Populismus:Der "weiße Mann" befürchtet seinen Niedergang

Lesezeit: 3 min

Den umzäunten Bereich und auch den Flughafen dürfen die Flüchtlinge nicht verlassen. Das Gelände gilt als Außengrenze Deutschlands, sie sind nicht eingereist. (Foto: dpa)

Populisten leben von der Angst, dass der Westen in der Globalisierung verliert. Wohlstandsfaschismus entsteht und befriedigt die Sehnsucht nach einfachen Lösungen mit Zäunen und Mauern.

Gastbeitrag von Joschka Fischer

Auf beiden Seiten des Atlantiks findet ganz aktuell eine alarmierende Rechtsverschiebung in der Politik statt - festgemacht an den Führungsfiguren rechtspopulistischer bis offen rechtsradikaler Parteien - Donald Trump in den USA, Marine Le Pen in Frankreich. Man könnte diesen Namen noch einige weitere, wie den Ungarn Viktor Orbán, hinzufügen, der offen für eine "illiberale Demokratie" eintritt, worunter man ein völkisch begründetes, autoritär-populistisches Zerrbild von Demokratie verstehen muss, oder auch den Polen Jarosław Kaczyński und seiner Partei Pis.

In vielen Mitgliedstaaten der EU waren und sind nationalistische und fremdenfeindliche Parteien im Aufwind, übrigens lange bevor die syrischen Flüchtlinge in nennenswerter Zahl Europa erreicht hatten: Wilders in den Niederlanden, der Vlaams Blok (und seine Nachfolgeorganisation Vlaams Belang) in Belgien, Strache und die FPÖ in Österreich, Blocher und die SVP in der Schweiz sowie die Schwedendemokraten, Die Finnen und die Dansk Folkeparti, um nur einige zu nennen.

Gewiss gibt es für den Aufstieg und den Erfolg dieser rechtspopulistischen Parteien national höchst unterschiedliche Gründe, zugleich aber auch nicht zu übersehende Gemeinsamkeiten vor allem in ihren Grundpositionen: All diesen Parteien ist gemein, dass sie gegen das "System", gegen die "politische Klasse" und gegen Europa kämpfen. Sie sind alle nicht nur fremdenfeindlich (vor allem auch islamfeindlich!) und extrem nationalistisch ausgerichtet, sondern sie greifen auch mehr oder weniger unverhohlen auf eine ethnisch-völkische Begründung (eine Nation wird nicht durch die Gemeinschaft ihrer Staatsbürger und der Verpflichtung auf eine gemeinsame Verfassungs- und Rechtsordnung definiert, sondern durch die gemeinsame Abstammung und Religion) ihrer Politik zurück, wie man es in Europa seit den Dreißigerjahren nicht mehr kannte.

Die Zuwanderung bildet die Brücke zwischen Innen- und Außenpolitik

Wie jeder extreme Nationalismus kommt auch der gegenwärtige ohne "Identitätspolitik" nicht aus und landet so zwanghaft meist früher als später im Völkischen, im Rassismus und im Religionskrieg. So ist es auch diesmal wieder zu besichtigen.

Apropos Dreißigerjahre. Damals wurden als Begründung für den Aufstieg des Faschismus und extrem nationalistischer Parteien der verlorene Erste Weltkrieg mit seinen Millionen Toten und seiner Militarisierung der Köpfe sowie die Weltwirtschaftskrise mit ihrer Massenarbeitslosigkeit angeführt.

Der Faschismus wurde aus der massenhaften Not, aus Armut und Elend erklärt, der die Menschen für die großen Verführer empfänglich gemacht habe. Nichts Vergleichbares gilt heute für die Staaten des Westens, weder in den USA noch in Europa. Was macht diese Mischung aus völkischem Nationalismus, Rassismus und Religionskrieg dann gerade heute, in diesen reichen Ländern, so attraktiv, dass man fast von einem neuen "Wohlstandsfaschismus" sprechen muss?

