Auma Obama im Interview:"Die Deutschen müssen mehr auf Fremde zugehen"

Sie kann zu US-Präsident Barack Obama "my little brother" sagen: Auma Obama

Auma Obama 2010 in Frankfurt.

(Foto: dpa)

Auma Obama ermuntert die Deutschen, gegenüber Neuankömmlingen offen zu sein. Der These, Deutschland sei nicht multikulturell, widerspricht die Halbschwester des US-Präsidenten.

Barbara Vorsamer und Oliver Das Gupta

Auma Obama ist 1960 in Kenia zur Welt gekommen. Sie ist die ältere Halbschwester von US-Präsident Barack Obama. Aumas Vater heiratete in zweiter Ehe eine Amerikanerin, aus dieser Verbindung stammt Barack. Erst im Erwachsenenalter lernten sich die Halbgeschwister Barack und Auma kennen und schätzen. Auma Obama lebt mit ihrer Tochter in Nairobi. In der kenianischen Hauptstadt arbeitet sie als Mitarbeiterin der Entwicklungshilfeorganisation Care. Schon in der Schule lernte Auma Obama die deutsche Sprache. 1980 kam sie nach Deutschland und studierte Germanistik in Heidelberg und Bayreuth. In ihrer Doktorarbeit verglich sie die Konzeption von Arbeit in Deutschland und Kenia.

Obama spricht nicht nur fließend Deutsch, sie fühlt sich hier auch noch ein bisschen zu Hause, erzählt sie beim Gespräch mit der SZ. Die vergangenen Wochen fuhr sie durch das Land und stellte ihr Buch vor (Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise, ISBN 978-3785724033), in dem Obama sehr persönlich aus ihrem ungewöhnlichen Leben berichtet.

Dr. Auma Obama steigt aber vor allem auf ein anderes Thema ein: die deutsche Integrationsdebatte, die auch sie beschäftigt - schließlich war sie selbst einmal Neuankömmling in diesem Land.

SZ: Frau Obama, wie fühlt es sich an, nach Deutschland zu kommen - in das Land, in dem Sie 16 Jahre gelebt haben?

Auma Obama: Es ist eine Art Heimkommen. Ich habe mich sogar dabei ertappt, dass ich mich fragte: Vermisst du dieses Land?

Und was haben Sie sich geantwortet?

In mancher Hinsicht ja. Deutschland ist mir sehr vertraut. Hier leben so viele alte und gute Freunde, die ich inzwischen als Familie betrachte.

Sie sind 1980 nach Deutschland gekommen. Wie haben Sie als junge Frau Deutschland erlebt?

Schon vom Flugzeug war zu sehen: Alles ist symmetrisch, ordentlich. Das Licht war anders - hier ist es nicht so hell wie in Afrika. Es war alles neu. Genau das wollte ich damals: Weg von Zuhause, Neues kennenlernen. Angst hatte ich keine, ich wollte Abenteuer.

Wenn es um Abenteuer ging - warum sind Sie dann ausgerechnet nach Deutschland gereist?

Ich habe ein DAAD-Stipendium (DAAD = Deutscher Akademischer Austauschdienst; Anm. d. Red.) erhalten. Deutsch konnte ich schon vor meiner Reise. Als Jugendliche habe ich deutsche Literatur in englischer Sprache gelesen, also Bert Brecht und andere Nachkriegsautoren. Danach half der Zufall: Zwei Jahre vor dem Abitur haben wir eine deutsche Lehrerin bekommen, die Deutsch-Unterricht angeboten hat. Wir waren nur vier Schüler. Wir lasen auch Die Zeit, Stern und Spiegel, und natürlich hatten wir Landeskunde. Deutschland war mir also von der Ferne aus schon vertraut.

Verfolgen Sie heute noch von Nairobi aus die deutsche Innenpolitik - wie beispielsweise die aktuelle Integrationsdebatte, die sehr kontrovers geführt wird?

