Eigentlich müsste jeder dieser späten Strafprozesse mit einem Schuldbekenntnis der Justiz beginnen - mit einer Erklärung, warum der Angeklagte erst jetzt, als Greis, vor Gericht steht. Eigentlich müsste der Richter am Beginn einer solchen Verhandlung darlegen, warum nicht schon vor fünfzig, dreißig oder wenigstens vor zwanzig Jahren verhandelt worden ist.
Eigentlich müsste die bundesdeutsche Justiz nach Aufruf der Sache "Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen" erst einmal die Opfer und die Welt um Verzeihung bitten dafür, dass sie die Bestrafung der Nazimörder so lange hinausgeschoben hat - so lange, bis Bestrafung eigentlich keinen Sinn mehr macht. Aber solche Bekenntnisse sind nicht vorgesehen in der Strafprozessordnung.
Feststellung der persönlichen Schuld
Es ist dort auch nicht vorgesehen, dass Bestrafung keinen Sinn mehr ergibt. Aber just so ist es; alle Regeln über Strafzumessung kann man in diesen letzten Verfahren gegen NS-Schergen vergessen: Bei den Angeklagten, die am Lebensende stehen, geht es nicht um eine Strafe, die in Zeit bemessen wird; sie wird in Ewigkeit gemessen. Sie besteht in der Feststellung der persönlichen Schuld des Angeklagten; in der gerichtlichen Feststellung der grausamen Wahrheit - "im Namen des Volkes" .
Die Richtergeneration von heute kann nichts dafür, dass es juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen jahrzehntelang kaum gegeben hat. Sie tut jetzt, was noch getan werden kann. Sie holt nach, was noch nachgeholt werden kann. Sie schraubt Gedenktafeln an die Justizgebäude, auf denen die Namen der verfemten und ermordeten jüdischen Mitarbeiter stehen. Und sie verhandelt gegen die letzten Täter und Gehilfen, die noch leben.
Viele Gerichtspräsidenten heute lassen die Geschichte ihrer Gerichte schreiben, schonen ihre Nazi-Vorgänger nicht und scheuen sich auch nicht mehr festzustellen, dass so viele Nazi-Richter einfach das Hakenkreuz von der Robe gerissen und in der Bundesrepublik weitergerichtet haben.