Süddeutsche Zeitung

Aussage von SPD-Chef:Sigmar Gabriel und das Problem mit "deutschnational"

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Der SPD-Chef gesteht jedem Bürger das Recht zu, "deutschnational" zu sein. Ein Gespräch mit dem Berliner Historiker Uwe Puschner über die Vergangenheit dieses Begriffs.

Von Lars Langenau

Uwe Puschner, 60, ist Professor für Neuere Geschichte an der FU Berlin. Er forscht seit Jahrzehnten über völkische und nationale Bewegungen.

SZ: Herr Puschner, Sigmar Gabriel sagt im aktuellen Stern: "Egal ob es einem gefällt oder nicht: Es gibt ein demokratisches Recht darauf, rechts zu sein oder deutschnational. Sogar ein Recht, Dummheiten zu verbreiten." Sind Sie auch über den Begriff deutschnational gestolpert?

Uwe Puschner: Solche Begriffe werden häufig unbedacht und ohne ein Wissen über historische Herkunft und Zusammenhänge verwendet. Ebenso wie das Wort "völkisch" wird der Begriff "deutschnational" ohne seine ideologischen Hintergründe und Grundlagen verwendet.

Auch bei einem SPD-Vorsitzenden und Vizekanzler?

Gabriel ist ein kontrollierter Politiker und versiert in der Sprache, aber ich glaube, dass er die Bedeutung dieses Wortes nicht ausreichend bedacht hat. "Deutschnational" steht in direktem Zusammenhang mit dem Wort "völkisch" - und das ist immer antisemitisch konnotiert. Allerdings wird es fälschlicherweise oft nur als harmloses Adjektiv von Volk verwendet. Heute herrscht kaum noch ein Bewusstsein dafür, dass diese Wörter aus dem österreichischen alldeutschen Zusammenhang stammen und im 20. Jahrhundert in den Sprachgebrauch des Deutschen Reiches einflossen. Dort stehen sie dann im Zusammenhang mit einem extremen Nationalismus und den dazugehörigen Ausgrenzungen gegenüber der jüdischen Bevölkerung und slawischen, insbesondere polnischen Bevölkerungsgruppen. Eine rassistische Grundierung ist dabei immer ein wesentliches Element.

Was bedeutet also deutschnational?

Der Begriff ist nie richtig definiert worden. Jedenfalls streicht er das spezifisch Deutsche heraus und hat damit ausgrenzende Elemente. Seine Ursprünge liegen in der Habsburger Monarchie. Hier will er zunächst Gemeinsamkeit über die deutsche Sprache und Kultur definieren, wendet sich aber auch gegen "Überfremdung" und "Bedrängung" innerhalb dieses Vielvölkerstaates. Antisemitismus ist ein gängiges Elemente dieses Denkens. Der Rassismus spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle, sowohl in seiner kulturalistischen als auch biologistischen Ausprägung.

Die Deutschnationale Volkspartei der Weimarer Republik hatte den Begriff ja schon im Namen.

Die DNVP war ein Sammelbecken der Rechten und Konservativen, der völkische Flügel ging dann eine Koalition mit der NSDAP ein und löste sich später auf. Es war eine Gemengelage von konservativen rechten Gruppierungen um den Ex-Krupp-Manager und später einflussreichen Verleger Alfred Hugenberg, die Hitler mit an die Macht gebracht hat.

1952 wurde die Sozialistische Reichspartei Deutschlands (SRP) verboten. Auch sie definierte sich als völkisch und deutschnational. Liegt Gabriel also falsch, wenn er sagt, dass es legitim ist, deutschnational zu sein?

Auch in der NSDAP-Nachfolgepartei SRP war völkisches deutschnationales Denken präsent. Aber man hat nach 1945 versucht, an Vorstellungen der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts anzuschließen. Auffällig ist, dass dieses Gedankengut, welches dem Deutschnationalen innewohnt, in den 70er Jahren mit Alain de Benoist, dem Vordenker der Neuen Rechten, eine Renaissance erlebte. Aber auch dem rechtsextremistischen Ausleger der sich damals formierenden ökologischen Bewegung, der ÖDP, und ihrem Gründer Herbert Gruhl.

Und heute?

