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Ausschreitungen in Ägypten:Mehrere Minister treten zurück

Die Massenproteste gegen den ägyptischen Präsidenten Mursi haben erste politische Konsequenzen. Mindestens vier Minister legen ihre Posten nieder. Über ihre Gründe wird noch spekuliert. Der Protest eskaliert: In Kairo stürmen Demonstranten die Zentrale der islamistischen Muslimbruderschaft. Die Opposition stellt dem Präsidenten ein Ultimatum.

Die Massenproteste in Ägypten haben erste politische Auswirkungen. Mehrere Minister sind zurückgetreten. Die Minister für Kommunikation, Tourismus, Umwelt und Justiz hätten gemeinsam bei Ministerpräsident Hescham Kandil ihren Rücktritt eingereicht, sagte ein Regierungsvertreter in Kairo. Der Nachrichtenagentur dpa zufolge, hat noch ein weiterer Ressortchef sein Amt niedergelegt.

Offiziell wurden keine Gründe für ihren Rücktritt genannt. Der britische Guardian berichtet unter Berufung auf ägyptische Nachrichtenquellen, dass dies aus Solidarität mit den Demonstranten geschehen sei.

Regierungskritische Demonstranten haben den zentralen Sitz der islamistischen Muslimbruderschaft in der ägyptischen Hauptstadt Kairo gestürmt. Protestierende stürmten das Gebäude im Viertel Mokattam und warfen Gegenstände aus den Fenstern, andere plünderten die Räume. Das berichten die Nachrichtenagenturen AFP und AP. Später wurde das Gebäude in Brand gesetzt. Laut Augenzeugen hielt sich zu Beginn der Erstürmung niemand in dem Gebäude auf. Schon in der Nacht hatte es vor der Muslimbrüder-Zentrale heftige Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gegeben.

Die ägyptische Opposition stellte Präsident Mohammed Mursi am Montag ein Ultimatum zum Rücktritt. Mursi habe bis Dienstag um 17:00 Uhr "Zeit, die Macht abzugeben und es den Behörden zu ermöglichen, eine vorgezogene Präsidentschaftswahl zu organisieren", teilte das Bündnis Tamarod (Rebell) mit, wie die Nachrichtenagentur AFP und die britische BBC melden.

Sollte der Staatschef der Aufforderung nicht nachkommen, werde es "eine Kampagne des vollständigen zivilen Ungehorsams" geben. Die Gruppe sagte, sie hätte mehr als 22 Millionen Unterschriften von Unterstützern gesammelt.

Mindestens 16 Tote bei Protesten

Bei den Massenprotesten sind seit Sonntag nach offiziellen Angaben landesweit 16 Menschen getötet worden. Wie das Gesundheitsministerium am Montag mitteilte, gab es zudem 781 Verletzte. Acht Menschen kamen den Angaben zufolge bei den Auseinandersetzungen und Schießereien vor dem Hauptquartier der Muslimbruderschaft in Kairo ums Leben, drei weitere im oberägyptischen Assiut. Jeweils einen Toten gab es zudem in der Stadt Bani Sueif, in Kafr el-Scheich, in Fayum und in Alexandria sowie vor dem Präsidentenpalast in Kairo.

Am Sonntag hatte es in Ägypten die größten Demonstrationen seit dem Sturz des Diktators Hosni Mubarak gegeben. Dabei gingen landesweit mehr als eine Million Menschen auf die Straßen, um am ersten Jahrestag von Mursis Amtsantritt den Rücktritt des Islamisten zu fordern. Aus Kreisen der Armee hieß es, es könnten bis zu 14 Millionen Menschen an den Protesten teilgenommen haben. Aktivisten sprechen sogar von mehr als 30 Millionen Menschen - es sei die größte politische Kundgebung in der Geschichte der Menschheit. Allein auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo versammelten sich mehr als eine halbe Million Menschen. Viele harrten auch die Nacht über dort aus. Die befürchteten Konfrontationen zwischen den rivalisierenden Lagern blieben hier jedoch aus.

Wenige Kilometer vom Amtssitz Mursis entfernt versammelten sich im Kairoer Vorort Nasr City Zehntausende Anhänger der islamistischen Parteien, um ihre Solidarität mit Mursi zu bekunden. Einige von ihnen trugen Stöcke und Helme bei sich.

Die säkulare Opposition wirft Mursi und den islamistischen Muslimbrüdern vor, die Ideale der Revolution von 2011 verraten zu haben und einen ähnlich autoritären Staat wie unter Mursis Vorgänger Mubarak anzustreben. Anhänger Mursis verweisen hingegen darauf, dass er der erste demokratisch gewählte Präsident Ägyptens ist,

Mursi betonte unterdessen, an seinem Amt festhalten zu wollen und bot erneut an, die islamistisch geprägte Verfassung des Landes zu überarbeiten. Diese war Ende vergangenen Jahres per Volksabstimmung in Kraft gesetzt worden. Die Kritik reißt seither nicht ab.

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