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Außenansicht: James Davis, 51, ist Dekan der School of Economics and Political Science, St. Gallen.

James Davis, 51, ist Dekan der School of Economics and Political Science, St. Gallen.

(Foto: privat)

Das Parlament muss Auslandsmissionen der Bundeswehr zustimmen - das lähmt die Sicherheitspolitik Deutschlands.

Von James Davis

Schon mehrmals in der Geschichte des wiedervereinigten Deutschland hat die Bundesregierung sich mit der schwierigen Bitte an das Parlament gewandt, der Entsendung deutscher Soldaten in einen Kampfeinsatz zuzustimmen. Und noch kein einziges Mal hat der Bundestag die Bitte abgeschlagen. Heißt das, die Befragung des Bundestags ist in der Praxis keine große Hürde, ein demokratisches Gut zwar, aber gewiss nichts, was effektiver Verteidigungspolitik je im Wege stehen würde?

Das ist nicht ausgemacht, man kann von der Vergangenheit nicht auf die Zukunft schließen. Schon in der kommenden Woche steht im Bundestag die Debatte um die Verlängerung der Einsätze bewaffneter deutscher Streitkräfte in Darfur und im Südsudan auf der Tageordnung. Die Frage, in welcher Weise Auslandseinsätze der Bundeswehr künftig legitimiert werden sollten, ist deshalb nicht rein theoretisch. Europa wird durch politische Entwicklungen zunehmend gezwungen sein, mehr für die eigene Sicherheit und Stabilität zu leisten und dies mit immer weniger Mitteln.

Nicht nur die Flüchtlingskrise erinnert uns täglich an die dramatische Verschlechterung der sicherheitspolitischen Lage an den Rändern des Kontinents. Im Norden Afrikas und im Nahen Osten scheitern und zerfallen Staaten. Wo der Staat schwach ist, wird sein Gewaltmonopol durch private Gewalt ersetzt, sei es der IS oder seien es bewaffnete Milizen. Um schwache und vom Terrorismus bedrohte Staaten zu stabilisieren, erwartet die internationale Gemeinschaft von Deutschland zunehmend, im Rahmen der Vereinten Nationen (UN) bei Unterstützungs- und Friedensstiftungsmissionen mitzuwirken. Diesem Ruf sollte Berlin folgen - aus eigenem Interesse, gestützt auf die eigenen Werte und das sich entwickelnde Völkerrecht.

Auf dem Weltgipfel der Vereinten Nationen ist 2005 die sogenannte Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) zum zentralen Bestandteil des gegenwärtigen Souveränitätsverständnisses erhoben worden. Die Doktrin besagt: Ist die politische Führung eines Staates nicht fähig oder willens, ihre Bürger vor schweren Menschenrechtsverletzungen zu schützen, so ist die internationale Staatengemeinschaft - vornehmlich in Gestalt der UN - berechtigt, zum Schutze der bedrohten Bevölkerung zu intervenieren. Bereits im Jahre 2006 wurde diese Schutzverantwortung vom Sicherheitsrat in einer völkerrechtlich verbindlichen Resolution erwähnt.

Zunehmend wird von einer allgemeinen Pflicht zur Intervention im Falle von Völkermord, ethnischen Säuberungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesprochen. Eine besondere Verantwortung haben jedoch diejenigen Staaten, die über die für eine effektive Intervention notwendigen Mittel verfügen. Natürlich ist jede Verletzung der Souveränität eines anderen Staates ein gefährliches Unterfangen, das nur im Extremfall in Erwägung gezogen werden soll. Aber genügend Beispiele beweisen, dass Untätigkeit nicht ohne Konsequenzen bleibt. Die Stichworte Srebrenica und Ruanda genügen.

"Deutsche Macht fürchte ich heute weniger als deutsche Untätigkeit", sagt der Ex-Außenminister Polens

Auch in Europa und an seinen Grenzen wird das tradierte Verständnis von Souveränität infrage gestellt. Nach dem Ausbruch der Ukraine-Krise und der völkerrechtswidrigen Annektierung der Krim sind die Grundannahmen der bisherigen Russlandpolitik der EU und der Nato nicht mehr aufrechtzuerhalten. Trotz des Versuchs, Moskau in die Institutionen der demokratischen Industriestaaten zu integrieren, nimmt die Zahl der ungelösten Grenzkonflikte zwischen Russland und seinen unmittelbaren Nachbarn zu, darunter die europäischen Staaten Estland, Georgien, die Republik Moldau und die Ukraine. Diese Entwicklung findet vor dem Hintergrund einer neuen strategischen Doktrin der russischen Streitkräfte statt, zu der auch sogenannte hybride Kriege gehören.

Bundespräsident Gauck hat recht. Deutschland ist "überdurchschnittlich globalisiert und profitiert deshalb überdurchschnittlich von einer offenen Weltordnung - einer Weltordnung, die Deutschland erlaubt, Interessen mit grundlegenden Werten zu verbinden." Daraus lasse sich Deutschlands wichtigstes außenpolitisches Interesse im 21. Jahrhundert ableiten: diese Ordnung zu verteidigen. Innerhalb und außerhalb Europas wird zudem gewünscht, dass Deutschland außenpolitisch mehr Verantwortung übernimmt. Der Appell des ehemaligen polnischen Außenministers Radosław Sikorski ist charakteristisch: "Deutsche Macht fürchte ich heute weniger als deutsche Untätigkeit."

Doch die heutige Wirtschaftslage macht es selbst für ein williges Deutschland schwer, in Europa mehr Verantwortung zu übernehmen. Überschuldung, eine andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise wie auch fortlaufend steigende Kosten für Soziales führen dazu, dass der Wehretat in allen europäischen Staaten stark unter Druck gerät. Wenn wachsende Anforderungen auf sinkende Ausgaben treffen, entsteht zwangsläufig eine Fähigkeitslücke. Teure und für die Verlegung und Evakuierung von Streitkräften und Bürgern notwendige militärische Systeme sind europaweit Mangelware und, wenn vorhanden, meist veraltet und technisch überholt.

Die Antwort darauf kann nur mehr Europa sein. Um trotz knapper Mittel im notwendigen Umfang investieren und Ausrüstung beschaffen zu können, müssten sich die Staaten der EU sowie die europäischen Nato-Mitglieder verstärkt militärisch integrieren. Nur durch mehr "pooling" und "sharing" von bisher nationalen militärischen Fähigkeiten können kostspielige Doppelanschaffungen vermieden und gleichzeitig die militärischen Fähigkeiten Europas gesteigert werden. Darüber hinaus würde eine fortschreitende militärische Integration auch den Frieden in Europa sichern: Mit zunehmender Spezialisierung und der Entwicklung gemeinsamer europäischer statt nur nationaler Streitkräfte würde ein Krieg zwischen den Mitgliedern dieses Systems kollektiver Sicherheit nicht nur undenkbar, sondern auch technisch unmöglich.

Damit ein europäischer Ansatz in der Verteidigungspolitik funktionieren kann, hilft es sicherlich nicht, die Kompetenzen der 28 nationalen Parlamente in dieser Frage zu erweitern. Dies würde eher einer parlamentarischen Renationalisierung der Europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik (ESVP) gleichkommen. Notwendig wäre vielmehr, die nationalen und europäischen Entscheidungsverfahren zugunsten einer schlagkräftigen gemeinsamen ESVP anzupassen. Deutschland würde mit diesem Vorschlag konzeptionell kein Neuland betreten: Im Artikel 24 des Grundgesetzes ist eine europäische Verteidigungspolitik bereits vorweggenommen.

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