Süddeutsche Zeitung

Außenansicht:China investiert in Europas Spaltung

Peking hilft den Staaten Mittel- und Osteuropas, vernachlässigte Infrastruktur aufzubauen. Das reicht von einem Flughafen in Griechenland bis zu Brücken und Autobahnen für Serbien. Doch der politische Preis für das Engagement Chinas ist hoch.

Von Jens Bastian

Auf dem Höhepunkt der Griechenlandkrise kam 2014 hoher Besuch aus Fernost. Bei seiner Visite in Athen bezeichnete der chinesische Premierminister Li Keqiang Hellas als "Einfallstor nach Europa". Diese Wertschätzung wurde durch Taten untermauert. 2009 investierte die chinesische Schifffahrtsgesellschaft Cosco in den Containerhafen von Piräus, 2016 erwarb sie die Mehrheitsanteile an der Hafengesellschaft.

Der Hafen in Piräus wird zum wichtigsten Logistikzentrum Coscos in Südosteuropa entwickelt. Er ist nicht das einzige Projekt der Chinesen, die ihr Netzwerk an Investitionen in europäische Hafeninfrastruktur seit einer Dekade systematisch ausbauen. Coscos maritime Verbindungen liegen ebenso in Ägypten, der Türkei, Italien und Belgien.

Was bedeuten solche chinesischen Investitionen in europäische Häfen? Zum einen geben sie Cosco maritime Anlegestellen für Exportprodukte und Dienstleistungen in Europa. Zum anderen entsteht ein Netzwerk an strategischen Beteiligungen. Diese Vorgehensweise chinesischer Firmen lässt sich auch im europäischen Energiesektor beobachten.

Um solche europäischen Netzwerke zu knüpfen, bedarf es erheblicher finanzieller Mittel. Die kontinentale Akquise wird von den drei wichtigsten Banken Chinas kreditfinanziert. Was folgt aus diesem Vorgehen von staatlich gelenkten Finanzinstituten? Besteht nicht die Gefahr, dass durch die Kreditvergabe der politische Einfluss Chinas in Teilen Europas größer wird?

Es gibt erste Hinweise, die diese Sorgen untermauern: Ungarns Premierminister Viktor Orbán spricht davon, dass Länder in Zentral- und Südosteuropa Finanzmittel für ihre Investitionen in Infrastrukturprojekte benötigen. Falls sie diese Mittel nicht in Europa erhielten, dann würden sie sich diese Ressourcen als Kredite in China beschaffen.

Ungarn ist kein Einzelfall. Auch andere EU-Mitglieder wie Kroatien oder Griechenland bringen diverse Infrastrukturprojekte mit chinesischer Finanzhilfe voran. EU-Kandidatenländer wie Serbien und Montenegro verschulden sich bei chinesischen Banken, um eine Brücke in Belgrad oder eine Autobahnverbindung vom Hafen in Bar zur Grenze nach Serbien zu finanzieren.

Die genannten Länder verschaffen sich damit Finanzierungsquellen außerhalb Europas. Dieser erweiterte Handlungsspielraum birgt allerdings auch erhebliche Risiken. Der Verschuldungsgrad dieser Länder steigt und damit auch die finanzielle Abhängigkeit von China. Es ist auffallend, dass Peking vor allem solchen Ländern zinsgünstige Kredite mit langer Laufzeit zur Verfügung stellt, die seit Jahren Refinanzierungsprobleme auf internationalen Kapitalmärkten haben.

Die Abhängigkeiten wirken sich offenbar bereits auf Entscheidungen der EU aus

Die Aktivitäten Chinas werden ergänzt durch eine Architektur der Kooperation zwischen 16 Staaten in Zentral-, Ost- und Südosteuropa mit China. Jedes Jahr treffen sich die teilnehmenden Länder, zuletzt in Budapest im November vergangenen Jahres. Durch diesen "16+1"-Rahmen gelingt es Peking, unterschiedliche Kooperationsvorhaben innerhalb und außerhalb der EU zu organisieren.