Normalerweise fokussiere ich mich auf Kenia. Aber in den vergangenen zwei Wochen, die ich in Deutschland verbracht habe, konnte man die Integrationsdebatte kaum verpassen. Es beschäftigt mich, schließlich habe ich hier gelebt und sehe anders aus als die typischen Deutschen. Ich habe auch eine Meinung dazu.

Wir sind gespannt.

Für mich bedeutet Integration nicht Assimilation. Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund können und sollen miteinander leben - und sich gegenseitig bereichern und ergänzen.

Erst am vorigen Wochenende hat Kanzlerin Merkel das Modell einer multikulturellen Gesellschaft für gescheitert erklärt.

Zweifellos ist die überwiegende Kultur hierzulande die deutsche. Es ist auch wichtig, dass Ausländer die deutsche Sprache beherrschen, das ist der Schlüssel zu allem. Aber Integration bedeutet nicht, dass Ausländer, die hier leben, ihre ursprüngliche Kultur aufgeben müssen. Es wäre schade darum. Ich verstehe nicht, warum einige fordern, alle Ausländer in Deutschland sollten vollkommen deutsch werden. Das würde seltsam und nicht authentisch wirken.

Wie meinen Sie das?

Nehmen wir den umgekehrten Fall: Eine deutsche Frau käme nach Kenia und würde nur in afrikanischer Kleidung und mit geflochtenen Haaren herumlaufen. Wir Kenianer würden uns denken: Das ist lustig, das ist interessant, aber irgendwie Karneval. Mich würden andere Dinge interessieren: Was bringt sie Neues mit? Was kann ich von ihr lernen? Das ist für mich Integration.

"Integration muss vorangetrieben werden - aber nicht durch Abgrenzung"

Was haben Sie von Ihren 16 Jahren Deutschland für sich mitgenommen?

Deutsche Soldaten mit Migrationshintergrund

Deutsche Soldaten mit Migrationshintergrund beim Marschieren in der Falckenstein-Kaserne in Koblenz. Die Aufnahme ist bereits 2001 entstanden.

(Foto: DPA)

Ich bin hier erwachsen geworden. Als ich ankam, war ich 20. Mit 36 Jahren bin ich wieder gegangen. Viele meiner Ideen, das, was ich für wichtig halte, meine persönliche Charta, all das wurde in Deutschland geformt.

Wie kam die junge Afrikanerin Auma mit der deutschen Mentalität zurecht?

Sehr gut. Ich bin ein Mensch, der direkt und wissbegierig ist und hinterfragt. Das passt sehr gut zur deutschen Kultur. Außerdem kam ich in einer Zeit, in der noch die Gleichberechtigung der Frauen erkämpft wurde.

Sie stammen aus einer Kultur, in der es mit Frauenrechten nicht so weit her ist. Haben Sie sich erst durch Ihre Zeit in Deutschland emanzipiert?

Vom Charakter her war ich schon lange emanzipiert. Ich habe in meiner Kindheit alles hinterfragt. Zum Beispiel, warum mein Bruder alles durfte, was mir nicht erlaubt war. Ich war mir schon vor meiner Reise nach Deutschland darüber im Klaren, dass ich mich nicht zwangsverheiraten lasse. An Deutschland war neu, dass man dort wirklich diese Freiheit leben konnte. Ich konnte mich als Frau entwickeln, ohne Barrieren, ohne Blockaden.

Wie gingen die Deutschen mit Ihnen um? Gab es Probleme?

Am Anfang bin ich angestarrt worden. Das war ungewohnt und unangenehm, weil es in Kenia unhöflich ist, jemanden dauernd anzuschauen. Und es gab natürlich auch Situationen, in denen ich als Exotin gesehen und nicht ernst genommen wurde als Mensch.

Haben Sie Erfahrungen mit Rassismus gemacht?

Auch das, ja. Ich habe sehr früh erkannt, dass ich mich am besten mit der deutschen Sprache wehren kann. Dadurch konnte ich kontern, dadurch wurde ich ernst genommen. Außerdem brachte mich diese Kommunikationsfähigkeit in Kontakt mit vielen Leuten, ich habe Freunde gefunden, die mir nahe und wichtig waren. Sie sind bis heute Teil meiner Welt.

