Süddeutsche Zeitung

Außenansicht:Arme Armee

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Ohne leistungsfähige Bundeswehr wird Deutschland zum Spielball fremder Mächte. Der Verteidigungsetat muss deshalb auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung wachsen. Andernfalls wird Donald Trump die Bundesrepublik als Trittbrettfahrer an den Pranger stellen.

Von Klaus Naumann

Seit Beginn des Jahrtausends ist die Bundeswehr unterfinanziert. Die Folgen, verstärkt durch die Kosten der Einsätze im Ausland, machen Schlagzeilen. Zwar wurden Verbesserungen bei Personal und Material beschlossen. Nun aber wird versucht, diese Pläne am Parlament vorbei zu torpedieren.

Zwei Torpedos liegen abschussbereit. Erstens der mittelfristige Finanzplan, der am 6. Juli vom Kabinett zusammen mit dem Haushalt für das Jahr 2019 zu beschließen ist. Zweitens die Behauptung der SPD, es würde eine Rüstungsspirale ausgelöst, wenn der Verteidigungshaushalt bis 2024 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angehoben wird - übrigens eine mit Zustimmung der SPD beschlossene Nato-Formel.

Torpedo Nummer eins umgeht das Parlament. Die Abgeordneten entscheiden nur über den Haushalt, nicht über den Finanzplan. Der ist so bemessen, dass der Verteidigungshaushalt nach 2019 wieder sinkt und bei etwa 1,2 Prozent der Wirtschaftsleistung stehen bleibt. Die Folge: Mehrjährige Projekte können nicht begonnen werden, weil sie nicht durch den Finanzplan unterlegt sind. Ein Kabinettsbeschluss verhindert so die Modernisierung der Parlamentsarmee Bundeswehr.

Torpedo Nummer zwei könnte das Schiff dann ganz versenken: Die von der Bundeskanzlerin angekündigte Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf 1,5 Prozent des BIP wird kaum möglich sein, denn der dazu erforderliche steile Anstieg der Ausgaben nach 2023 dürfte nicht mehrheitsfähig sein. Will Deutschland aber seine internationalen Zusagen einhalten, muss der Finanzplan einen stetigen Anstieg von 2020 an ausweisen und sollte die 1,5 Prozent 2024 erreichen. Torpedo zwei wirkt somit doppelt: Er verhindert die bitter notwendige Erhöhung der Ausgaben für Material und Personal und er macht es unmöglich, die Nato-Zusage zu erfüllen, den Verteidigungshaushalt in Richtung zwei Prozent anzuheben.

Bleibt es bei diesem Finanzplan, dann wissen alle Nato-Verbündeten, dass auf deutsche Zusagen kein Verlass ist. Eine bessere Vorlage kann sich US-Präsident Donald Trump für den Nato-Gipfel am 12. Juli kaum wünschen: Er kann Deutschland als Trittbrettfahrer an den Pranger stellen. Auf seinen Tweet nach dem Gipfel dürfen wir uns schon heute freuen, das jüngste G-7-Treffen lässt grüßen. Mit Unterstützung durch Verbündete ist nicht zu rechnen. Sie alle wissen, dass Deutschland es sich leisten könnte, den Haushalt aufzustocken; sie alle wissen, dass es für Berlin einzig eine Frage des politischen Willens ist, seine Verteidigungsanstrengungen zu verstärken, und sie alle wissen, dass die behauptete Aufrüstungsspirale eine Lüge ist.

Billigt das Kabinett den Finanzplan, dann wird es den Einfluss Deutschlands in der Nato, indirekt auch in der EU, mindern, die Abhängigkeit des Landes von Partnern in allen Fragen der Sicherheit vergrößern und den notwendigen Aufbau einer leistungsfähigen Bundeswehr verlangsamen. Das geschähe in einer Welt, die immer unsicherer wird, und in der, so die Bundeskanzlerin, Deutschland und Europa ihre Sicherheit ein Stück weit in die eigenen Hände nehmen müssen. Die Gegenspieler des Westens dürften sich am 4. Juli freuen, denn im Alleingang die Nato zu schwächen, gelingt nicht jedem Bündnispartner, Präsident Trump einmal ausgenommen.

