Süddeutsche Zeitung

Außenansicht:Der Ton der Hundepfeife

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Botschaften, die hört, wer sie hören möchte: Donald Trump kann man kaum als Antisemiten bezeichnen. Und doch trägt er mit seinen Polemiken gegen eine angeblich jüdisch geprägte globale Elite zur wachsenden und zunehmend gewalttätigen Judenfeindschaft in den USA bei.

Von Jacob S. Eder

Es war der tödlichste Anschlag auf Juden in der Geschichte der USA. Der Amoklauf von Robert D. Bowers, der in einer Pittsburgher Synagoge elf Menschen erschoss, hat eine intensive Debatte über Antisemitismus unter Donald Trump ausgelöst. Zuvor hatte der Attentäter im Netz Einwanderer als "Invasoren" bezeichnet und gegen Juden gehetzt, vor allem gegen die jüdische Flüchtlingshilfsorganisation HIAS. Bowers lehnt Trump ab, da dieser sich für seinen Geschmack mit zu vielen Juden umgibt. Dennoch wird gerade im regierungskritischen Lager heftig darüber diskutiert, ob ein Präsident, der zur Mobilisierung der eigenen Basis gezielt auf eine xenophobe Rhetorik setzt, ein politisches Klima geschaffen hat, in dem antisemitischer Hass in tödliche Gewalt umschlägt.

Die Judenfeindschaft in den USA unterschied sich bis ins 19. Jahrhundert kaum von ihrem europäischen Pendant. Besonders virulent war sie in der Zwischenkriegszeit, als etwa der Unternehmer Henry Ford oder Father Coughlin, ein katholischer Priester, gegen jüdische Einwanderer und Flüchtlinge aus Europa agitierten. Auch wenn es am rechten Rand immer antisemitische Ressentiments gab, nahmen diese nach dem Holocaust deutlich ab. Bis vor Kurzem galt Antisemitismus nicht als vordringlich amerikanisches Problem. Der besorgte Blick richtete sich auf die jüdischen Gemeinden in Europa, nicht aber auf eine Großstadt wie Pittsburgh.

Der Präsidentschaftswahlkampf 2016 war ein tiefer Einschnitt. Bereits als Kandidat bediente Donald Trump antisemitische Klischees und Verschwörungstheorien. In den USA spricht man hier von "Hundepfeifen-Politik", deren Botschaften nur von denjenigen gehört werden sollen, die dafür empfänglich sind - allen anderen gegenüber kann man den antisemitischen Unterton leugnen. So verbreitete Trump im Wahlkampf ein Bild von Hillary Clinton, das sie - mit einem Davidstern versehen - als "korrupteste Kandidatin aller Zeiten" bezeichnete. In seinem letzten Wahlkampfspot versprach er der Bevölkerung Schutz vor der Ausbeutung durch eine globale Elite, die an den "Hebeln der Macht" sitze. Im Hintergrund wurden die Gesichter des Philanthropen George Soros, der damaligen Präsidentin der US-Zentralbank, Janet Yellen, und von Lloyd Blankfein eingeblendet, des Vorstandschefs von Goldman Sachs. Alle drei sind jüdisch.

Dabei wäre es ein Fehler davon auszugehen, dass Trump auf diese Weise vor allem ultrarechte Splittergruppen wie die Alt-Right-Bewegung oder Fanatiker wie Bowers erreichen will. Es geht um ein viel größeres Reservoir an Wählerstimmen: Experten schätzen, dass etwa elf Millionen weiße Amerikaner zumindest teilweise durch rassistische Botschaften oder die Verbreitung antisemitischer Verschwörungstheorien mobilisiert werden können. Auf diese Stimmen latent oder offen fremdenfeindlicher Wähler will man im Trump-Lager angesichts extrem knapper Stimmenverhältnisse nicht verzichten.