Dabei wird nicht nur die regionalpolitische Dimension chinesischer Aktivitäten in Europa sichtbar. Der neuerdings auf Lebenszeit gewählte chinesische Präsident Xi Jinping betont zwar, dass Peking kein Interesse daran habe, sein politisches Modell in andere Länder zu exportieren. Seine Regierung unterstreicht allerdings, dass es in zahlreichen Bereichen der Entwicklungspolitik und bei Infrastrukturprojekten "chinesische Alternativen" gebe.

Die seit 2013 im Aufbau befindliche "Neue Seidenstraße" ist eine solche chinesische Alternative mit globalen Visionen und umfassenden finanziellen Ressourcen. China unter Präsident Xi entwickelt dabei eigene Regeln für bilaterale Kooperationen und internationales Engagement. Die zahlreichen Infrastrukturprojekte in Zentral- und Südosteuropa stellen nicht nur auf dem Land und übers Meer Verbindungslinien zu China her. In ihrer Gesamtheit verkörpern sie eine alternative Entwicklungsphilosophie, welche Peking in Athen, Budapest oder Belgrad erfolgversprechend anbietet.

Dabei wird eine schleichende politische Rücksichtnahme sichtbar, die einzelne Länder Europas mit Blick auf China vornehmen. So stimmte zum Beispiel im vergangenen Jahr Griechenland erstmals im Genfer UN-Menschenrechtsrat nicht mit allen anderen EU-Mitgliedsstaaten der Verurteilung der Menschenrechtslage in China zu. Dieser Tabubruch ist nicht einmalig. Bereits im Juli 2016 weigerten sich Ungarn, Kroatien und Griechenland, das Urteil des Ständigen Schiedsgerichtshofs in Den Haag als verbindlich anzuerkennen, wonach China keine historischen Rechte auf Gebiete und Rohstoffe im südchinesischen Meer erheben kann.

Was für Herausforderungen ergeben sich durch Chinas Aktivitäten für die EU? Zunächst wird erkennbar, dass Brüssel zunehmend Schwierigkeiten hat, eine einheitliche Linie gegenüber China umzusetzen und dafür die Unterstützung der Mitgliedsstaaten zu bekommen. In zentralen Politikbereichen ist eine Absetzbewegung weg von EU-Vorgaben zu beobachten. China macht sich diese Bruchstellen zwischen EU-Ländern zunutze, ist aber nicht für ihren Ursprung verantwortlich. Hier zeigen sich Nord-Süd- und Ost-West-Konflikte innerhalb der EU, die seit Jahren schwelen. Die chinesische Herausforderung stellt das neueste Konfliktfeld dar, neben den Dauerthemen Krisenmanagement in der Euro-Zone sowie Flüchtlings- und Migrationspolitik.

Die Kommission ist hier politisch herausgefordert. In seiner "State of the Union"-Ansprache im September 2017 formulierte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker einen neuen strategischen Ansatz unter dem Stichwort "Investitionsprüfung". Ohne China direkt beim Namen zu nennen, identifizierte Juncker strategische Sektoren wie Energie, Luftraum und Transport, die in Zukunft bei Übernahmen durch ausländische Unternehmen einer stärkeren Prüfung unterzogen werden sollen. Auch das Europäische Parlament fordert, Investitionen zu untersuchen. Der französische Präsident Macron hat eigene Vorschläge dazu gemacht. Im Juli 2017 hat die Bundesregierung das Außenwirtschaftsgesetz verschärft.

Mit der geplanten Investitionsprüfung deuten sich eine neue rechtliche Handhabe und potenzielle Konfliktfelder zwischen Brüssel und Peking an. China weiß, dass es darauf politisch reagieren muss. Denn die wirtschaftlichen Interventionen in Südosteuropa wird die EU so nicht auf sich beruhen lassen können.

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Quelle:
SZ vom 23.05.2018
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