Süddeutsche Zeitung

Auschwitz-Prozess gegen Oskar Gröning:KZ-Überlebende geht auf früheren SS-Mann zu

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Holocaust-Überlebende gibt Gröning die Hand

Eva Kor hat einen langen Weg auf sich genommen, um Oskar Gröning zu sehen. Aus Terre Haute, einem Ort im US-Bundesstaat Indiana, ist sie nach Niedersachsen gekommen. Sie will in Lüneburg den Greis vor Gericht erleben. Gröning war SS-Mann im Konzentrationslager Auschwitz, Kor war dort als Häftling und überlebte die Mordfabrik. Nun, 70 Jahre nach Befreiung der Auschwitz-Häftlinge, wollte sie ihn sehen und hören.

Am ersten Tag des Prozesses sagte die 81-Jährige anerkennende Sätze, weil Gröning von sich aus seine Vergangenheit in Medien thematisiert hat. "Er hätte sich wie Tausende andere Nazis im Schatten verbergen können. Wenige hatten den Mut, nach vorne zu treten." Sie sagte aber nach Grönings einstündiger erster Aussage auch: "Er hat nicht wirklich viel gesagt. Ich bin ein wenig enttäuscht."

Wie nun, am zweiten Prozesstag, bekannt wurde, ging Kor auf den 93 Jahre alten Angeklagten zu. Sie reichte ihm - unter Ausschluss der Öffentlichkeit - die Hand. "Ich habe den Nazis vergeben", sagte Eva Kor, und fügte hinzu: "Meine Vergebung spricht die Täter nicht frei." An Gröning appellierte sie, umfassend auszusagen und auch Neonazis die Wahrheit über Auschwitz zu sagen.

Bevor Gröning die Öffentlichkeit suchte, hat er Jahrzehnte seine Rolle verdrängt und auch in der Familie verschwiegen. Die Lüneburger Ankläger werfen ihm Beihilfe zum Mord in mindestens 300 000 Fällen vor. Zu Prozessbeginn hat er sich zu seiner moralischen Mitschuld bekannt. In dem bei Krakau gelegenen Lager im besetzten Polen ermordete das nationalsozialistische Regime im Zweiten Weltkrieg mehr als eine Million überwiegend jüdische Menschen.

Gröning setzte am zweiten Prozesstag seine Aussage fort und bestritt, regelmäßigen Dienst bei der Selektion eintreffender Juden in dem Konzentrationslager geleistet zu haben. An der Rampe im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau sei er in der fraglichen Zeit während der sogenannten "Ungarn-Aktion" nur dreimal im Einsatz gewesen. Er habe dort das Gepäck der angekommenen Menschen bewacht. Im Stammlager Auschwitz I war der SS-Unterscharführer im Herbst 1942 eingesetzt, mitunter ebenfalls an der Bahnrampe.

Die Anklage beschränkt sich aus rechtlichen Gründen auf rund 137 Transporte aus Ungarn im Sommer 1944. Gröning hatte gestanden, das von den Häftlingen genommene Geld gezählt und nach Berlin gebracht zu haben. Die Anklage wirft ihm vor, so dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Töten unterstützt zu haben.

Zum Massenmord in Auschwitz sagte Gröning: "Die Kapazität der Gaskammern oder auch der Krematorien war reichlich begrenzt." Und weiter: "Man rühmte sich, dass man in 24 Stunden 5000 Tote entsorgen könnte."

Immer wieder zeigte Gröning erhebliche Konzentrationsschwierigkeiten. Von Umbauten in Birkenau 1944 und der blutigen Auflösung des sogenannten "Zigeunerlagers" habe er keine Kenntnis gehabt. "Ich bin ein armer kleiner Unteroffizier gewesen", sagte der Greis, der sich einst freiwillig zur SS gemeldet hatte.

Opfer der perversen Experimente von Mengele

Die heutige 81-jährige Eva Kor, geborene Mozes, kam als Mädchen nach Auschwitz. Ihre Familie lebte in einem rumänischen Ort, der damals zu Ungarn gehörte. Es war im Mai 1944, als sie mit den Eltern und drei Schwestern, darunter Zwillingsschwester Miriam, nach langer, furchtbarer Fahrt aus einem Waggon stieg. "Nur 30 Minuten nach der Ankunft an der Rampe wurden Miriam und ich für immer von unserer Familie getrennt", sagte sie. Nur die beiden Mädchen hätten überlebt. Die Schwestern gehören zu den wenigen Zwillingen, die die vom gefürchteten Lagerarzt Josef Mengele geleiteten Experimente überstanden.

Kor beschrieb vor Gericht die grauenvollen Versuche. "Ich krabbelte auf dem Boden, weil ich nicht mehr gehen konnte", sagte sie, nachdem man ihr eine Injektion mit bis heute unbekanntem Inhalt verabreicht hatte. "70 Jahre später bin ich hier, weil ich nicht aufgegeben habe."

Nach dem Krieg heiratete Kor einen Holocaust-Überlebenden. Sie suchte nach anderen Überlebenden der Menschenexperimente der SS-Ärzte und gründete die Organisation Children of Auschwitz-Nazi's Deadly Lab Experiments Survivors (C.A.N.D.L.E.S.). Andere Holocaust-Überlebende kritisierten Eva Kor für eine Erklärung, die sie vor 20 Jahren gemacht hatte. Damals erklärte sie, allen Nazis ihre Verbrechen zu vergeben.

Im Lüneburger Auschwitz-Prozess soll an diesem Donnerstag ein Überlebender des Vernichtungslagers als Zeuge aussagen. Nach Angaben einer Sprecherin des Landgerichts wird voraussichtlich auch noch ein weiterer Nebenkläger aussagen.

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