Ausschreitungen in Birmingham:"Wer auch einen Sohn verlieren will, der soll jetzt vortreten"

England feiert ihn als "Held von Birmingham": Tarik Jahan muss mit ansehen, wie sein Sohn von Plünderern totgefahren wird. Anwohner und Nachbarn fordern Rache. Doch der trauernde Vater verhindert mit einem bewegenden Appell eine Eskalation der Gewalt.

Tarik Jahan kann seine Tränen nur mit Mühe unterdrücken. Trauer vermischt sich mit Verzweiflung und Wut. Der kräftige, grauhaarige Einwanderer aus Südasien steht auf der Straße in Winson Green, einem armen Viertel in Birmingham. Er ist umringt von zornigen Nachbarn. Manche wollen Rache für den Mord an drei jungen Männern aus der Umgebung.

Tariq Jahan

"Ich will keine weiteren Leiden sehen, keine weiteren Verletzten": Tarik Jahan musste dabei zusehen, wie am Rande der Krawalle in Birmingham sein Sohn totgefahren wurde, inzwischen wird er für seinen Friedensappell als Held gefeiert.

(Foto: dpa)

Drei junge Männer, die in der Nacht auf Mittwoch am Rande der schweren Ausschreitungen im britischen Birmingham mit einem Auto totgefahren wurden. Der Vorfall, so sagt es die Polizei, habe sich an einer Tankstelle in der Innenstadt ereignet. Wenig später seien in der Nähe ein Auto sichergestellt und ein Mann festgenommen worden. Die Polizei leitete Ermittlungen wegen Mordes ein.

Einer dieser Männer war Jahans Sohn Haroon. Er wurde 21 Jahre alt. Der 30-jährige Shazad All und der ein Jahr ältere Abdul Musavir sterben neben ihm. Die Gruppe von Männern wollten in Winson Green Geschäfte, Wohnungen und eine Moschee vor Plünderern schützen.

In der Nacht seien zunächst mehrere Autos an den Anwohnern vor den Geschäften vorbeigefahren, schildert ein Augenzeuge. Die Insassen der Fahrzeuge hätten die Anwohner dabei beschimpft. Eines der Autos habe dann umgedreht und sei "mit unglaublicher Geschwindigkeit" über den Bürgersteig gefahren. Es habe die Männer asiatischer Abstammung mitgerissen. Diese seien dabei durch die Luft geschleudert worden. "Sie standen am Rande der Straße und das Auto überfuhr sie einfach", schildert ein weiterer Mann. Am Steuer sollen laut Augenzeugen "karibische Afrikaner" gesessen haben.

Mehr als drei Viertel der knapp 26.000 Einwohner von Winson Green gehören verschiedenen ethnischen Minderheiten an. Zwar gibt es etliche Beispiele für eine gut funktionierende, friedliche Nachbarschaft - auch zwischen Muslimen aus Pakistan oder Indien und Nachfahren von afrikanischen Sklaven, die einst in die Karibik verschleppt worden waren. Aber es kam in Birmingham auch immer wieder zu blutiger Gewalt zwischen Schwarzen und Asiaten.

Die Krawalle, die ihren Ausgang im Londoner Stadtviertel Tottenham hatten - Anlass war der Tod eines 29-Jährigen bei einer Verhaftungsaktion der Polizei, haben inzwischen auch auf Birmingham übergegriffen. Von Jahan hängt nun maßgeblich ab, ob die Gewalt erneut eskaliert.

"Bitte, geht nach Hause!"

Jahan spricht bedächtig, aber mit fester Stimme: "Wer auch einen Sohn verlieren will, der soll jetzt vortreten." Jahan hält ein Foto seines Sohnes hoch, ein freundliches Lächeln auf einem klugen Gesicht.

"Ich habe versucht, meinen eigenen Sohn wiederzubeleben", berichtet Jahan. "Mein Gesicht war von Blut bedeckt, meine Hände waren voller Blut", schildert er das, was Premierminister David Cameron bei einem Blitzbesuch in Birmingham einen "wirklich schrecklichen Vorfall" nennt. "Schwarze, Asiaten, Weiße", fährt Jahan fort, "leben alle im selben Viertel. Warum müssen wir uns gegenseitig töten?"

"Leute", sagt Jahan weiter, "ich will keine weiteren Leiden sehen, keine weiteren Verletzten. (...) Mein Sohn ist gestorben. Niemand von euch muss deshalb auch sterben." Und fügt hinzu: "Mein Sohn starb, weil er versucht hat, die Gemeinschaft zu verteidigen, in der er lebte. Wir sind alle Teil dieser Gemeinschaft. Also, bitte, geht nach Hause."

Der Appell zeigt Wirkung, die Menge beruhigt sich. Inzwischen wird Jahan in mehreren britischen Medien als "Held von Birmingham" gefeiert - auch vom britischen Labourchef Ed Miliband, der an diesem Donnerstag im Unterhaus den Einsatz des Mannes würdigte. "Er ist das Gesicht Großbritanniens, auf das wir stolz sind", so der Politiker.

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