Außenansicht:Amlo soll es richten

Yetlaneci Alcaraz

Yetlaneci Alcaraz, 41, ist mexikanische Journalistin. Sie lebt in Berlin und arbeitet als Korrespondentin für die mexikanische politische Wochenzeitschrift Proceso. Übersetzung: Sebastian Schoepp.

(Foto: oh)

Die Mexikaner haben López Obrador gewählt, weil sie Morde und Korruption satthatten. Er hat nun eine Chance verdient.

Von Yetlaneci Alcaraz

Man hat ihn einen tropischen Messias genannt, einen Populisten, einen Prahler. Manche seiner Gegner stießen unaufhörlich Warnungen aus, dass dieser Mann, wenn er einmal an der Macht sei, sich in einen Diktator verwandeln würde, der aus Mexiko ein neues Venezuela macht. Und doch haben 30 Millionen Mexikaner, 53 Prozent der Wähler, Andrés Manuel López Obrador Anfang Juli ihr Vertrauen ausgesprochen. Einen solch durchschlagenden Erfolg gab es in der jüngeren Geschichte der mexikanischen Demokratie noch nie.

Seit seinem Triumph hat die vermutete "Gefährlichkeit" des gewählten Präsidenten offenbar stark nachgelassen. Inzwischen haben Wirtschaftsvertreter der zweitgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas längst mitgeteilt, dass sie der ersten modernen Linksregierung Mexikos Vertrauen entgegenbringen und mit ihr zusammenarbeiten werden. Andrés Manuel López Obrador, genannt Amlo, ist nicht Hugo Chávez, und Mexiko wird kein zweites Venezuela. Das wissen eigentlich auch alle, selbst die, die gegen Amlo sind, weil sie fürchten, dass er sein Versprechen wahr macht, gegen Korruption und Vorteilsnahme vorzugehen und Privilegien abzuschaffen.

Dass Andrés Manuel López Obrador nach 2006 und 2012 im dritten Anlauf gewonnen hat, liegt an einer Reihe von Umständen: In erster Linie ausschlaggebend war, dass die Gesellschaft genug hat von der extremen Armut und der Marginalisierung so vieler Menschen im ganzen Land, die Mexiko zum OECD-Staat mit der größten sozialen Ungleichheit macht. Und die Mexikaner haben auch genug von der Welle der Gewalt, die kein Ende hat. Allein 2017 wurden 25 000 Morde verübt. Mehr als 30 000 Menschen verschwanden und 310 000 sind geflohen seit dem Beginn des Kriegs gegen die Drogen, der 2006 von dem damaligen Präsidenten Felipe Calderón ausgerufen wurde. Dieses Mal waren die Wut und der Überdruss vieler Menschen größer als die Angst vor Repressalien im Wahlkampf. Die Logik der Amlo-Wähler lautete: Schlimmer kann es nicht werden, also versuchen wir etwas Neues.

López Obrador ist weniger ein Politiker als der Anführer einer sozialen Bewegung. Diese hat er zu einer Größe geführt, wie man sie in der mexikanischen Geschichte bislang noch nicht gesehen hat. Das war ein zweiter wichtiger Faktor für seinen Erfolg. Seit 2006, seiner ersten Präsidentschaftskampagne, hat Amlo jeden Winkel des Landes bereist und mit den Menschen gesprochen. Mit seinem Charisma und seiner einfachen, direkten Sprache, wegen der man ihn als Populisten bezeichnet hat, hat er eine Verbindung zum Volk hergestellt. Er hat, mit anderen Worten, genau die erdverbundene Basisarbeit geleistet, die seine Gegenspieler nicht leisteten.

Ein Linkspopulist? Ein neuer Hugo Chavez? Das glauben nicht einmal mehr seine Gegner

Dritter Faktor war der enorme Verlust des Einflusses des Fernsehens in der Bevölkerung. Während Amlos Wahlkämpfen der Jahre 2006 und 2012 übten die Sender Televisa und TV Azteca noch enormen Einfluss auf das politische Leben aus. Doch den haben sie zugunsten von sozialen Netzwerken verloren. Dank Facebook, Twitter und Youtube konnten López Obrador und seine Anhänger ihre Botschaften im ganzen Land verbreiten, ohne auf die Traditionssender angewiesen zu sein.

