Süddeutsche Zeitung

Ausschusssitzung zu G-20-Krawallen:Ein Forum der Bürgerwut

  • Bei einer öffentlichen Anhörung des Sonderausschuss zu den G-20-Protesten in Hamburg wird der Ärger vieler Bürger deutlich.
  • Etwa 300 Hamburger waren in die Kulturkirche Altona gekommen.
  • Manche Redner aus der Menge verirrten sich in klassenkämpferischen Parolen und wirkten maßlos in ihrer Kritik. Die meisten aber wirkten auf eine durchdachte Weise aufgebracht.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Die Kulturkirche Altona ist normalerweise ein Ort der harmonischen Klänge. Orchester, Chöre und andere Musik-Ensembles treten hier auf. Aber am Donnerstagabend war das erhabene neogotische Backsteingebäude ein Schauplatz für den tiefen Bruch, der sich seit dem G-20-Gipfel im Juli 2017 durch die Hamburgische Stadtgesellschaft zieht.

Der Sonderausschuss zur Aufarbeitung der Gewalt-Ausschreitungen im Rahmen des Weltpolitiker-Treffens hatte zur öffentlichen Anhörung geladen. Etwa 300 Bürgerinnen und Bürger kamen, vor allem aus den Stadtteilen Schanzenviertel, Karoviertel, St. Pauli und Altona, die besonders betroffen waren von den Krawallen durch vermummte Linksextreme und deren Trittbrettfahrer. Sie hatten viele Geschichten aus den schlimmen Sommertagen mitgebracht, viele strenge Fragen zur Strategie der Polizei und ausdrückliche Rücktrittforderungen an Innensenator Andy Grote, Polizeipräsident Ralf Martin Meyer sowie Einsatzleiter Hartmut Dudde.

Die Sitzung wurde zu einem Forum der Bürgerwut, dem die Abgeordneten des Ausschusses, Senator Grote und Polizeipräsident Meyer ohnmächtig zuhören mussten. Manche Redner aus der Menge verirrten sich in klassenkämpferischen Parolen und wirkten maßlos in ihrer Kritik. Die meisten aber wirkten auf eine durchdachte Weise aufgebracht. Eine Gruppe von Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohnern mit scharfem Bürgersinn machte deutlich, dass sie einen Anspruch auf nachvollziehbare Entscheidungen von Politik und Polizei erheben. Sie fühlten sich schon übergangen, als der damalige Bürgermeister Olaf Scholz den G-20-Gipfel in die Hansestadt ließ und trotz eindringlicher Warnungen als Konferenzzentrum die Messe in unmittelbarer Nachbarschaft der linksautonomen Kulturstätte Rote Flora wählte.

Beim Gipfel selbst verstanden sie die Strategie der Polizei nicht, die einerseits mit 30 000 Einsatzkräften und teurem Material auflief, schon vor dem Gipfel große Strenge gegen Protest-Camps zeigte - um dann die schwersten Krawalle nicht verhindern zu können.

Bewohner des Schanzenviertels schilderten, wie sie am ersten Abend des Gipfels, als ein Mob aus Krawalltätern auf ihren Straßen Barrikaden anzündete und Läden plünderte, vergeblich Polizei oder Feuerwehr riefen. "Wir haben erlebt, was es heißt, wenn Hilfe nicht kommt, die man dringend braucht", sagte eine Frau. Zu anderen Gelegenheiten hatten Meyer, Einsatzleiter Hartmut Dudde und weitere leitende Beamte das Vorgehen der Polizei immer wieder erklärt. Zum Beispiel, dass sie an besagtem Freitagabend zunächst nicht ins Schanzenviertel gekommen waren, weil sie Gefahren durch militante Linksextreme auf den Häuserdächern befürchteten; Stunden später stürmte ein Spezialeinsatzkommando die Häuser.

Die Betroffenen der Krawalle glauben der Polizei ihre Erklärungen nicht

Die Botschaft des Abends in der Kulturkirche: Die Betroffenen der Krawalle glauben der Polizei ihre Erklärungen nicht, ihr Vertrauen in die Behörden ist zerstört. Auch fast elf Monate nach den Gipfelkrawallen fühlen sie sich noch ohne Not im Stich gelassen und nicht ernst genommen. Sie können nicht erkennen, dass sich echte Einsicht breit macht unter den Verantwortlichen.

Längst hat die Polizei eingeräumt, dass ihre Strategie, Bürger zu schützen und den schwarzen Block in Zaum zu halten, teilweise nicht aufging. Mit über 140 Ermittlern spürt sie unter der Leitung der Hamburger Staatsanwaltschaft gerade Hunderten von Krawalltätern nach, neuerdings sogar im Ausland, wie Razzien in der Schweiz, Frankreich, Italien und Spanien in dieser Woche zeigten. Aber Konsequenzen in den eigenen Reihen sind bisher ausgeblieben. G-20-Einsatzleiter Dudde ist mittlerweile sogar Leiter der Schutzpolizei, Olaf Scholz Bundesfinanzminister und Vizekanzler.

Vielen Menschen im Schanzenviertel kommt es so vor, als wolle der Staat ihnen eine lange Nase zeigen. Henning Brauer von der Standortinitiative Standpunkt.Schanze sagte: "Es ist für uns unerträglich, dass die Hauptverantwortlichen, Herr Scholz, Herr Grote, Herr Meyer und Herr Dudde, immer noch in Amt und Würden oder sogar befördert worden sind." Großer Applaus hallte durchs Kirchenschiff.

Dudde und Scholz waren nicht da. Meyer und Andy Grote schon, und zumindest der Senator versuchte eine Antwort. Viele im Plenum verließen vorher wie auf Kommando die Kulturkirche. Für die Verbliebenen versuchte Grote Verständnis zu zeigen und so etwas wie eine diplomatische Reue. "Es ist erkennbar, dass ein Stück weit der gesellschaftliche Frieden kaputt gegangen ist", sagte er kraftlos. Eine echte Antwort darauf, wie dieser wieder herzustellen sein könnte, hatte er nicht, im Gegenteil, er beharrte sogar darauf, dass die Einsatzstrategie der Polizei nicht aufreizend streng war, wie viele Kritiker finden. "Es gibt keine eskalative oder deeskalative Strategie", sagte er. Zu den Rücktrittsforderungen sagte er gar nichts. Manche reagierten mit ungehaltenen Zwischenrufen. Keine Hand rührte sich zum Applaus.

Die Fragen und Einwände der Bürgerinnen und Bürger nehmen die Abgeordneten in die nächsten Ausschusssitzungen mit. Sie wissen jetzt, dass irgendetwas geschehen muss, um den Leuten entgegenzukommen. Sonst laufen die Parlamentarier Gefahr, einen ganzen Stadtteil mit vielen freiheitsliebenden Demokraten an eine herbe Politikverdrossenheit zu verlieren. "Es geht uns darum, das Vertrauen zu Ihnen wieder aufzubauen", sagte die SPD-Abgeordnete Martina Friederichs ins Schweigen der Menge hinein. Nur eine Politikerin bekam an diesem emotionalen Abend Beifall: Christiane Schneider von den Linken, als sie die Schwächen der bisherigen G-20-Aufarbeitung benannte. "Es hat auf alle Fragen glatte Antworten gegeben", sagte sie, "aber keine überzeugenden."

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