Süddeutsche Zeitung

Atomverhandlungen mit Iran:Anbruch einer neuen Realität

Eine Mehrheit der Israelis hält die Vereinbarung mit Iran für einen Fehler. Dabei birgt sie große Chancen für das Land.

Gastbeitrag von Avi Primor

Iran ist ein tödlicher Feind Israels. Mit der Absicht, Israel zu vernichten, strebt das Land aus ideologischen Gründen nach Atomwaffen. So sieht die offizielle Haltung der israelischen Regierung aus. Die Ideologen, also die Geistlichen, beherrschen das Land und haben bereits 2009 mit der blutigen Niederschlagung eines Volksaufstandes ihrem eigenen Volk und der gesamten Welt bewiesen, dass sie zu allem bereit sind, für ihre Ideologie und für die Sicherung ihrer Macht. Grundlage dieser Ideologie ist, wie man Massenveranstaltungen in Iran entnehmen kann, "Tod den Vereinigten Staaten" und "Vernichtung Israels".

Warum gilt Israel den Ideologen Irans als Erzfeind? Wenn man den durchschnittlichen Israeli oder die israelische Regierung fragt, so gründet die Feindschaft Irans gegenüber Israel auf Rassismus und Religion. Die Israelis können das auch nicht anders verstehen, weil Iran bis zur Machtergreifung der Ayatollahs 1979 einer der engsten und wichtigsten Partner Israels war.

Israel arbeitete eng mit Iran zusammen - auch auf dem Gebiet der Atomenergie

Ebenso wie die Türkei ist Iran ein islamisches, aber kein arabisches Land; es stand im Lauf der Geschichte oft gegen die arabische Welt. Iran noch öfter als die Türkei, weil die Iraner in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht nur nicht arabisch sind, sondern weil sie als Schiiten auch innerhalb der muslimischen Welt in der Minderheit stehen.

Die Beziehungen zwischen Israel und der Türkei auf der einen und Iran auf der anderen Seite waren fast von Beginn an in der Sache tief gehend, offiziell aber ein wenig verschleiert. Mit Teheran gab es zwar keine offiziellen Beziehungen, aber die Zusammenarbeit war eng, und allen war klar, dass ein nicht markiertes Haus in der iranischen Hauptstadt als inoffizielle Botschaft Israels diente. Diese Botschaft, obwohl sie offiziell nicht so hieß, arbeitete auf fast allen Gebieten eng mit Regierung und Wirtschaft zusammen, einschließlich auf dem Gebiet der Atomenergie. Der Schah, der ebenso wie Israel die arabische Welt fürchtete, wünschte sich Schutz durch Atomwaffen und konnte, auch auf ideologischer Ebene, kaum einen besseren Partner als Israel finden.

Seit 1979 gilt Israel aus religiösen Gründen als Erzfeind Irans, die offizielle Propaganda der Religiösen strebt die Zerstörung Israels an. Israel hat diese Drohungen immer sehr ernst genommen. Unter anderem berichteten die Weltmedien, dass Israel sich mithilfe Deutschlands eine eindrucksvolle U-Boot Staffel aufgebaut hat, deren Atomsprengköpfe gen Iran gerichtet sind und ihn jederzeit erreichen können. Sollte Iran Israel angreifen wollen, so müsste er damit rechnen, dass seine Bomben immer auch die arabischen Nachbarn treffen werden und dass dies, auch im Falle einer völligen Zerstörung Israels, Vergeltungsschläge nach sich ziehen würde.

Was ist also das tatsächliche Interesse Irans? Historisch versucht Iran, die Hegemonie in der Region zu erringen. Selbst für die Ayatollahs ist die Feindschaft zu Israel nicht Staatsräson, sondern eher eine emotionale Angelegenheit, für die es sich nicht wirklich lohnt, den eigenen Staat zu gefährden. Die Hasspropaganda gegen Israel ist ein Mittel, um Einfluss in der arabischen Welt aufzubauen und sich Respekt zu verschaffen.