Dabei nimmt Trump offenbar in Kauf, radikale Rassisten und Antisemiten zu stärken. Besonders virulent ist in diesen Kreisen die Verschwörungstheorie des "White Genocide". Diese besagt, "die Juden" würden durch einen gezielten Bevölkerungsaustausch weiße Amerikaner durch nicht-weiße Einwanderer ersetzen wollen. Darum skandierten die Teilnehmer der rechtsextremen Demonstration in Charlottesville im August 2017, bei der eine Gegendemonstrantin zu Tode kam, "Jews will not replace us". Trump distanzierte sich nur sehr zögerlich und schob nach, dass es auf beiden Seiten der Proteste "sehr anständige Leute" gegeben habe.

Dass der Attentäter von Pittsburgh nun ausgerechnet die jüdische Organisation HIAS, die als Hebrew Immigrant Aid Society gegründet wurde, zur Zielscheibe seines Hasses machte, ist daher kein Zufall. Seit etwa 130 Jahren setzt sie sich für Migranten und Flüchtlinge ein. Nachdem sie sich lange auf jüdische Hilfeempfänger konzentriert hatte, wandelte sie sich in den vergangenen zehn Jahren zur Fürsprecherin aller Flüchtlinge in den USA. Dabei positioniert sich HIAS offen gegen Trump, zum Beispiel im Rahmen von mehreren Gerichtsverfahren gegen dessen immer restriktiver werdende Einwanderungspolitik.

Als Antisemit wird man den Präsidenten dennoch kaum bezeichnen können: Als Unternehmer ließ er sich von jüdischen Anwälten vertreten, und Juden bekleiden Schlüsselpositionen in seinem Regierungsteam. Zwei seiner engsten Berater, sein Schwiegersohn Jared Kushner und seine Tochter Ivanka, sind praktizierende orthodoxe Juden, Kushners Großeltern Holocaust-Überlebende. Trumps Verteidiger nutzen den Verweis auf Ivanka stets auch als Argument, um jeglichen Antisemitismusvorwurf gegen den Präsidenten als haltlos zu entkräften.

Aber auch unter Amerikas Juden ist Trump hoch umstritten. Mehrheitlich stehen sie zwar gegen ihn und sehen in ihm eine Bedrohung für eine Gesellschaftsordnung, die den Antisemitismus überwunden geglaubt hatte. Gleichwohl gibt es viele konservative Juden in den USA, die dem Präsidenten wegen seiner Unterstützung Israels hohe Anerkennung zollen. Sie gehen sogar so weit, jüdische Trump-Kritiker als Antisemiten zu bezeichnen, da jeder Angriff auf Trump als Angriff auf Israel zu verstehen sei.

Diejenigen, die nach der Schockwelle von Pittsburgh auf ein klares Bekenntnis Trumps gegen Antisemitismus und die Feinde einer pluralistischen Gesellschaft gehofft hatten, wurden zunächst enttäuscht: Zuerst griff er eine Forderung der Waffenlobby auf und forderte mehr bewaffnetes Wachpersonal für Synagogen. Wie die New York Times berichtete, konnten aber Ivanka und ihr Ehemann den Präsidenten davon überzeugen, Antisemitismus unmissverständlich zu verurteilen und die Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh zu besuchen - trotz der massiven Proteste dagegen.

Ob dieser Umschwung bei Trump, der auf jede Änderung des Meinungsklimas reagiert, nun aus Überzeugung geschehen ist oder einem zynischen Kalkül folgt, lässt sich schwer sagen. Vermutlich ist ihm das Risiko schlicht zu hoch, gemäßigte Republikaner bei den Wahlen an diesem Dienstag zu brüskieren. Sich offen gegen die Welle der Solidarität mit der jüdischen Gemeinde in Pittsburgh und HIAS zu stellen, würde sich kaum positiv an der Wahlurne bemerkbar machen. Die Ultrarechten und die Millionen Wähler hingegen, die mit deren Ideen zumindest teilweise sympathisieren, werden Trumps anfängliches Zögern genau und mit Freude registriert haben. Für sie dürfte klar sein: Ihr Präsident hat sich nur vorübergehend der "jüdischen Lobby" gebeugt.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2018
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