USA und der Nahe Osten:Der Hegemon geht - und hinterlässt ein Pulverfass

Plain-clothes policemen stand on top of a police vehicle at a checkpoint in Sanaa

Polizisten im Jemen stehen Wache - der Konflikt in dem Land hat eine neue Qualität.

(Foto: REUTERS)

Weil sich Amerika militärisch zurückzieht, gibt es im Nahen Osten keinen stabilisierenden Hegemon mehr. Iran und Saudi-Arabien kämpfen nun um die Vorherrschaft - mit gefährlichen Folgen für die ganze Welt.

Gastbeitrag von Joschka Fischer

In diesen Tagen wird der "neue" Nahe Osten durch eine ganze Kette von Ereignissen eindrücklich für alle Welt sichtbar gemacht. Im Gegensatz zu jenem alten Nahen Osten, der seit dem Untergang des Osmanischen Reiches durch westliche Vormächte bestimmt und stabilisiert wurde - nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zunächst durch Großbritannien und Frankreich, dann, seit den Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart hinein, durch die USA - gibt es in diesem neuen Nahen Osten keinen stabilisierenden externen Hegemon mehr. Und das hat gefährliche Folgen.

Die Vereinigten Staaten wollen und können diese Rolle offensichtlich nicht mehr ausfüllen, auch wenn sie sich militärisch nicht ganz aus der Region zurückziehen werden. Aber eine direkte militärische Intervention, vor allem mit Truppen am Boden, wird es nach dem Debakel im Irak so schnell nicht mehr geben.

Iran und Saudi-Arabien kämpfen um die regionale Vorherrschaft

So ist ein machtpolitisches Vakuum entstanden, das verschiedene regionale - staatliche wie nicht-staatliche - Akteure versuchen auszufüllen, wobei die meisten nichtstaatlichen Organisationen von der einen oder anderen regionalen Vormacht unterstützt werden.

Gegenwärtig kämpfen vor allem Iran und Saudi-Arabien um die regionale Vorherrschaft; die mehr oder weniger verdeckten Schauplätze dieses Kampfes waren bisher Libanon, Irak und Syrien, jetzt ist Jemen noch dazugekommen. Der Konflikt in Jemen hat dabei eine neue Qualität, nicht nur, weil er im Süden der arabischen Halbinsel stattfindet und somit direkt auf das saudische Königreich zielt, sondern auch, weil in diesem Falle die Konfrontation zwischen Teheran und Riad kaum noch verhüllt ausgetragen wird.

Und wie immer bei den großen Machtkämpfen in dieser Region spielen weitere Faktoren - religiöse und ethnische - eine wesentliche Rolle. Die Spaltung des Islams in Sunniten und Schiiten findet ihre machtpolitische Entsprechung: Iran ist schiitisch, Saudi-Arabien sunnitisch, und hinzu kommt noch die ethnisch-kulturelle Differenz zwischen Iranern und Arabern.

Machtinteressen, Religion und ethnische Unterschiede bilden im neuen Nahen Osten eine gefährliche Mischung. Zugleich lehrt die Erfahrung, dass sich die Konflikte durch militärische Interventionen von außen nicht lösen, ja nicht einmal eindämmen lassen. Die Regionalmächte werden die Konflikte also schließlich selbst aussortieren und lösen müssen.

Das ist gleichbedeutend mit einer langen Phase schwer kalkulierbarer Gewalt, die leicht zu einem Weltkonflikt eskalieren kann. Konsequenzen einer solchen Entwicklung wären eine große humanitäre Katastrophe - wie bereits heute in Syrien - erhebliche wirtschafts- und sicherheitspolitische Gefahren. Nach wie vor wird ein wesentlicher Faktor der Weltwirtschaft, der Ölpreis, faktisch auf der arabischen Halbinsel und durch die Anrainerstaaten des Persischen Golfes gemacht.

Ein langer Kampf um die Hegemonie in der Region wird auch zu einem wachsenden globalen Terrorrisiko führen, da sich alle Seiten religiös legitimierender Terrorgruppen bedienen. Die noch größere Gefahr könnte allerdings darin bestehen, dass die zentralen Akteure in diesem Konflikt versuchen, nuklear aufzurüsten - ein Albtraum für die Sicherheit und Stabilität der ganzen Welt im 21. Jahrhundert.