Nach dem Triumph gilt es jetzt, die riesigen Erwartungen zu erfüllen. Die Skeptiker haben ihre Zweifel, dass der ehrgeizige Wandel, den Amlo im Wahlkampf versprochen hat, in die Realität umgesetzt werden kann. Korruption und deren Straflosigkeit sind nach Meinung vieler Mexikaner der Ursprung für die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit und die Gewalt im Land. Um damit aufzuräumen, reicht es nicht, das gute Beispiel zu predigen. Viele fragen sich, ob es dem Neuen gelingen wird, einen Weg aufzuzeigen hin zu einem grundlegenden Wandel. Immerhin hat das Wahlbündnis des neuen Präsidenten, "Gemeinsam schreiben wir Geschichte", auch die Mehrheit im Kongress errungen. Das könnte dem Präsidenten nach Meinung seiner Anhänger tatsächlich die historische Gelegenheit geben, die strukturellen Veränderungen und Haushaltsumschichtungen einzuleiten, um einige seiner Versprechen einzuhalten. Seine Gegner hingegen sehen in der Machtkonzentration eine Gefahr.

Seit seinem Triumph ist López Obrador jedoch vorsichtig geblieben. Seine oberste Priorität war es, die Zuversicht auszustrahlen, die Wirtschaft und Märkte brauchen, um stabil zu bleiben. Er hat einen versöhnlichen Ton angeschlagen, sehr anders als die radikalen linken Versprechungen des Jahres 2006. Und er hat nach dem Sieg eine klare Botschaft ausgesandt: "Der Wandel wird tief greifend sein, sich aber immer entlang der gesetzlichen Ordnung vollziehen."

Es werde keine Enteignungen oder Verstaatlichungen geben, hat López Obrador versprochen. Er garantierte Unternehmens- und Meinungsfreiheit. Amlo hat zugesagt, die Autonomie der Zentralbank zu achten. Verträge mit Privatunternehmen und Banken werden eingehalten. Nur die Verträge aus der umstrittenen Reform und Privatisierung des Energiesektors seines Vorgänger Enrique Peña Nieto will er auf Korruption und Vorteilsnahme überprüfen lassen und - wenn Unregelmäßigkeiten zum Nachteil Mexikos auftauchen - auch nationale und internationale Gerichte anrufen.

Versöhnlich war López Obradors Ton auch im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten und zum Kollegen Donald Trump, ein extrem wichtiges Thema für Mexiko. Amlo setzt auf ein "kooperatives und freundschaftliches Verhältnis" zum großen Nachbarn, wie er sagte, das sich auf gegenseitigen Respekt gründet. Aber er will die Rechte mexikanischer Einwanderer in den USA schützen. Vor allem aber wäre es natürlich wichtig, Arbeit auf Mexikos Feldern und in den Städten zu schaffen, damit die Menschen aufhören, nach Norden auszuwandern.

Wird er es schaffen? Schwer zu sagen. Sicher ist, dass López Obrador nach dem Amtsantritt am 1. Dezember einem Land gegenüberstehen wird, das tief greifenden wirtschaftlichen Wandel, mehr öffentliche Sicherheit, Kampf gegen die Armut und die Einrichtung einer fairen Justiz mit großer Dringlichkeit einfordert. Er wird auf eine kritische Öffentlichkeit treffen, die sehr viel aktiver und informierter ist als in früheren Zeiten. Seine Wähler werden ihm nichts durchgehen lassen und seine Resultate genauestens überprüfen. Immerhin hat die Gesellschaft verstanden, dass nach so viel Blutvergießen der Wandel nicht von einer Person allein bewerkstelligt werden kann, sondern nur von allen gemeinsam.

Man muss hoffen, dass beide, Amlo und die Bürger, diesen Impuls zu nutzen wissen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: