Süddeutsche Zeitung

Außenansicht:Afrikas gefährliche Wahlen

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Wenn Regierungen Stabilität wichtiger als Gerechtigkeit nehmen, verlieren die Menschen das Vertrauen in die Demokratie.

Von Elena Gadjanova

Kenia ist nur ein Beispiel. Wenn es nach Wahlen zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt, muss es oberste Priorität der Politik sein, den Frieden wiederherzustellen. Wenn jedoch danach nichts gegen die Ursachen der Gewalt unternommen wird und das Ziel der Gerechtigkeit immer wieder dem der Ruhe im Land geopfert wird, sind die Aussichten für Stabilität und Versöhnung schlecht. Je länger dieser Zustand anhält, desto schwieriger wird es, das Vertrauen in die Institutionen des Landes und in den Glauben an faire Wahlen wiederzustellen. Geht dieses Vertrauen verloren und macht sich Straflosigkeit für das herrschende Regime breit, dann wächst die Unterstützung für Bestrebungen, die Gesellschaft mit nicht-demokratischen Mitteln zu verändern. Dieses Szenario hat in etlichen afrikanischen Staaten zu anhaltenden Krisen geführt und ist auch Ursache des gegenwärtigen Patts nach den Wahlen in Kenia.

Im Jahr 2007, als Oppositionsführer Raila Odinga gegen Mwai Kibaki antrat, wurde die Wahl weitreichend und offenkundig manipuliert. Die meisten Beobachter sahen Odinga als Sieger. Dennoch wurde Kibaki Präsident, was im ganzen Land zu Protesten und blutigen Zusammenstößen führte, bei denen 1 000 Menschen starben und 600 000 ihre Heimat verloren. Dank internationaler Vermittlung kam eine breite Koalitionsregierung zustande; eine neue Verfassung, die für mehr Dezentralisierung stand, sollte den Druck eines Systems, bei dem der Sieger alles gewinnt, aus den Präsidentschaftswahlen herausnehmen. Doch Kibaki durfte seine gesamte Amtszeit als Präsident ableisten, niemand wurde wegen der massiven Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen strafrechtlich verfolgt. Odingas Anhänger wurden angehalten, sich zu fügen und Ruhe zu bewahren um des Friedens und der Einheit willen.

Die Opposition in Kenia hat jede Geduld mit dem System verloren

Im Jahr 2013, als Odinga gegen Uhura Kenyatta antrat, der wie Kibaki der ethnischen Gruppe der Kikuyu angehört, gab es große Probleme mit dem neuen elektronischen Wahlsystem. Diese Probleme führten, ebenso wie die unnatürlich hohen Stimmzahlen in Hochburgen der Kikuyu, dazu, dass Beobachter den knappen Sieg Kenyattas im ersten Wahlgang anzweifelten. Odinga focht das Ergebnis vor dem Obersten Gerichtshof an, doch der bestätigte Kenyattas Sieg. Aus Angst, dass es wie nach den Wahlen von 2007 wieder zu Gewaltausbrüchen kommen könnte, wurden auch im Jahr 2013 Manipulationen nicht ernsthaft untersucht. Jeder, der die Institutionen des Landes oder das Wahlverfahren infrage stellte, wurde als Bedrohung für den Frieden, als Opportunist oder Anhänger des Stammessystems dargestellt. Das führte dazu, dass die ethnische Gruppe der Luo, der Odinga angehört, immer stärker den Eindruck bekam, das System sei gegen sie, durch Wahlen ändere sich nichts.

Die Folgen sind auch nach den hart umkämpften Wahlen Anfang des Monats sichtbar: Seit Amtsinhaber Kenyatta vor drei Wochen zum Sieger erklärt wurde, erschossen Sicherheitskräfte Demonstranten in Hochburgen der Opposition und griffen Menschen in ihren Häusern an. Das Regime versuchte, die beiden führenden Menschenrechtsorganisationen des Landes aufzulösen. Die Regierung, die nach eigenen Angaben mit einem komfortablen Vorsprung von 54 Prozent wiedergewählt worden ist, hat nicht so gehandelt, wie es angemessen gewesen wäre. All dies hat nur den Verdacht geschürt, dass es wieder nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.

