Außenansicht:An den Grenzen der Energiewende

Prof. Dr. Andreas Loeschel

Andreas Löschel, 44, ist Inhaber des Lehrstuhls für Mikroökonomik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

(Foto: Andreas Reeg)

Deutschland will aus der Kohle aussteigen. Das klingt gut, belastet aber die Nachbarn.

Von Andreas Löschel

Auf dem UN-Klimagipfel von Paris hat Deutschland im Dezember maßgeblich eine Koalition der Ambitionierten mit ins Leben gerufen, die ein äußerst ehrgeiziges Klimaschutzziel verankern konnte: Die Erderwärmung soll auf weit unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter beschränkt werden. Heute geht es nun darum, das Meisterstück der Klimadiplomatie in die Niederungen nationaler Politik zu überführen. Die direkten Auswirkungen von Paris sind allerdings überschaubar. Weder die Europäische Union noch Deutschland werden ihre Ziele zum Klimaschutz ändern. Deutschland droht sein eigenes Klimaschutzziel für das Jahr 2020 deutlich zu reißen. Und ohne zusätzliche Maßnahmen wird auch das selbstgesteckte Ziel verfehlt werden, die Emissionen des Klimagiftes Kohlendioxid bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent zu senken.

Die Frage ist: Wie können die Klimaziele doch noch erreicht werden? Während sich für Verkehr und Gebäude keine klare Perspektive abzeichnet, gibt es im Stromsektor eindeutige Optionen. Durch einen Ausstieg aus der Kohle, laut Bundesregierung deutlich vor 2050, könnten die Emissionen substantiell gemindert werden. Der Kohleausstieg könnte administrativ gesteuert oder durch höhere Preise für CO₂-Emissionen marktwirtschaftlich angestoßen werden. Dabei sollten die CO₂-Preise im Idealfall durch eine Verschärfung im gemeinsamen Emissionshandel auf europäischer Ebene angehoben werden. Bisher ist der CO₂-Preis auf die Erreichung des weniger ehrgeizigen europäischen Ziels, Reduktion der Emissionen um 40 Prozent bis 2030, ausgerichtet. Höhere europäische Ambitionen würden auch die deutschen Ziele erreichbar machen.

Leider ist diese europäische Lösung augenblicklich ein Wunschtraum. Andere EU-Staaten, insbesondere in Mittel- und Osteuropa, tragen eine ambitioniertere Klimapolitik nicht mit. Nimmt man die deutschen Klimaziele trotzdem ernst, bleiben also nur nationale Maßnahmen. Großbritannien hat bereits 2013 einen nationalen Mindestpreis für CO₂ eingeführt und letztes Jahr den Kohleausstieg bis 2025 verkündet. Frankreich will einen Mindestpreis von 30 Euro pro Tonne CO₂ erheben. Entsprechend könnte Deutschland ebenfalls einen nationalen Mindestpreis festlegen.

Deutschland muss aufpassen, dass es nicht einfach seine Emissionen exportiert

Nationale Maßnahmen zur Schließung der Lücke bei Erreichung der Klimaziele müssen keine übermäßigen Belastungen nach sich ziehen. Bis 2030 lägen die zusätzlichen Kosten pro Tonne in Deutschland vermiedenem CO₂ bei einem Mindestpreis für Emissionen im Durchschnitt bei 21 Euro und bei einem administrierten Kohleausstieg bei 24 Euro. Das ist zwar mehr als das Dreifache des heutigen Preises im Emissionshandel, dürfte aber immer noch unter den Schäden liegen, die durch den Klimawandel verursacht werden. Der CO₂-Mindestpreis ist dabei effizienter. Einem staatlichen verordneten Kohleausstieg, vielleicht noch verhandelt an einem Runden Tisch, kann das nicht gelingen. In der politischen Realität dürften daher die Kosten des Ausstiegs höher liegen.