Seit 2009 wissen wir, dass die Geistlichen in Iran zwar unheimlich viel Macht haben, aber von der Bevölkerung zunehmend als ein Joch empfunden werden. Den Aufstand, die grüne Revolution, konnten sie nur mit brutalen Mitteln niederschlagen. Seitdem versuchen sie, die Menschen zu beschwichtigen, sind mit religiösen Gesetzen nicht mehr so streng wie vorher und mussten sogar Staatspräsident Hassan Rohani, der nicht im eigentlichen Sinne aus ihren Reihen kommt, widerwillig akzeptieren. Dieses Verhalten kennt man aus der Geschichte vieler Diktaturen, die vergeblich versuchten, den drohenden Kollaps ihrer Herrschaft im letzten Augenblick durch Zugeständnisse an die Bevölkerung zu verhindern.

Die neuen Beziehungen, die sich zwischen Iran und dem Westen vor allem in der Wirtschaft entwickeln, werden unmittelbaren Einfluss auf die Menschen in Iran haben. Noch einmal werden die iranischen Ayatollahs die Bevölkerung im Falle eines Aufstandes nicht niederschlagen können. Das wird auch die Beziehungen zu Israel verändern.

Schon heute erzählen Israelis aus allen Schichten, die bei internationalen Veranstaltungen auf Iraner treffen, dass diese ihnen gegenüber fast immer Offenheit, Neugier und Freundschaft zeigen. Auch, wenn die israelische Regierung das nicht wahrhaben will.

Israel will nicht wahrhaben, dass der Pakt mit Iran nicht rückgängig zu machen ist

Meinungsumfragen zufolge stehen heute 70 Prozent der Israelis hinter der Regierung und sehen in dem Abkommen zwischen den USA und Iran eine tödliche Gefahr für Israel. Dachten noch vor zwei Jahren 50 Prozent der Israelis, dass ein Angriff auf Iran wünschenswert wäre, um dessen Atomkapazität zu vernichten, so wird heute nicht mehr davon gesprochen. Heute spricht man von der tödlichen Gefahr durch Iran und den Verrat durch die "naiven" Amerikaner.

Die israelische Regierung will es nicht wahrhaben, dass das Abkommen mit Iran nicht mehr rückgängig zu machen ist. Selbst, wenn es den Republikanern und den Israelis gelingen sollte, das Abkommen in Washington zu torpedieren, werden die Europäer, die Russen und die Chinesen nicht zu einem Boykott Irans zurückkehren.

Nichts ist jemals garantiert. Risiken gibt es in dem Abkommen mit Iran natürlich. Dennoch sind die Chancen gut, dass das Land sich unter dem Einfluss der neuen Vereinbarung positiv entwickeln wird. Das wird auch zu einer Erneuerung der Beziehungen zu Israel führen, wie sie dem Interesse beider Länder entspricht. Je schneller die Israelis dies realisieren, desto leichter wird der Übergang zu einer neuen Realität im Nahen Osten für Israel.

Die Israelis werden sich an einen friedlichen Iran gewöhnen

Die israelische Bevölkerung, die in ihrer Mehrheit tatsächlich Angst vor Iran hat, wird die Entwicklung nach dem Abkommen sorgfältig verfolgen. Sollte Iran sich dank des Abkommens wirklich für eine friedliche wirtschaftliche Entwicklung statt für eine militante und aggressive Politik entscheiden, so werden die Israelis sich langsam an einen friedlichen Iran gewöhnen. Eine andere Option bleibt ihnen ohnehin nicht mehr.

Anders als früher würde eine Erneuerung der Beziehungen zwischen Iran und Israel nicht abhängig vom Verhältnis Israels zur arabischen Welt sein. Die neuen Beziehungen werden Israel nicht dazu bringen, die offiziellen Beziehungen zu Ägypten und Jordanien zu schwächen, auch die inoffiziellen Beziehungen zu den Golfstaaten würden davon nicht negativ beeinflusst. Selbst Saudi-Arabien könnte unter diesen Umständen ein Interesse an verstärkten Beziehungen mit Israel haben. Das sollte auch gut für Israel sein.

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SZ vom 10.08.2015/cmy
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