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Aus gesundheitlichen Gründen:Österreich: Vizekanzler Pröll tritt zurück

Der österreichische Finanzminister und Vizekanzler Josef Pröll hat seinen vollständigen Rückzug aus der Politik bekanntgegeben. Zwar nannte der ÖVP-Chef gesundheitliche Gründe, rechnete in seiner Rede aber auch mit der eigenen Partei ab.

Der österreichische Finanzminister und Vizekanzler Josef Pröll ist von seinen Ämtern zurückgetreten. "Ich ziehe mich vollständig aus der Politik zurück", erklärte der 42-Jährige auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz im Finanzministerium in Wien. Er nannte gesundheitliche Gründe für den Schritt: "Ich habe mich nicht gegen die Politik entschieden, aber für meine Gesundheit und meine Familie", so Pröll. Die Österreichische Volkspartei (ÖVP), deren Vorsitzender Pröll ist, werde am Donnerstag über seinen Nachfolger an der Parteispitze beraten.

Über Prölls Rücktritt war zuvor heftig spekuliert worden: Der 42-Jährige musste sich vergangenen Monat wegen eines Blutgerinnsels in der Lunge behandeln lassen. Er habe sich mit den Ärzten gründlich beraten und dabei sei klar geworden, dass sich Spitzenpolitik mit seiner gesundheitlichen Situation nicht vertrage. Er habe sich nicht gegen die Politik, sondern für seine Gesundheit entschieden, zitiert der ORF aus der Erklärung des Politikers.

Pröll äußerte sich nach einem Bericht der österreichischen Zeitung Die Presse auch indirekt zum jüngsten Lobby-Skandal in der eigenen Partei. Er beklagte einen "Mangel an Anstand einzelner Politiker", auch in der ÖVP. Keine Partei könne ein derartiges Verhalten dulden. Auch in seiner Rücktrittsrede rechnete er nach österreichischen Medienberichten mit der Politik im Allgemeinen und seiner Partei im Speziellen ab: Der fehlende "Anstand" habe zu einem "Mangel an Vertrauen in die Politiker geführt - auch jene der Volkspartei".

Pröll habe außerdem einen "Stillstand" der Politik in Fragen der Bildungs- und Gesundheitspolitik bemängelt. Wesentliche Teile der Politik seien in Opportunismus und Populismus verhaftet. Um dies zu überwinden, fehle ihm nach seiner Krankheit aber die Kraft, berichtet das ORF auf seiner Internetseite.

Ende März war bekanntgeworden, dass der Delegationsleiter der ÖVP im EU-Parlament, Ernst Strasser, auch als hochbezahlter Lobbyist in Straßburg tätig war. Nach einem Bericht der österreichischen Zeitung Der Standard soll der EU-Politiker bis zu 100.000 Euro pro Jahr und Klient bezogen haben. Den lukrativen Nebenverdienst hatte Strasser selbst in einem Video der Sunday Times öffentlich gemacht.

Wer dem Ex-Finanzminister und -Vizekanzler nachfolgt, ist noch nicht bekannt. Pröll kündigte aber an, er wolle für einen zügigen Übergang sorgen, damit die Regierung arbeitsfähig bleibt. Mit Prölls Rücktritt dürfte es auch in Österreichs Regierung zu weitreichenden personellen Änderungen kommen.

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dapd/Reuters/jobr/hai
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