In Deutschland wird die erforderliche Verstetigung steigender Verteidigungsausgaben oft als Aufrüstungsspirale bezeichnet. Zudem wird wider besseres Wissen behauptet, dass das Verteidigungsministerium das zugewiesene Geld im vergangenen Jahr nicht ausgegeben habe. Verschwiegen wird dabei, dass jene, die von Aufrüstung reden, die einzige Minderausgabe von 200 Millionen Euro durch Einspruch gegen das Drohnenprojekt Heron verhindert haben.

Man muss die Zwei-Prozent-Formel nicht verteidigen, sie hat viele Schwächen. Sie entstand unter lebhafter sozialdemokratischer Mitwirkung vor dem Nato-Gipfel 2002 als Bedingung für die Aufnahme neuer Mitglieder, allesamt ärmer als Deutschland. Sie wurde 2014 wie 2016 von den Staats- und Regierungschefs einvernehmlich beschlossen. Sie wurde so zum Gradmesser der Verlässlichkeit eines Verbündeten. Keinen der Schritte, die nach 2014 eingeleitet wurden, weder in Deutschland noch irgendwo in Europa, kann man als Aufrüstung bezeichnen. Das gilt auch für den Plan, die bestehende Struktur des Heeres umzubauen. Bis 2032 sollen drei voll ausgestattete Divisionen mit acht Brigaden zur Verfügung stehen, die innerhalb von drei Monaten voll einsatzbereit sein sollen. Selbst arglose Gemüter können sich vorstellen, welche Angst das in Russland auslösen muss, wo regelmäßig geübt wird, wie in wenigen Stunden 60 000 Soldaten und mehr kampfbereit gemacht werden können.

Alle deutschen Planungen passen in das defensive Konzept der Nato, die an der bestehenden Vereinbarung mit Russland festhalten will, wonach ein gemeinsamer Sicherheits- und Stabilitätsraum geschaffen werden soll. Bleibt es aber bei den Mängeln der Bundeswehr, dann darf man sich nicht wundern, wenn Polen wegen seiner Zweifel an der Verlässlichkeit Deutschlands die USA darum bittet, dauerhaft eine Panzerdivision im Land zu stationieren.

Bleibt es bei den Mängeln der Bundeswehr, macht sich der Bundestag schuldig

Moderne Ausrüstung, vom geschützten Infanteristen über funktionstüchtige Hubschrauber und U-Boote bis hin zur Fähigkeit, im Cyberspace zu kämpfen, das schulden die Bürger ihren Soldatinnen und Soldaten, die für sie in gefährliche Einsätze gehen, beauftragt in unser aller Namen vom Deutschen Bundestag. Bekommt die Bundeswehr diese Ausrüstung nicht und kann sie aus Geldmangel ihr Personal nicht richtig ausbilden, dann machen wir uns alle schuldig, wenn ihnen in den Einsätzen Schaden zugefügt wird, vor allem aber Regierung und Parlament. Es ist die Verantwortung des Bundestages und der Regierung, für die bestmögliche Ausrüstung der Soldaten zu sorgen. Sie wiegt besonders schwer, wenn der Bundestag Einsätzen zustimmt und dafür sorgt, dass Deutschland immer mehr internationale Verpflichtungen übernimmt.

Ein Deutschland ohne leistungsfähige Bundeswehr wird zum Spielball fremder Mächte. Schlimmer noch, an einem solchen sich verweigernden Deutschland würde Europa scheitern. Aber nur ein geschlossenes Europa kann sich in dieser unruhigen Welt behaupten, kann seine Bürger schützen und gemeinsam mit den nordamerikanischen Partnern Krieg verhindern. Deshalb muss es endlich mehr Geld für die Verteidigung geben. Der erste Schritt wäre, am 6. Juli einen Finanzplan zu beschließen, der zu einer modernen Bundeswehr führt.

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Quelle:
SZ vom 04.07.2018
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