Süddeutsche Zeitung

Außenansicht:Das Geschäft mit Krebs

Lesezeit: 3 min

Die Industrie macht große Kasse mit neuen Medika­menten. Die Patienten profitieren zu selten.

Von Wolf-Dieter Ludwig

Über die finanziell toxische Wirkung von Krebsmedikamenten spricht man derzeit in vielen Ländern. In den USA ist der persönliche Bankrott infolge hoher Zuzahlungen bei der Behandlung von Krebs keine Seltenheit mehr. In Deutschland gefährden hochpreisige Arzneimittel gegen Krebs zunehmend die nachhaltige Finanzierung unseres Gesundheitssystems.

Seit einigen Jahren ist im Arzneimittelmarkt der Trend zu beobachten, dass etwa ein Drittel der neu zugelassenen Arzneimittel für die Behandlung von Krebskrankheiten entwickelt werden. Die Gründe liegen auf der Hand: Pharmaunternehmen mussten im vergangenen Jahrzehnt eine strategische Kehrtwende vornehmen, weil die Patente für viele ihrer Umsatzrenner, zum Beispiel zur Behandlung von Bluthochdruck und Erkrankungen der Herzkranzgefäße, abgelaufen waren. Sie haben sich deshalb auf lukrative Marktsegmente konzentriert, vor allem auf Krebskrankheiten.

Insbesondere die neuartigen Immuntherapien haben bei den führenden Pharmaunternehmen Goldgräberstimmung ausgelöst. Die aktuellen Umsatzzahlen für Krebsmedikamente zeigen, wie erfolgreich die Kehrtwende bewältigt wurde: Laut dem Arzneiverordnungs-Report 2018 wurden 6,5 Milliarden Euro von der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2017 bezahlt, weltweit waren es (Quelle: IQVIA Institute) rund 133 Milliarden Dollar. Die Prognose für 2022: 200 Milliarden Dollar mit jährlichen Steigerungsraten von zehn bis 13 Prozent. Dabei haben die Pharmaunternehmen insbesondere von großen Fortschritten in der akademischen Grundlagenforschung profitiert, die zu einem besseren Verständnis der Krebsentstehung auf molekularer Ebene beigetragen haben und die Entwicklung zahlreicher zielgerichteter Arzneimittel mit häufig neuen Wirkprinzipien ermöglichte.

Krebskrankheiten sind deshalb für Pharmaunternehmen derzeit das mit Abstand lukrativste Marktsegment - nicht nur wegen der hohen Preise, sondern auch aufgrund der demografischen Entwicklung: Es gibt immer mehr ältere an Krebs erkrankte Patienten, für die kurative Therapieoptionen häufig noch fehlen. Dringend benötigte Arzneimittel, etwa zur Behandlung von Krankheiten des zentralen Nervensystems oder Antibiotika gegen Infektionen mit resistenten Keimen, wurden demgegenüber wegen aufwendiger Forschung und hoher Entwicklungskosten sträflich vernachlässigt.

Auch die in den USA 1983 und in Europa 2000 in Kraft getretenen Verordnungen zu Arzneimitteln für seltene Krankheiten (Orphan-Arzneimittel) waren ein Glücksfall für die Pharmaunternehmen, da die finanziellen Anreize - sieben bis zehn Jahre Marktexklusivität, Ermäßigung der Gebühren beim Zulassungsverfahren - zunehmend für Krebsmedikamente genutzt werden konnten.

Der klinische Nutzen rechtfertigt leider nur selten die hohen Kosten

Prognosen zufolge wird der weltweite Umsatz von Orphan-Arzneimitteln bis 2024 auf etwa 262 Milliarden Dollar jährlich steigen, und 14 der 20 umsatzstärksten Arzneimittel werden zur Behandlung von Krebskrankheiten eingesetzt werden. Dieser Trend entspricht sicher nicht dem ursprünglichen Ziel der europäischen Verordnung: Förderung der Entwicklung von Arzneimitteln mit großem Aufwand für die klinische Erforschung bei geringer Nachfrage. Neue Medikamente zur Behandlung sehr seltener, meist angeborener, genetisch bedingter Krankheiten stehen leider weiterhin für weniger als zehn Prozent dieser Leiden zur Verfügung.