Daran ist zum Teil auch die internationale Staatengemeinschaft schuld. Als ausländische Beobachter die Wahlen verfrüht für "frei und fair" erklärten und Odinga zur Aufgabe drängten, wurde die Regierung ermutigt, Widerspruch zu unterbinden. Die Wahrnehmung, dass es in Kenia ständig zu Stammesfehden kommen kann, macht die Sache nicht einfacher: Sie fördert den Eindruck, das Land befinde sich in einer permanenten Krise, alle Mittel seien gerechtfertigt, um für Frieden und Stabilität zu sorgen. Dies trifft ganz allgemein auf Afrika zu. Nachrichten, die nur Gewalt und Instabilität thematisieren, liefern den autoritären Herrschern einen Vorwand, hart gegen Kritiker vorzugehen, und wirken häufig wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung - letzten Endes tragen sie dazu bei, die Demokratie zu untergraben.

Odingas Oppositionsbündnis ficht die Wahlergebnisse an und möchte sie annullieren lassen. Auf einer 25 000 Seiten starken Petition, die am 18. August beim Obersten Gerichtshof eingereicht wurde, wirft das Odinga-Lager der Wahlkommission vor, abgegebene Stimmen zugunsten Kenyattas manipuliert zu haben. Doch der neu konstituierte Oberste Gerichtshof hat keine guten Optionen. Annulliert er das Ergebnis, bezichtigt er Regierung und Wahlkommission eines Stimmenraubs von massivem und beispiellosem Ausmaß. Verteidigt er sie, wird die seit Langem verbreitete Meinung bestätigt, wonach das System so manipuliert wird, dass permanent ein Großteil der Bevölkerung ausgeschlossen ist. Solche Wahrnehmungen liegen häufig Krisen in anderen afrikanischen Ländern zugrunde - etwa in Uganda, Mali, Elfenbeinküste seit den 80er-Jahren. Es ist unwahrscheinlich, dass die Opposition in Kenia irgendetwas anderes akzeptiert als eine Wiederholung der Wahlen, denn diesmal geht es nicht nur um 2017: Es geht auch um 2007 und 2013. Sie haben ihren Anhängern geschworen, "dieses Mal nicht lockerzulassen".

In dieser Haltung unterscheidet sich die jetzige Krise in Kenia von der in Ghana aus dem Jahr 2012: Der Verlierer im Präsidentschaftswahlkampf in Ghana rief auch den Obersten Gerichtshof an; doch er akzeptierte das Urteil, vor allem weil die Wahlkommission des Landes weitgehend als unabhängig und effizient galt. Dass der Amtsinhaber ein Gerichtsurteil akzeptierte, das seine Niederlage in Ghana im Jahr 2008 bestätigte, war in weiten Teilen des Landes gefeiert und im Ausland gelobt worden. Wenn Amtsinhaber nach einer Wahlniederlage zurücktreten, ist das das entscheidende Indiz dafür, ob Demokratie in Afrika funktioniert oder nicht. Ein solches Handeln schafft Vertrauen in das Wahlverfahren und die Institutionen. Die Wahlverlierer von heute glauben dann, sie könnten die Sieger von morgen sein, und haben so einen Anreiz, das Spiel weiter mitzuspielen.

Dies war jedoch in Kenia nicht der Fall; dort hat die Opposition anscheinend jeglichen Glauben und jedwede Geduld verloren. Gleich wie der Oberste Gerichtshof in einer Woche entscheidet - die nächsten Monate werden wahrscheinlich von Instabilität geprägt sein. Kenia zahlt heute den Preis dafür, dass es in der Vergangenheit wiederholt Gerechtigkeit an zweite Stelle gesetzt hat - zugunsten von Frieden und Stabilität.

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Quelle:
SZ vom 29.08.2017
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