Dieses Gedankengut wird immer wieder abgerufen, aktualisiert und in anderen Zusammenhängen verwendet. Bis in die Gegenwart hinein. In den vergangenen 20 Jahren wurde das krude Schrifttum von völkischen Vorstellungen aus der Wendezeit des vorvergangenen Jahrhunderts in obskuren Verlagen nachgedruckt und wird erfolgreich international vertrieben.

Stichworte wie "Überfremdung" erinnern sehr an Parolen von Pegida und einigen Ablegern ...

Da muss man unterscheiden. Die Mehrheit der Demonstranten halte ich für ganz normale Menschen. Bei diesen artikulieren sich Ängste und Befürchtungen, wobei es keineswegs nur um den Islam geht. Es scheint sich vielmehr um den Ausdruck von Angst, Verunsicherung und Unsicherheit in einem beschleunigenden Globalisierungs- und allgemeinen Veränderungsprozess in einer Zeit von Krisen und Umbrüchen zu handeln. Dieses Phänomen ist auch auffallend für die Radikalisierungsprozesse vor 100 Jahren: Eine sich schnell verändernde Gesellschaft löst Gegenwarts- und Zukunftsängste aus. Wo geht es hin? Wie geht es weiter? Mit entsprechenden völkischen oder deutschnationalen Erklärungen kann man da sehr erfolgreich sein.

Also ist es ein Schutz, sich als völkisch oder deutschnational zu definieren?

Es ist zumindest eine Wagenburgmentalität. Der Wunsch, sich als Gemeinschaft gegen etwas Bedrohliches verteidigen zu müssen.

Geht von Pegida eine Gefahr aus?

Als Gefahr für unsere Demokratie 70 Jahre nach Kriegsende sehe ich Pegida nicht. Aber ich finde es wichtig, sich damit zu beschäftigen: Welche Befindlichkeiten werden formuliert? Wer indoktriniert? Man muss schauen, wer die Ideologen hinter der Bewegung sind und wie erfolgreich sie sein könnten. Ich habe auf Bildern der Demos in Dresden ein Kreuz in Schwarz-Rot-Gold gesehen. Mich hat das an die deutschen Christen erinnert, die bereits in den 20er und 30er Jahren hochgradig antisemitisch waren. Aber höchstwahrscheinlich haben die Träger einfach kein historisches Bewusstsein.

Hat Gabriel also grundsätzlich recht?

Auch wenn ich davon nicht begeistert bin, er hat recht: Es gibt ein Recht darauf, rechts oder deutschnational zu sein. Das sieht auch unser Grundgesetz genau so vor - sofern nicht dagegen verstoßen wird. Auch wenn die Demonstrationen jetzt möglicherweise verebben werden, ist das dort geäußerte Denken nicht weg. Mit Verboten ist dies nicht aus der Welt zu bringen, sie würden das Problem lediglich verdecken.

Er macht es also auch richtig, wenn er das Gespräch sucht?

Unsere Demokratie ist stabil. Doch bei 20 000 Demonstranten kommt man mit Ausgrenzung und Tabuisierung kaum weiter. Man muss mit den Menschen ins Gespräch kommen, aber ihnen zeigen, dass das, was da geäußert wird, fehlerhaft oder gar falsch und intolerant und fremdenfeindlich ist, mitunter auch rassistisch. Gerade den jüngeren Demonstranten müsste historisches Bewusstsein vermittelt werden. Allerdings müssen wir deren Unmut, deren Unwohlsein auch ernst nehmen.

Was hilft?

Die Argumentationskette der Pediga-Leute geht nicht auf: Wir haben doch gar keine Bedrohungssituation. Aber das war ja schon mal so: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Flüchtlinge aus dem Osten Fremde, dann in den 90ern Jahren die Spätaussiedler aus der zerfallenen Sowjetunion. Die Furcht vor dem Fremden kann sich also auch gegen Deutsche entwickeln. Sie richtet sich immer gegen eine unbestimmte Gruppe. Nach dem Motto: Der einzelne Fremde, den ich kenne, der ist schon in Ordnung, aber das Kollektiv eben nicht, das ist bedrohlich. Das sind alte Denkmechanismen, die sich hier wiederholen. Darauf muss man hinweisen.

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