Die Sprache ist in der schwelenden Integrationsdebatte auch unter den deutschen Streitenden ein Problem. Meist ist sie polemisch, zweideutig, undifferenziert. Haben Sie einen Rat, wie man die Kontroverse versachlichen kann?

Ich habe einige Talkshows im Fernsehen verfolgt und dachte mir: "Was ist denn hier los?" Das ist total chaotisch, alle reden gleichzeitig. Irgendwer muss dieses Gespräch doch organisieren. Keiner hört dem anderen richtig zu. Das ist sehr schade, das ist traurig, denn so wird es keine Lösung geben. Man muss die Emotionen wegräumen und die Fakten ansehen.

Wie lauten die Fakten Ihrer Meinung nach?

Die deutsche Gesellschaft ist bereits eine gemischte Gesellschaft. Die Deutschen essen Curry, Pizza und Döner - alles wirklich keine urdeutschen Gerichte. Aber all das ist ein Teil, was Deutschland heute ausmacht. Manche Leute reden so, als ob es einerseits eine pure, deutsche Identität gäbe und auf der anderen Seite alles Fremde, zu dem man keinerlei Assoziation hat. Das ist einfach nicht wahr. Integration hat schon lange stattgefunden und sie muss vorangetrieben werden. Aber nicht durch Abgrenzung. Wenn es Konflikte gibt, muss man sachlich und nicht emotional an sie herangehen.

Die Debatte ist allerdings hochemotional - ein Ende ist nicht in Sicht.

Wissen Sie was: In den TV-Gesprächsrunden sitzen die Streitenden, nicht alle deutscher Herkunft, manche sehen anders aus, eine andere Hautfarbe, die Haare bedeckt. Und sie denken alle, dass sie deswegen von ganz unterschiedlichen Polen kommen und dass die Integration nicht möglich ist. Sie merken nicht mal, dass ihre Runde doch schon die gelebte Intergration darstellt. Alle verständigen sich auf Deutsch, befassen sich gekonnt mit der Problematik aus deutscher Sicht und aus dem Verständnis der deutschen Kultur, mit der sie alle vertraut sind. Sie merken es aber nicht. Vor lauter Emotion wird das aber leider übersehen. Alle Seiten müssen sich mal umgucken und sich die Realität anschauen. Sie werden sehen, dass es nicht so schlecht aussieht.

"Vor meinem ersten Treffen mit Barack hatte ich Angst"

Als besonderes Problem werden muslimische Einwanderer wahrgenommen. Verstehen Sie das?

U.S. Präsident Barack Obama

"Wir glauben beide an einen positiven sozialen Wandel." - Auma Obama über ihren Bruder Barack, den Präsidenten.

(Foto: REUTERS)

Wir sollten nicht pauschal über eine Bevölkerungsgruppe urteilen, sondern genau hinsehen. Dann werden wir auch unter den Muslimen sehr große Unterschiede erkennen. Zweifellos ist die Sprache der Schlüssel. Mir fiel als Studentin die Integration auch leichter als einer türkischen Mutter, die den ganzen Tag zu tun hat und kaum Kontakt zu Deutschen und der gelebten deutschen Kultur hat. Vergessen Sie nicht, dass ich Germanistin bin. Deutsch war mein Hauptfach und die Beschäftigung mit der Sprache war intensiv. Wenn ich nach 16 Jahren Deutschland die Sprache schlecht beherrschen würde, müsste ich mich schämen. Abgesehen davon, lernt man am besten Deutsch, wenn man mit deutschen Muttersprachlern zu tun hat. Doch gehen die Deutschen nicht so schnell auf einen Ausländer zu, wie es zum Beispiel bei den Amerikanern passiert. Wenn man aber erst einmal Kontakt hat oder Freunde, dann ist der Rest einfach. Integration ist also immer zweiseitig. Wobei es für den Fremden in Deutschland, wegen der Sprachbarriere immer schwerer ist, den ersten Schritt zu machen.

Das klingt einfach in der Theorie, aber in der Praxis ist das umso schwerer.

Das finde ich nicht. Wenn Sie mitbekommen, dass neue Nachbarn einziehen, dann gehen Sie einfach hin - egal, ob die nun fließend Deutsch sprechen oder nicht. Es ist learning by doing. Woher sollen die denn wissen, dass es Sprachkurse gibt an der Volkshochschule? Man ist schüchtern in einem fremden Land, das ist doch nachvollziehbar.

Sie meinen also, dass die Deutschen sich kontaktfreudiger zeigen müssten.

Ja, der Ball liegt bei den Deutschen. Sie sollten als Gastgeber eine Haltung annehmen, die den Neuankömmlingen ermöglicht, sich ihnen anzunähern. Die Sprache lernen, wird dann eine Freude sein, weil man sich verständigen will, um sich besser zu verstehen. Warum sollte das in Deutschland nicht klappen, wenn es auch in Amerika klappt? Von überall kommen noch heute die Menschen in die USA. Von keinem Italo-Amerikaner wird erwartet, dass er sein italienisches Erbe völlig abschüttelt. Erwartet wird von ihm, dass er die Sprache lernt und sich an die Gesetze hält. Und das Sprachliche und Kulturelle nimmt er an, weil er sich in seiner neuen Heimat verständigen will. Das ist okay so. Die Deutschen müssen mehr auf Fremde zugehen. Das haben sie so schön beim Mauerfall gezeigt.

Am 9. November 1989, dem Tag, an dem die Mauer geöffnet wurde, haben Sie sich zufällig in Berlin befunden. Welche Erinnerungen haben Sie?

Es war einzigartig. Menschen, die sich noch nie gesehen hatten, lagen sich in den Armen, man weinte miteinander, niemand kümmerte es, woher man kam. Das war eine Super-Integration.

Frau Obama, ihr jüngerer Bruder Barack ist seit fast zwei Jahren Präsident der USA. Hat Ihnen dieser Umstand viele Türen geöffnet?

Sie sitzen hier mit mir, Sie fragen mich nach meiner Meinung und meinem Leben. Das mediale Interesse ist schon mal eine sehr große Tür, die aufgemacht wurde. Ich versuche sie als Plattform für meine Arbeit bei der Hilfsorganisation Care zu nutzen. Aber ich gehe sehr bewusst mit dem Namen um, leichtfertig darf man nie sein. Mir ist wichtig, dass sich die Menschen auch für meine Arbeit interessieren. Denn die Aufgaben bestehen ja auch dann, wenn mein Bruder nicht mehr Präsident ist und sich kaum mehr jemand mehr für seine Schwester in Kenia interessiert. Wir müssen langfristig denken, so erreichen wir mehr. Ich erzähle den Leuten deshalb gerne von meiner Arbeit - es ist harte Arbeit in den Slums von Nairobi in Kenia und anderen Entwicklungsländern, wo wir mit Care tätig sind. Denn es geht primär um die Sache und nicht um eine Schwester eines Politikers.

Sind Sie und Barack sich eigentlich ähnlich?

Wir haben uns ja erst sehr spät kennengelernt. Und doch ähneln wir einander. Wir haben uns auf Anhieb sehr gut verstanden, es war ganz locker und unverstellt. Dabei hatte ich vor dem ersten Treffen Angst: Was ist, wenn wir uns unsympathisch sind und oberflächlich bleiben? Ich sage Ihnen: Es war so einfach. Und eine große Gemeinsamkeit ist sicherlich, dass wir beide an einen positiven sozialen Wandel glauben.

Und Sie sind beide sehr redegewandt. Sie sogar in deutscher Sprache.

Oh, danke! (lacht). Ich versuche mein Bestes.

Warum sind Sie eigentlich zurückgegangen nach Kenia?

Weil ich dort mehr erreichen kann. Sicher, es gibt auch Menschen und Kinder in Not in Europa. Aber in Kenia kann sich mein Engagement doch mehr entfalten. Ich schulde es auch meiner Heimat, dass ich dort etwas mache. Außerdem wollte ich meine Tochter nach Hause bringen. Damit sie auch dort etwas mitbekommt von der Kultur ihrer Mutter.

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