Unbestreitbar würde ein Kohleausstieg für viele deutsche Kraftwerksbetreiber weitere Einnahmeausfälle verursachen - zusätzlich zu den Lasten durch niedrige Börsenstrompreise und die Kosten der Atomendlagerung. Tatsächlich jedoch entsprechen die entgangenen Gewinne bei den Betreibern der Braunkohlekraftwerke in den nächsten 15 Jahren gerade einmal einem Zwanzigstel dessen, was die Atomkraftwerksbetreiber voraussichtlich für Rückbau und Endlagerung tragen müssen. Besonders ältere Braunkohlekraftwerke mit den hohen Fixkosten ihrer Tagebauten werden angesichts der absehbar niedrigen Strompreise bis auf Weiteres ohnehin wenig profitabel sein. Moderne und vergleichsweise effiziente Steinkohlekraftwerke könnten sogar profitieren, weil das Preisniveau durch den schrittweisen Ausstieg angehoben würde.

Hauptgewinner eines Kohleausstiegs wären die Betreiber von Gaskraftwerken, die bei den derzeitigen Strompreisen kaum laufen. Einzelne Kraftwerksbetreiber werden also von einem Kohleausstieg empfindlich getroffen - insbesondere, wenn sie schon durch den Atomausstieg belastet wurden.

Das eigentliche Problem einer rein deutschen Lösung ist aber ein anderes: Durch den europäischen Strommarkt kommt es bei nationalen Alleingängen im Klimaschutz zu einer massiven Verschiebung von Emissionen in Nachbarländer. Dies gilt für den Kohleausstieg ebenso, wie wenn ein regionaler Mindestpreis eingeführt wird. So könnte sich Deutschland bei einem Kohleausstieg vom Stromexporteur hin zum Importeur entwickeln. Dies entspräche de facto einem Export von Emissionen ins Ausland, da der importierte Strom ja größtenteils in fossilen Kraftwerken erzeugt wird. Berechnungen zeigen, dass von den durch einen Kohleausstieg verminderten deutschen Emissionen so nur etwa 60 Prozent tatsächlich eingespart werden. Im Gegenzug steigen die Emissionen in den Nachbarländern. Ohne eine zusätzliche Reduktion der Emissionszertifikate verpufft der Klimaschutzeffekt wegen der Mechanik des Emissionshandels langfristig sogar vollständig. Ein in Deutschland nicht genutztes Emissionsrecht wird irgendwann wieder zum Einsatz kommen - in Deutschland oder in einem Nachbarland.

Die deutsche Energiewende kommt an ihre nationalen Grenzen. Trotz aller Schwierigkeiten sollte sich die Debatte um die deutschen Klimaschutzziele und einen Kohleausstieg daher stärker auf gesamteuropäische Lösungen konzentrieren. Sollte es tatsächlich nicht gelingen, die europäischen Emissionsgrenzen zu senken, dann bleibt zur Erreichung der deutschen Klimaschutzziele nur eine Lösung: die durch zusätzliche nationale Maßnahmen freiwerdenden Emissionszertifikate aufzukaufen und zu löschen. Dies würde für die anderen europäischen Länder übrigens keine Veränderung bedeuten. Sie hätten immer noch genauso viele Verschmutzungsrechte zur Verfügung und könnten so wirtschaften, als ob Deutschland nicht versuchen würde, sein ambitionierteres Klimaziels national durchzusetzen. Sie hätten aber auch keinen Vorteil - in Form zusätzlicher Verschmutzungsrechte oder Stromexporte - davon, dass Deutschland seine nationalen Klimaschutzziele tatsächlich erreichen will. Aufkauf und Stilllegung von Zertifikaten führen natürlich zu zusätzlichen Kosten - derzeit etwa sechs Euro pro Tonne CO₂, in Zukunft womöglich mehr. Das wäre der Preis für eine deutsche Energiewende, bei der nationale und europäische Ambitionen nicht im Einklang stehen.

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