Süddeutsche Zeitung

Ausblick 2016:CDU und CSU: Fünf Dinge, die sich ändern müssen

Den Konservativen geht es vor allem um die Macht. Wer Wahlen gewinnt, dem fliegen die Herzen der Mitglieder von CDU und CSU zu. Das wird 2016 nicht reichen. Die Zeit auf der Wohlfühlinsel ist vorbei.

Analyse von Thorsten Denkler, Berlin

Und plötzlich müssen sie sich rechtfertigen. Manche zum ersten Mal. Die meisten Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU sind mit der Bundestagswahl 2005 oder später erst in das Parlament gekommen. Es waren entspannte Zeiten. Die Chefin, Kanzlerin Angela Merkel, war die unangefochtene Nummer eins. Das Land steht gut da. Sinkende Arbeitslosigkeit. Wachsende Wirtschaft. Harte Haltung in der Euro- und Griechenland-Krise. Die Abgeordneten hatten in ihren Wahlkreisen kaum mehr zu tun als Erfolg um Erfolg zu verkünden. Und dann und wann eine Umgehungsstraße einzuweihen.

Das ist vorbei. Mit den Flüchtlingen kommt zumindest die Union an ihre Belastungsgrenze. 2013 und 2014 war es schwer genug, den eigenen Leuten ein Kontingent von insgesamt 20 000 syrischen Flüchtlingen zu vermitteln. Ende 2015 werden wohl über eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sein. Die Union muss sich 2016 neu orientieren. Fünf Dinge, die anders werden müssen.

1. Ein Ende der Scheindebatten um Grenzen

Kaum etwas hat die Union so bewegt wie die absurde Debatte um Obergrenzen. Absurd deshalb, weil selbst führende CSU-Politiker im kleinen Kreis erzählen, dass es solche Obergrenzen im Wortsinn schon rechtlich nicht geben kann. Es hat schon einen Grund, dass immer noch niemand aus CDU und CSU in der Lage ist, diese angebliche Grenze zu definieren. 500.000 Flüchtlinge im Jahr? Eine Million? Zwei Millionen? Der erste Flüchtling oberhalb so einer Grenze hätte nach dem Grundgesetz genau so ein Anrecht auf Hilfe wie jeder andere.

Die mächtige CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt hat kürzlich mit einer sehr kurzen Antwort auf eine sehr einfache Frage das ganze Obergrenzen-Kartenhaus zusammenbrechen lassen. Ist die Obergrenze eine feste Zahl?, lautete die Frage. Hasselfeldt: "Nein." Wenn das jetzt geklärt ist, dann sollte die Debatte darum umgehend beendet werden. Sie führt die Bürger nur in die Irre. Kanzlerin Angela Merkel immerhin hat das erkannt, und auf dem jüngsten Parteitag darauf bestanden, dass das Wort Grenze im Zusammenhang mit der Zahl der Flüchtlinge im Leitantrag der CDU nicht auftauchte.

2. Merkels "Wir schaffen das" muss sich durchsetzen

Von Merkels Dämmer-Kurs der vergangenen Jahre waren auch in der Union einige ziemlich angenervt. Immer dieses Abwarten, bis sich in der Partei oder der Fraktion Mehrheiten gebildet haben. Und dann dies als eigene Position verkaufen. Effizient, aber auch langweilig. Jetzt aber ist Merkel mal vorgeprescht. "Wir schaffen das", das ist ihre Ansage zur Flüchtlingsfrage.

Es gibt ehrlich gesagt kaum einen Grund, daran zu zweifeln. Deutschland ist eines der wirtschaftsstärksten Länder der Erde. Und zwei, drei oder mehr Millionen Flüchtlinge sind für ein 80 Millionen-Einwohner-Land ganz gut verkraftbar. Das Problem ist nicht die Zahl an sich. Das Problem ist, dass so viele auf einmal kommen. Es ist eine Frage der Zeit, bis sich die anfänglichen Probleme gelöst haben. Dann werden Sporthallen wieder freigegeben für den Schulunterricht und für Vereine. Dann kommen die ersten Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt unter.

Am Ende werden die Flüchtlinge das Land mehr bereichert als belastet haben. Ökonomisch und kulturell. So war es in der Geschichte bisher mit fast allen großen Flüchtlingsbewegungen. Wenn sich die Union an Merkels Ansage hält und es so kommt, dann gewinnt die Union. Dann hat die Kanzlerin es wieder geschafft. Ihr vertrauen die meisten Bürger mehr als der ganzen Rest-Union, die Krisen der Welt zu bewältigen.

Das bedeutet nicht, die Probleme unter den Tisch zu kehren. Natürlich kann es zu Konkurrenzsituationen kommen zwischen sozial schwachen Bürgern in Deutschland und Flüchtlingen. Guten und günstigen Wohnraum brauchen sie alle. Kontraproduktiv aber ist, aus den Problemen ein "Wir schaffen es nicht" oder ein "Wir wollen es auch gar nicht schaffen" abzuleiten.

