Auslandseinsätze der Bundeswehr:Lehren vom Hindukusch

Abzug der Bundeswehr aus Kundus

Alles vergebens: Bundeswehrsoldaten verlassen im Oktober 2013 das Feldlager Kundus.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Die Bundeswehr hat in Afghanistan nur wenig erreicht. Das zeigt auch der Taliban-Angriff auf Kundus. Doch den Einsatz zu verlängern, würde auch nicht helfen.

Ein Kommentar von Christoph Hickmann

Wenn man in den vergangenen Jahren mit Bundeswehrsoldaten über die Lage in Afghanistan sprach, bekam man zuweilen entrüstete bis wütende Gegenreden zu hören - und zwar sobald man die Frage aufwarf, ob der Einsatz dort angesichts der angespannten Sicherheitslage überhaupt etwas bewirkt habe. Natürlich habe er das, hieß es dann - was insofern verständlich war, als diese Soldaten einen Teil ihrer Lebenszeit in Afghanistan verbracht und dabei auch ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten. Da möchte man sich und anderen ungern eingestehen, dass es vergebens gewesen sein könnte. Eine ganze Generation von Soldaten ist durch diesen Einsatz geprägt worden; entsprechend emotional betroffen sind viele in der Bundeswehr, wenn es um Afghanistan geht.

Und tatsächlich hat man dort ja manches erreicht, man muss sich nur Statistiken über den Schulbesuch von Mädchen anschauen. Mit einem endgültigen Urteil über diesen Einsatz wird man auch noch warten müssen. Trotzdem lässt sich nach jetzigem Stand sagen, dass er zu guten Teilen vergebens war, und zwar nicht erst, seit die Taliban in Kundus eingerückt sind - jenem Ort, der wie kein anderer für den deutschen Einsatz und den Wandel der Bundeswehr zur kämpfenden Truppe steht.

Warum vergebens? Beispielsweise wegen der Gesamtzahl der zivilen Opfer, die im ersten Halbjahr 2015, also nach dem Abzug der westlichen Kampftruppen, bei 1592 Toten und 3329 Verletzten lag. Das bedeutet im Vergleich zum ersten Halbjahr 2014 sogar noch einmal eine leichte Steigerung. Auf das Konto der Aufständischen gehen dabei 70 Prozent der zivilen Opfer, 15 Prozent haben die staatlichen Sicherheitskräfte auf dem Gewissen. Angesichts dieser Zahlen offenbart die neu aufgeflammte Debatte darüber, ob man den Einsatz der Bundeswehr nicht doch über 2016 hinaus verlängern sollte, vor allem Hilf- und Ratlosigkeit.

Weder Beratung noch schwere Waffen haben geholfen

Denn was würde man da eigentlich genau verlängern? Bei der seit Jahresbeginn laufenden Mission Resolute Support geht es vor allem um die Beratung der Afghanen, außerdem um Ausbildung und, so wird es umschrieben: Unterstützung. Kämpfen müssen die Afghanen mittlerweile selbst. Was würde es also nützen, wenn man bis 2017, 2018, 2020 weiter beriete? Könnte man so jene Defizite beheben, die es den Taliban nach ersten Erkenntnissen ermöglichten, ohne allzu viel Gegenwehr in Kundus einzusickern - weil Polizei und Armee wegen eines Feiertags großflächig im Urlaub waren? Nein. Eine Verlängerung des aktuellen Auftrags diente vor allem dem eigenen Gewissen: Wir bleiben noch ein bisschen, auch wenn es ganz dicke kommt.

Also doch wieder aufstocken, wieder schwere Waffen nach Afghanistan verlegen, wieder kämpfen? Das ist erstens weder international noch hierzulande politisch durchsetzbar. Zweitens hat der Ansatz "viel hilft viel" ja auch all die Jahre zuvor nicht zum Sieg gegen einen Gegner geführt, der im Gegensatz zu westlichen Politikern viel Zeit hat, sich bei Bedarf einfach zurückzieht, das Land kennt und kampffähigen Männern genügend zahlen kann. Zumal das Nato-geführte Bündnis ja nicht die erste Macht war, die vergebens versucht hat, dieses Land dauerhaft unter Kontrolle zu bekommen.

Die Rein-raus-Logik hat nicht funktioniert - wieder einmal

Deutschland hat Afghanistan über die Jahre viel versprochen, unter anderem Hilfe und Partnerschaft bis weit in die Zukunft hinein. Man wird dieses Versprechen, über die militärische Komponente hinaus, auch einhalten müssen. Davon abgesehen, gibt es die einfachen Antworten nicht, auch wenn nun wieder viele so tun. Umso wichtiger wäre es, aus Afghanistan Lehren für künftige Einsätze zu ziehen. Wer in der Welt mehr Verantwortung übernehmen will, sollte sich vorher genau überlegen, wie das funktionieren könnte. Und was man vermeiden sollte.

Die Rein-raus-Logik, also der Ansatz, sich erst massiv in einem Land zu engagieren und viel Energie in die Ausbildung der Sicherheitskräfte zu stecken, um dann nach einer begrenzten, zuvor öffentlich definierten Zeitspanne den Rückzug anzutreten, funktioniert offenbar nur mäßig. Womöglich wird man in Zukunft vor neuen Einsätzen stets einkalkulieren müssen, dass es lange, sehr lange dauern könnte. Dass dauerhafte Stabilität vielleicht nur mit dauerhafter Präsenz zu erreichen ist.

Die Bundeswehr ist dazu grundsätzlich in der Lage - siehe Kosovo. Ein solcher Ansatz hätte den angenehmen Nebeneffekt, dass man sich jeden Einsatz nicht zweimal, sondern dreimal überlegt. Schließlich dürfte sich die grundsätzliche Skepsis in der Bevölkerung noch erhöhen, wenn von Jahrzehnten statt von Jahren die Rede ist. Diese Überzeugungsarbeit aber könnte sich womöglich lohnen.

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