Außenansicht:Das gläserne Behandlungszimmer

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Andreas Meißner, 53, Psychiater und Psychotherapeut in München, ist Sprecher der Ärzteinitiative "Freiheit für 1%", die sich gegen den Zwang zur Internetvernetzung von Arztpraxen wendet. (Foto: Privat)

Bald soll es elektronische, zentral gespeicherte Patientenakten geben. Die Privatsphäre von Arzt und Patient ist bedroht.

Elektronische Patientenakte? Nein, davon habe sie noch nichts gehört, sagt Frau R. Auch ihre Krankenkasse habe sie noch nicht informiert. Zentrale Speicherung der Gesundheitsdaten auf Servern? Dabei werde ihr schon mulmig. So wie Frau R. reagieren viele Patientinnen und Patienten, spricht man sie auf Vorgaben des im März im Bundestag zur Verabschiedung anstehenden Terminservice- und Vorsorgegesetzes (TSVG) an, wonach nicht nur die Sprechstunden der Ärzte ausgeweitet werden sollen, sondern die Krankenkassen flächendeckend bis 2021 eine elektronische Patientenakte anbieten müssen. Die soll dann auch mit dem Smartphone zugänglich sein, darauf hat Gesundheitsminister Jens Spahn gedrungen.

Die Akte soll als "Serverakte" angelegt werden, zwar wohl verschlüsselt, aber zentral gespeichert in Rechenzentren der jeweiligen Aktenanbieter. Von einer dezentralen Speicherung der Daten ist die Betreibergesellschaft gematik, in der bisher nur Vertreter der Krankenkassen, Krankenhäuser und Ärzte mitreden, leider vergangenes Jahr abgekommen. Auf der elektronischen Gesundheitskarte selbst werden nur persönliche Daten sowie Medikation und Notfallplan fixiert werden können, nicht jedoch Röntgenbilder oder Arztbriefe.

Die zentrale Speicherung sensibler Krankheitsdaten von Patienten ist nur ein Kritikpunkt, der noch die Hälfte der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten abhält, die Technik für die Internetvernetzung zu installieren. Eigentlich müssten sie dies bis 31. März vollzogen haben, um gesetzlich festgelegte Honorarabzüge zu vermeiden. Etliche Fragen der Datensicherheit und der Haftung sind jedoch ungeklärt. Die Verantwortung der Praxis, meinte die Bundesdatenschutzbeauftragte vergangenen Sommer, höre am Konnektor auf, dem Kernstück der Infrastruktur, über den von der Praxis aus die gesicherte Internetverbindung aufgebaut wird. Doch wer wird bei einem Datenleck sicher sagen können, ob dieses vor, im oder hinter dem Konnektor aufgetreten ist?

Dass dies keine unrealistischen Szenarien sind, zeigen Cyberangriffe der vergangenen Jahre auf Patientendaten in den USA, in Norwegen oder Singapur. Laut der IT-Sicherheitsfirma McAfee sind auch Gesundheitsdaten eines deutschen Politikers gehackt und gegen ihn verwendet worden. Ebenso waren deutsche Kliniken betroffen. Hinzu kommt nun, dass die von der gematik stets betonten hohen Sicherheitsstandards des Systems mit Gesundheitskarte und sicherer Internetverbindung unterlaufen werden durch den geplanten zweiten Zugang zur elektronischen Patientenakte über Smartphone und Tablet. IT-Experten befürchten eine höhere Anfälligkeit für Cyberangriffe. Doch Jens Spahn beschleunigt zusätzlich: Das Bundesgesundheitsministerium soll künftig, gleich mit Stimmenmehrheit, in der Betreibergesellschaft mitreden, was ein Durchregieren über lästige Datenschutzbedenken hinweg vereinfachen wird.

