleben und akzeptiert zu werden. Auf Atheismus steht im Islam die Todesstrafe. In der Schule hatte ich Islam als Unterrichtsfach. Es gab Zeiten, da versuchte ich, mutig zu sein; dann sagte ich in der Schule laut, dass ich nicht bete, wenn ich gefragt wurde. Das Ergebnis war, dass der Lehrer mir sagte, ich solle mich schämen, und mich für den Rest der Stunde stehen ließ, als Mahnung für die anderen Kinder. Damals war ich 14. Später fand ich es bequemer, zum Beispiel irgendwelche Krankheiten zu erfinden, die mich daran hinderten, den Fastenmonat einzuhalten. Oder ich log, was die Gebete anging.

Während meiner Karriere als Journalistin fühlte ich erstmals eine gewisse Erleichterung, denn ich traf Menschen wie mich auch außerhalb meines Elternhauses. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich den Mut, mich Freunden gegenüber zu offenbaren. Aber ich wusste immer noch, dass es gefährlich war, außerhalb des engsten Familienkreises offen zu sein. Nachdem ich wegen meiner Arbeit von Islamisten bedroht worden war, wurde die Furcht zu groß. Ich verließ Pakistan.

Der größte Augenblick meines Lebens kam 2008, als ich an einer deutschen Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge mein religiöses Etikett ablegte. Es fühlte sich an, als habe jemand eine Last von meinen Schultern genommen. Man hatte mich allerdings gewarnt: Ich solle still sein, um Feindseligkeiten seitens meiner Landsleute zu vermeiden. Daher fühlte ich mich in der Falle, als ich in ein Zimmer zusammen mit anderen Frauen aus Pakistan gebracht wurde und dann mit mehreren arabischen Männer - einige unter ihnen belästigten mich sexuell - zu tun hatte, die mich immer wieder fragten, warum ich nicht betete und warum ich Röcke, Jeans und ärmellose Blusen trug. Ich vermied es, meine Überzeugungen mit ihnen zu diskutieren.

Der Druck zur religiösen Anpassung

Nach der Scharia begeht jemand, der negativ über die Religion Mohammeds spricht, Gotteslästerung und verdient die Todesstrafe. Das bringt jemanden wie mich, der den Islam wegen seiner Haltung zu Frauen und zu den Menschenrechten kritisiert, in eine heikle Lage. 2009, als ich in einem Studentenheim in Bonn lebte, bedrohte mich ein Student aus Marokko mit dem Messer. Er wollte nicht glauben, dass mein Vater Atheist war; nach seiner Meinung gibt es in Pakistan nur Muslime. Er sagte, wenn ich eine "Murtadd" sei, also eine, die sich vom Islam losgesagt hat, müsse ich mit dem Tod bestraft werden. Der Vorfall war ein Schock für mich. Da ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte, mied ich den Studenten und sprach mit niemandem über den Vorfall.

Ich bin nicht gegen den Islam oder irgend eine andere Religion eingestellt. Ich weiß, dass nicht jeder Muslim intolerant ist. Trotzdem habe ich Angst davor, offen zu sein, sogar in einem Land, das die Freiheit der Religion in seinen Gesetzen garantiert. Ich glaube, dass das Problem in der Integration der Flüchtlinge und Migranten in die deutsche Gesellschaft liegt. Die Distanz der hiesigen Bevölkerung zu den Flüchtlingen führt zur Bildung von Ghettos, in denen einige Menschen, besonders radikale Muslime, die Chance sehen, sich zusammenzuschließen und andere zu belästigen. Dies ist ein Grund dafür, dass in so vielen Flüchtlingsfamilien immer noch die Rechte von Frauen und Kindern verletzt werden. In die Öffentlichkeit dringt davon nichts, weil die Menschen dort solches Verhalten als Norm akzeptieren.

Unter vielen Migranten gibt es einen kulturellen und religiösen Bias gegen Frauen. Fragen Sie irgendeine Muslima aus so einem Ghetto über Vergewaltigung in der Ehe. Der Begriff wird ihr fremd sein, da es nach muslimischer Kultur und Religion die Pflicht einer Frau ist, die sexuellen Wünsche ihres Mannes zu erfüllen und dass es in Ordnung geht, wenn der Mann sie schlägt, falls sie nicht gehorcht.

Kein Einzelfall

Kürzlich traf ich eine Irakerin, die ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Sie erzählte mir, dass viele Mädchen in diesen Ghettos von ihren Nachbarn gezwungen werden, Kopftuch zu tragen. Bekannt ist der Fall von Rana Ahmed, einer Geflüchteten aus Saudi-Arabien, die im Internet immer wieder bedroht wird, weil sie offen über ihren Atheismus spricht. Ich bin sicher, dass es viele liberale Muslime gibt, die an das Prinzip "Leben und leben lassen" glauben. Das Problem ist, dass sie ihre Stimme nicht erheben und dass es auch sonst keine Reaktion von ihrer Seite gibt, wenn Nicht-Muslime durch Extremisten im Namen des Islam terrorisiert werden.

Nach meiner bescheidenen Meinung wäre es nötig, in den Erstaufnahmestellen für Flüchtlinge Crash-Kurse über die grundlegenden deutschen Gesetze, über Rechte für Männer, Frauen und Kinder und auch religiöse Freiheiten einzuführen. Alle sollten ein Dokument unterzeichne müssen, wonach sie die europäischen Gesetze uneingeschränkt verstehen, und dass sie für den Fall, dass sie diese missachten, in ihre Heimat abgeschoben werden.

Wenn es zu Fällen von Missbrauch unter Flüchtlingen kommt, dann macht sich der Täter meist die Unwissenheit des Opfers als Waffe zunutze. Auch Schulkinder, die wissen, dass ihre Eltern sie nicht schlagen dürfen, werden Opfer von Gewalt. Ihre Eltern erpressen sie mit der Aussicht auf schlimme Konsequenzen, sollten sie es wagen, das Jugendamt anzurufen.

Ich weiß, dass die Zahl der Flüchtlinge überwältigend war und ich verstehe es gut, dass es eine gigantische Aufgabe für die Behörden ist, ihnen allen gerecht zu werden. Trotzdem: Haben die Sicherheit und die Rechte nicht-religiöser Flüchtlinge hierzulande einen Stellenwert? Viele Menschen haben, so wie ich, muslimische Länder verlassen aus Angst vor Verfolgung, sie haben ihr Leben riskiert, um nach Deutschland zu kommen. Wenn wir uns nun auch hier aus Furcht ständig umdrehen müssen, wohin sollen wir dann noch gehen?

Aus dem Englischen von Nikolaus Piper

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