An die neuen Arzneimittel werden von Patienten und Ärzten große Erwartungen geknüpft, da bei vielen Krebskrankheiten, vor allem in fortgeschrittenen Stadien, gut wirksame Therapieoptionen fehlen. Die häufig verwendeten Superlative wie "bahnbrechender Fortschritt" oder "Durchbruch in der Krebsmedizin" werden leider nur selten durch überzeugende Ergebnisse aus klinischen Studien bestätigt. Außerdem rechtfertigt der bei der Zulassung belegte klinische Nutzen meist nicht die von Pharmaunternehmen heute verlangten exorbitanten Preise für Krebsmedikamente. Die Jahrestherapiekosten für einen Patienten betragen nicht selten mehr als 100 000 Euro und liegen für Kombinationstherapien mitunter bei mehr als 200 000 Euro. Renommierte Gesundheitswissenschaftler aus den USA und Großbritannien haben kürzlich übereinstimmend zeigen können, dass durch die Mehrzahl der neuen Krebsmedikamente weder eine Verlängerung des Überlebens - und falls doch, im Schnitt nur um etwa drei Monate - noch eine Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden konnte.

Anders als von Pharmaunternehmen suggeriert, wird der sprunghafte Anstieg der Therapiekosten auch nicht erklärt durch die sehr hohen Kosten für Forschung und Entwicklung. Onkologen aus den USA wiesen 2017 nach, dass den Entwicklungskosten von etwa 650 Millionen Dollar pro Medikament Einnahmen von 1670 Millionen Dollar gegenüberstehen.

Es ist höchste Zeit, auf diese Fehlentwicklungen zu reagieren. Die Brisanz verdeutlicht ein Bericht der OECD aus dem Jahr 2018 unter dem Titel: "Pharmazeutische Innovation und Zugang zu Medikamenten". Ausführlich dargestellt werden die Situation im Arzneimittelmarkt und die gesundheitsökonomischen Probleme, beispielsweise bei Krebsmedikamenten und Orphan-Arzneimitteln. Gefordert wird, dass sich Investitionen der Pharmaunternehmen stärker am tatsächlichen Bedarf der Patienten und weniger an der Lukrativität der Anwendungsgebiete, zum Beispiel Krebs, orientieren sollten.

Patienten in einkommensschwachen Ländern müssen einen besseren Zugang zum gesicherten therapeutischen Fortschritt erhalten. Um die Effizienz der Ausgaben im Arzneimittelmarkt zu verbessern, sollte Wettbewerb gefördert werden - sowohl zwischen Patentarzneimitteln, die für dieselbe Indikation zugelassen wurden, als auch für Arzneimittel, deren Patent abgelaufen ist und für die preisgünstige Nachahmerpräparate zur Verfügung stehen. Schließlich sollte es auch mehr Transparenz bei der Preisgestaltung geben, und der Dialog zwischen allen Akteuren im Arzneimittelmarkt sollte verbessert werden. Ziel muss es sein, Forschung und Entwicklung der Pharmaunternehmen viel stärker als bisher an gesellschaftlichen Prioritäten auszurichten und faire, am tatsächlichen Nutzen orientierte Preise durchzusetzen.

Eine monopolistische Preisbildung für neue Krebsmedikamente mit ungesichertem oder geringem Nutzen, die sich immer weiter entfernt von den Kosten für ihre Entwicklung, ist inakzeptabel. Sie schadet dem einzelnen Patienten und verschwendet gesellschaftliche Ressourcen.

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Quelle:
SZ vom 25.02.2019
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