Von Jens Spahns Plänen werden vor allem Datensammler und IT-Konzerne profitieren

Jens Spahn schrieb bezeichnenderweise in einem Buchvorwort 2016, "Datenschutz ist was für Gesunde" - also die, die das Gesundheitswesen nicht benötigen. Was aber ist mit den Kranken? Die werden durch die technischen Neuerungen nicht gesünder. Das Ziel, Wechselwirkungen von Medikamenten zu vermeiden, kann anders längst erreicht werden, etwa durch entsprechende Datenbanken. Und die oft betonten Doppeluntersuchungen? Spielen in der Praxis kaum eine Rolle, wie eine Studie ergab. Eher besteht die Gefahr, dass wichtige Informationen in der Datenfülle untergehen, worüber österreichische Ärzte klagen, die bereits eine elektronische Gesundheitsakte verwalten. Und indem Ärzte und Therapeuten noch mehr als bisher in den Bildschirm schauen, werden sie dem Patienten suggerieren, dass nicht er und sein Leid, sondern die Verwaltung seiner Daten im Mittelpunkt steht.

Ärzte und Patienten sind gleichermaßen von solch nicht mehr überschaubarer Technik überfordert. Viele Ärzte um die 60 erwägen, ihre Praxis vorzeitig aufzugeben, was den schon bestehenden Ärztemangel verschärfen wird. Hotlines, bei denen Ärzte Rat finden sollten, stoßen heute schon bei kleineren Problemen an ihre Grenzen. Unklar ist auch, wer langfristig die Daten pflegen soll. Chronisch Kranke, aber auch psychisch oder kognitiv beeinträchtigte Menschen werden dies kaum schaffen. Es sei auch nicht so, dass zu allererst der Patient seine elektronische Akte steuern soll, sagte Spahn kürzlich. Das ist erstaunlich, war es doch eigentlich Konsens, dass der Patient Herr seiner Daten sein soll.

Offenbar stehen andere Interessen im Vordergrund. Nicht umsonst wird häufig die wirtschaftliche Bedeutung der Digitalisierung im Gesundheitswesen betont. Über drei Milliarden Euro kostet die Entwicklung der Gesundheitskarte und der Telematikinfrastruktur (TI), eine weitere Milliarde deren Anschaffung, finanziert aus den Versichertenbeiträgen. Zwar bemängelte kürzlich eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zur Digitalisierung des Gesundheitswesens, Deutschland nehme bei 17 untersuchten Ländern nur Rang 16 ein (woraufhin die Digitalisierungsbeauftragte der Bundesregierung, Dorothee Bär, Abstriche beim Datenschutz forderte). Die Bertelsmann-Tochter Arvato aber war seit 2013 durchgehend an der Entwicklung der TI beteiligt. Die CompuGroup Medical wiederum, die lange Zeit das Monopol für den Konnektor hatte und marktführend bei den Praxisverwaltungssystemen ist, jubelte in ihren Geschäftsberichten, in Verbindung mit diesen neuen Techniken der Ärzteschaft weitere Produkte und Dienstleistungen anbieten zu können.

Und die Entwicklung geht weiter. Jens Spahn möchte die Plastikkarten durch Erfassung biometrischer Daten ersetzen. Auch von einer einzigen digitalen Identität für Steuer-, Gesundheits- und Passwesen hat er schon gesprochen. Wohin derartige Datenzentralisierung führen kann, zeigt das Beispiel China, wo eine Biometrie- und DNA-Datenbank von Millionen Einwohnern aufgebaut wird. Gesundheitsdaten sollen zudem bald auch über Grenzen hinweg fließen, um sie wirtschaftlich nutzen zu können, sagte kürzlich Japans Premier Shinzo Abe in Davos.

Die Digitalisierung ist für Diagnostik und Therapie durchaus hilfreich. Die elektronische Patientenakte aber wird mehr Datensammlern und IT-Konzernen nutzen als Ärzten und Patienten, die um ihre Privatsphäre fürchten müssen. Bisher fragen in der Praxis kaum Patienten nach der Möglichkeit des Zugriffs auf Praxisdaten über ihr Smartphone - das scheint eher etwas für junge, hippe, im Grunde gesunde Menschen zu sein, die heute schon freiwillig ihren Versicherungen Daten ihres Fitnesstrackers überlassen.

© SZ vom 26.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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