3. Die Union muss sich rechts der Mitte positionieren

Das klingt zunächst schizophren: Merkels "Wir schaffen das" aufrechterhalten und gleichzeitig die rechte Flanke wieder abdecken. Ein schwieriger Spagat. Aber notwendig. Die Union ist heute das, was die SPD mal war: eine Volkspartei links der Mitte. So wird sie zumindest nach einer jüngsten Umfrage von den meisten Bürgern gesehen.

Wenn die Union schon links der Mitte ist, dann ist rechts der Mitte viel, zu viel Platz. Genug Platz, damit sich eine rechtskonservative bis in Teilen rechtsradikale Partei wie die AfD da austoben kann. "Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben." Dieses Diktum von Franz Josef Strauß kommt gerade ziemlich in Bedrängnis. CSU-Chef Horst Seehofer hat sich dem zwar jüngst wieder verpflichtet.

Das Problem ist: In diesem Mitte/Links der Mitte-Kosmos ist die Union gerade recht erfolgreich. Trotz der Flüchtlingsfrage führt sie in den Umfragen mit nur knapp unter 40 Prozent. Kurzfristig könnte es ihr das sogar helfen, wenn die AfD zu parlamentarischen Kräften etwa in Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz aufsteigt. Dann wäre eine Regierung ohne die CDU als jeweils stärkste Kraft möglicherweise nicht zu stemmen. Ein politischer Underperformer wie Guido Wolf, Spitzenkandidat der BaWü-CDU, könnte so dank der AfD unversehens in Amt des Ministerpräsidenten gespült werden.

Langfristig aber kann eine größer werdende AfD der Union nicht gefallen. Sie greift auch stramm konservative Wählerschichten an, die früher noch CDU gewählt hätten. Links der Mitte tummelt sich zudem praktisch die ganze restliche Konkurrenz. Da kann es eng werden, sollte die SPD irgendwann mal wieder zu neuer Stärke finden.

4. Die Union muss sich mehr für die Grünen öffnen

In vielen Städten und Kreisen und Ländern fehlt es der Union nicht an Stärke. Es fehlt an einem Bündnispartner. Die FDP ist weggebrochen und berappelt sich nur langsam wieder. Noch ist nicht ausgemacht, ob die Liberalen es 2013 wieder in den Bundestag schaffen - oder ob sie in den Kommunal- und Landesparlamenten wieder flächendeckend Fuß fassen können.

Abschreiben sollte die Union die FDP nicht. Mit ihr rechnen kann sie allerdings auch nicht. Wenn die Union sich nicht dauerhaft mit großen Koalitionen zufrieden geben will, dann muss die das schwarz-grüne Projekt stärker noch als bisher pushen.

In Hamburg ist schwarz-grün mal gescheitert, in Hessen dagegen läuft es trotz schlechtester Vorzeichen geradezu vorbildlich. Wer wissen will, wie solche Bündnisse halten können, trotz großer kultureller Unterschiede, der sollte nach Wiesbaden reisen und sich die schwarz-grüne Regierung von Ministerpräsident Volker Bouffier, CDU, und seinem grünen Stellvertreter Tarek al-Wazir erklären lassen.

Wenn jetzt in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gewählt wird kann das die CDU auf die nächste Probe stellen. Groko oder Schwarz-Grün. In Baden-Württemberg hat Guido Wolf mit seinem Dauerfeuer auf den hochangesehenen grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann inzwischen so viel Porzellan zerdeppert, dass die Grünen sich ganz schön winden müssten, mit diesem Mann über Optionen überhaupt nur zu reden. Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz macht das schlauer. Sie fährt einen prägnanten Kurs, ohne mit Dauerwatschen für politische Gegner zu nerven, von denen einer womöglich ihr nächster Koalitionspartner werden wird.

5. Die Union muss den Bundesrat zurückerobern

Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz - beide Länder sind in den Händen von SPD und Grünen. Das schmerzt die CDU. Und Baden-Württemberg wird regiert von einem grünen Ministerpräsidenten.

Das ist eine große Schmach für die CDU. Baden-Württemberg hat zuvor bis auf die kurze Phase der Landesgründung immer die CDU regiert. Rheinland-Pfalz gilt als konservatives Stammland. Bis 1991 war es immer CDU-regiert. Hier hat einst Helmut Kohl als Ministerpräsident seine Kanzlerschaft vorbereitet.

Am 13. März wird in beiden Ländern gewählt. Die CDU kann an diesem Tag aber mehr gewinnen als nur die Macht. Sie kann auf einen Schlag zehn Stimmen im Bundesrat hinzugewinnen, Baden-Württemberg hat sechs und Rheinland-Pfalz vier Stimmen in der Länderkammer.

Die von der Union regierten Länder hätten damit wieder die wichtige Bundesratsmehrheit zurückerobert. In allen diesen Ländern regiert sie in Koalitionen mit der SPD - wie im Bund. Nur in Bayern regiert die CSU alleine. Ist die Bundesratsmehrheit zurück, sind keine komplizierten Kompromisse mit den Grünen mehr nötig. Regieren wird dann um einiges einfacher.

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