Zeitpunkt des Iran-Abkommens ist kein Zufall

Insofern ist es mehr als ein Zufall, dass parallel zu der direkten hegemonialen Konfrontation der regionalen Vormächte in Jemen die UN-Vetomächte und Deutschland versucht haben, ein Nuklearabkommen mit Iran auszuhandeln.

Das aus diesen während der vergangenen zwölf Jahre immer wieder unterbrochenen und dann neu aufgenommenen Gesprächen (an denen ich selbst eine Weile teilgenommen habe) hervorgegangene Rahmenabkommen soll die Gefahr einer militärischen Nuklearmacht Iran eindämmen, und zwar dadurch, dass das iranische Atomprogramm internationaler Kontrolle unterstellt wird. Im Gegenzug dazu sollen die internationalen Wirtschaftssanktionen aufgehoben werden.

Teherans Politik ist nicht von Klugheit geprägt

Die Rollen haben sich im nahöstlichen Machtkampf fundamental verändert: Amerika ist nicht mehr militärischer Akteur am Boden, und wird es auch nicht sein, solange das strategische Gleichgewicht in der Region grundsätzlich nicht infrage gestellt wird, was aus Sicht Washingtons die Terrormiliz des Islamischen Staats im Irak und Syrien tut. Amerika agiert auf diplomatischer Ebene, um eine grundsätzliche strategische Bedrohung zu lösen oder zumindest einzudämmen - die Gefahr des iranischen Atomwaffen-Programms.

Genau an dieser Agenda Washingtons gibt es nun massive Kritik der alten und engen Verbündeten der USA in der Region, Israel und Saudi-Arabien. Diese Kritik hat allerdings einen entscheidenden Nachteil: Sie geht von illusionären Zielen aus. Würden die Großmächte dieser Kritik folgen, so zöge dies faktisch eine weitere Eskalation in dem Konflikt mit Iran nach sich, denn niemand wird Teheran auf dem Verhandlungswege und mit Wirtschaftssanktionen dazu bringen, alle seine nuklearen Aktivitäten einzustellen. Realistisch ist nur eine möglichst umfassende und tief reichende internationale Kontrolle, um so einen nuklearen Rüstungswettlauf in der Region zu verhindern.

Freilich wird dieses Ziel, so es denn erreicht wird, weder Israel noch Saudi-Arabien reichen, da beide Staaten fürchten, dass dadurch Iran in seinen Ambitionen als regionale Hegemonialmacht gestärkt würde, ja, dass es am Ende gar zu einem faktischen "Wechsel der Koalitionen" seitens der Vereinigten Staaten führen könnte, was sich ja im Kampf gegen den Islamischen Staat im Irak bereits abzuzeichnen beginnt.

Trauerfeier für Jürgen Leinemann

Joschka Fischer, 66, war von 1998 bis 2005 Bundesaußenminister und Vizekanzler der rot-grünen Koalition.

(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Teherans Politik ist dabei keineswegs von Klugheit geprägt: Der regionale militärische Interventionismus der iranischen Führung birgt große Risiken, wie man ebenfalls dieser Tage erleben durfte, denn die Bildung einer panarabischen militärischen Eingreiftruppe ist eindeutig gegen Teheran gerichtet und sollte dort zum Nachdenken führen.

Der neue Nahe Osten braucht weder einen nuklearen Rüstungswettlauf noch religiösen Hass, noch eine auf militärische Interventionen gründende Außenpolitik, sondern die Kraft, sich zusammenzusetzen , zu verhandeln und gemeinsam kollektive Sicherheitssysteme zu entwickeln, die den berechtigten Interessen aller Beteiligten gerecht werden. Ohne Diplomatie und Verständigungsbereitschaft, wie sie sich in dem mit Iran ausgehandelten Rahmenabkommen äußern, wird der neue Nahe Osten zum Pulverfass der Weltpolitik werden.

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