An erster Stelle steht wohl Angst, sehr viel Angst, das instinktive Spüren von Schwäche und Niedergang der "Welt des weißen Mannes", wie sie über Jahrhunderte hinweg, scheinbar ganz selbstverständlich, den Globus und die Gesellschaften des Westens beherrscht hatte. Diese Vorherrschaft geht in unseren Tagen definitiv zu Ende, und zwar nicht nur außenpolitisch, sondern auch im Innern der westlichen Gesellschaften.

Die Zuwanderung bildet die Brücke zwischen Innen- und Außenpolitik, auch deswegen wirkt sie für die neuen Angstnationalisten so bedrohlich.

Galt die Globalisierung bisher weitgehend als eine Einbahnstraße zugunsten des Westens, so wird jetzt doch mehr und mehr spürbar, verbunden mit der Finanzkrise von 2008/9 und dem vor aller Augen stattfindenden Aufstieg Chinas zur führenden Macht des 21. Jahrhunderts, dass die Globalisierung eine Zweibahnstraße ist, die für den Westen zweifellos den Verlust seiner globalen Vorherrschaft und einen Transfer von Macht und Reichtum von West nach Ost bedeutet.

Joschka Fischer, 67, war von 1998 bis 2005 Bundesaußenminister und Vizekanzler. Copyright: Project Syndicate, 2015. (Foto: Markus Scholz/dpa)

Auch die Probleme der Welt lassen sich, zumindest für Europa nicht länger verdrängen und ausgrenzen, denn sie haben jetzt das europäische Haus direkt erreicht. Aber auch innenpolitisch finden in den westlichen Gesellschaften große Veränderungen zu Lasten des "weißen Mannes" statt: Europa, Zuwanderung, Globalisierung der Arbeitsmärkte, Frauengleichstellung, die Emanzipation sexueller Minderheiten, die über Jahrhunderte hinweg diskriminiert und verfolgt worden waren. Kurzum, eine fundamentale Erschütterung traditioneller Rollenbilder und Verhaltensmuster.

Der "weiße" Westen hat eine durchaus realistische Selbstwahrnehmung: Er sieht sich selbst als reich, alt und schwach - und das macht Angst, sehr viel Angst offenbar!

Sehnsucht nach einfachen Lösungen

Aus all diesen tief greifenden Veränderungen, einer immer komplexer werdenden Welt und gesellschaftlichen Realität und den daraus gespeisten Ängsten erwächst die Sehnsucht nach einfachen Lösungen - Zäune und Mauern bauen; Abschottung, ob im Süden der USA oder in Südungarn - und nach dem starken Mann. Es kommt nicht von ungefähr, dass bei Europas neuen Nationalisten deshalb Wladimir Putin als Hoffnungsträger schwer angesagt ist, was allerdings in den USA aus auf der Hand liegenden Gründen nicht funktioniert. Die Weltmacht distanziert sich nicht von sich selbst. In Europa allerdings wirkt der antiwestliche, großrussische Ansatz Putins in den Reihen der neuen Nationalisten (mit Ausnahme Polens und des Baltikums!), und dieser neue Nationalismus droht den Prozess der europäischen Integration ernsthaft zu gefährden.

Frankreich hält dazu den Schlüssel in der Hand. Denn ohne Frankreich ist Europa weder denk- noch machbar, und eine Präsidentin Marine Le Pen würde wohl das Ende der EU und damit eine Katastrophe für ihr Land und den gesamten Kontinent einläuten. Europa würde damit aus der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts definitiv ausscheiden, und damit wäre auch der Westen am Ende, denn die USA müssten sich dann dauerhaft neu (und d.h. Richtung Pazifik) orientieren, während sich Europa fortan mit der Rolle des eurasischen Wurmfortsatzes zu begnügen hätte.

Alles andere als schöne Aussichten, aber noch ist es nicht so weit. Von der Zukunft Europas hängt viel ab, sehr viel sogar, wie man unschwer sehen kann.

© SZ vom 29.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: